zur
startseite
zum
archiv
Coming
Apart
Sado im Spiegel
Warum uns die Sixties immer noch voraus sind:
Milton Moses Ginsbergs Film "Coming Apart"
Filme wie Milton Moses Ginsbergs "Coming Apart"
sind heute unmöglich geworden. Die Angst der Selbsterkenntnis sitzt zu
tief in den Knochen, man ist sich der der eigenen Hölle zu gewahr, als
dass man sich als Zuschauer noch auf eine Konfrontation, wie sie Ginsberg hier
forciert, einlassen möchte. In "Coming Apart" wird man allein
gelassen in dieser Hölle des Selbstzweifels und der Hysterie, die sich
lange durch eine beängstigende Ruhe ausdrückt. Und man muss sie wie
seine Hauptfigur bis zum bitteren Ende, stolze 126 Minuten lang, aussitzen,
bis man schließlich gewaltsam aus ihr herausgerissen wird. Es ist dieselbe
Qualität von Gewalt, mit der zuvor über zwei Stunden lang eine fast
unerträgliche Langeweile und Leere aufs Sadistischste feierlich durchexerziert
wurde.
Das Setting ist hoch allegorisch und schlichtweg
genial: Da sitzt der Psychoanalytiker Joe Glazer in einem fremden Apartment
auf der Couch wie sein eigener Patient und lässt sich von seinen richtigen,
ausschließlich weiblichen Patienten therapieren. Die Kamera hat Joe selbst
montiert, platziert in einem ominösen Kasten außerhalb des Blickfeldes,
den er ironisch "kinetisches Kunstobjekt" nennt. Sie ist auf das bezeichnete
Sofa gerichtet, hinter dem sich eine großflächige Spiegelwand befindet.
Diese Position wird die Kamera den ganzen Film über nicht wechseln, sie
beobachtet also oft lediglich die Spiegelbilder, nicht die menschlichen Originale.
In diesem Blick konstituiert sich die einzig wahrnehmbare
Realität der Kameraautorität, ein taktisch kluger Versuchsaufbau für
eine psychoanalytische Studie, in der die Rollenzuordnung von Therapierendem
und Therapiertem genauso unscharf wird wie die Unterscheidbarkeit von Figur
und Spiegelbild langsam unmöglich. Joe lässt eine Gespielin nach der
anderen vorsprechen, wie auf der Besetzungscouch einer Schauspielschule (was
letztlich natürlich gar nicht so falsch ist, hier arbeitet sich die Strasberg-Klasse
an ihrer Methode ab), und verzweifelt mehr und mehr an seiner eigenen Kaputtheit.
Es gibt keinen Ausbruch aus diesem klaustrophobischen Szenario, dessen Begrenzung
durch die technischen Vorgaben so scharf gezogen ist. Das einzige Anzeichen
eines "Außen" ist in dieser Enge das Panoramafenster im hinteren
Teil des Appartements, aber auch das ist nur eine Reflexion im Spiegel.
Ginsberg hatte das große Glück, für
"Coming Apart" aus einem riesigen Fundus an Bildern und Sujets schöpfen
zu können, die zur Zeit der Entstehung in der Filmkultur so präsent
waren, wie es danach nie wieder der Fall war. Sein Film ist reine Kolportage,
ein Kunstprodukt, das von einer künstlichen Welt erzählt, ganz so
wie es Ende der 60er unter Studenten hip gewesen ist. Der Film beruft sich auf
die Schlauheit der Warhol-Factory, imitiert den Blick Antonionis und versucht
sich an der Präsizion Cassavetes’.
"Coming Apart" war ein einziger Kunstgriff,
und vielleicht ging die amerikanische Presse 1969 auch deswegen nicht gerade
zimperlich mit ihm um. Sie zerstörte den Film und Ginsbergs Karriere. Es
brauchte dreißig Jahre, bis er wieder zur Aufführung kam. Was es
für die aktuelle Filmkultur zu bedeuten hat, wenn Ginsberg meint, dass
sein Film 1969 seiner Zeit 20 Jahre voraus war, heute dagegen 50 Jahre, kann
man sich an fünf Fingern abzählen. Er hat nicht einmal Unrecht: "Coming
Apart" ist in jeder Hinsicht ein Produkt der 60er und zeigt gerade darum
die selbst auferlegten Limitierungen des heutigen Kinos auf.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Coming
Apart
USA
1969
Regie:
Milton Moses Ginsberg
Drehbuch:
Milton Moses Ginsberg
Kamera:
Jack Yager
Schnitt:
Lawrence Tetenbaum
Ton:
Tom Daniels
Musik:
Francis Xavier (Jefferson Airplane)
Ausstattung:
Milton Moses Ginsberg
Kostüm:
Francesca Davies
Produktion:
Kaleidoscope Films
Darsteller:
Rip
Torn (Joe Glazer), Sally Kirkland (Joann), Viveca Lindfors (Monica), Megan McCormick
(Joy), Julie Garfield (Julie), Darlene Cotton (Sue), Phoebe Dorin (Karen), Lois
Markle (Elaine), Joanna Vischer (Marilyn), Nancy MacKay (Amy), Michael McGuire
(Ted), Kevin OConnor (Armand)
35
mm/1:1,66/Schwarzweiß
zur
startseite
zum
archiv