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Control
Begann das Filmjahr 2007 hierzulande mit Gus Van
Sants reflektierter, überzeugend zwischen Nähe und Distanz changierender
Meditation über die letzten Tage im Leben eines Popmusikers („Last Days“), dessen Ähnlichkeit mit Kurt Cobain unübersehbar
war, so beginnt 2008 mit „Control“, dem bereits heftig diskutierten Biopic über
die letzten Jahre des Ian Curtis, des legendären Sängers der Post-Punk-Band
Joy Division, der im Mai 1980 23-jährig Selbstmord beging. Wie Cobain ist
Curtis einer jener wenigen Rock’n’Roll-Toten, die nicht den Drogen- oder Unfalltod
starben, sondern gerade durch ihren „Freitod“ die Authentizität ihrer existenziell
dringlichen Kunst bezeugten. So eine der vielen Legenden, die sich um Curtis
und seinen frühen Tod ranken. Mag sein, dass der Star-Fotograf Anton Corbijn,
der sich seinerzeit wegen der Musik von Joy Division nach England aufmachte
und mit Fotos der Band seine eigene Karriere begründete, mit seinem Spielfilmdebüt
der Mythenbildung um Curtis entgegenarbeiten wollte; jedenfalls führt er
entschieden Curtis’ Kunst auf dessen ganz persönliches Schicksal zurück,
bis kein Raum mehr bleibt für Überhöhungen und Verallgemeinerungen.
„Control“ basiert auf den Erinnerungen, die Curtis’
Witwe Deborah vor ein paar Jahren unter dem Titel „Touching From A Distance“
veröffentlichte und die geprägt sind von der großen emotionalen
Distanz zwischen dem depressiven Sänger und seiner jung geheirateten Jugendliebe,
mit der er auch früh ein Kind zeugte. Dadurch erzählt der Film aus
der Perspektive einer doppelten Entfremdung, denn Deborah scheint nicht nur
keinen Zugang zur Psyche ihres Mannes zu haben, sondern auch keinen Zugang zur
Musikszene, in der er sich bewegt. Dadurch, dass die familiäre und die
öffentliche Seite von Curtis’ Existenz nichts, aber auch gar nichts miteinander
zu tun haben, wird die Zerrissenheit dieser Figur geradezu majestätisch
– und ungreifbar. Mit fast schon buchhalterischer Akribie hangelt sich Corbijns
Film am längst Allzubekannten entlang und bebildert „Fakten, Fakten, Fakten“.
Welche Konzerte besuchte Ian Curtis in seiner Jugend? Die von David Bowie und
den Sex Pistols. Welchen Film sah er in der Nacht vor seinem Selbstmord? Werner
Herzogs „Stroszek“. Welche Platte hörte er da? Iggy Pops „The
Idiot“. Und worin besteht der Sinn einer solchen Anhäufung an nutzlosem
Wissen? Das Resultat der gewünschten „Entmystifizierung“ des gleichermaßen
enigmatischen wie charismatischen Ian Curtis ist, dass Corbijn unmittelbar einem
anderen Mythos aufsitzt, demzufolge die Musik von Joy Division gewissermaßen
einen Blick in „die geschundene Seele“ des Sängers erlaube, so als sei
er allein die Band gewesen. Die anderen Bandmitglieder, die später zu New
Order werden sollten, aber auch Figuren wie der Bandmanager Rob Gretton oder
der Szene- Impressario Tony Wilson werden dem Geniekult geopfert. Und was ist
mit dem kruden Humor von Curtis? Was ist mit seiner verstörenden Faszination
für die Ästhetik des Faschismus? Darüber deckt Corbijn gefällig
den Mantel des Schweigens.
Der kurze, aber nachhaltige Ruhm von Joy Division
zwischen 1978 und 1980 fiel genau in jene Zwischenphase des Post-Punk, als Punk
schon New Wave wurde, aber noch nicht doppelbödig und subversiv mit Funk
und Disco flirtete wie kurz darauf ABC, Spandau Ballet oder Haircut 100. Joy
Division waren ernsthaft bis hin zu dem Punkt, an dem ein existenzieller Absturz
möglich wird. Sie spielten einen rauen Rock, eher verlangsamten Metal als
Punk, mit dem Bass als Melodie-Instrument. Doch was live nicht zuletzt dank
der charismatischen Qualitäten von Curtis funktionierte, entwickelte seinen
geradezu magischen Reiz erst im Studio, wo der Produzent und Soundtüftler
Martin Hannett der Band einen eisigen Raumklang verpasste, der mehr mit Kraftwerk
als mit Black Sabbath zu tun hat. In seinem jüngst auf deutsch erschienenen
Standardwerk zur Musik jener Zeit „Rip it up and start again“ schreibt der Musikhistoriker
Simon Reynolds: „Man muss kein Faible für mystische Schwärmereien
haben, um Curtis als Seher zu betrachten, dessen persönlicher Schmerz für
viele andere wie ein Prisma funktionierte, in dem sich das Unbehagen und das
Leid im Großbritannien der ausgehenden Siebzigerjahre brachen. Jener persönliche
Schmerz war jedoch auf banale Weise spezifisch und durch die Probleme eines
Erwachsenen entstanden – eine gescheiterte Ehe, Ehebruch und Krankheit.“ Und
der Pop-Journalist Jon Savage hat das vorherrschende Lebensgefühl im heruntergekommenen
Norden Englands um 1980 so charakterisiert: „Es war, als habe die Apokalypse
stattgefunden und es gebe nichts mehr zu verlieren.“ Dieses Gefühl (und
musikalische Vorbilder wie Lou Reed, David Bowie und Iggy Pop) prägte die
Musik von Joy Division und die um Krise, Ausweglosigkeit und Isolation kreisenden
Texte von Ian Curtis. Der Ruhm der Band als Insider-Tipp wuchs langsam, aber
stetig. Dabei gab es keine Interviews; die Gruppe veröffentlichte nur Schwarz-Weiß-Fotos
von sich und weigerte sich, ihre Hit-Singles wie „Transmission“ auf die Alben
draufzunehmen. Während der kurzen Existenz von Joy Division erschienen
nur zwei Alben – „Unknown Pleasures“ (Juni 1979) und „Closer“ (Juli 1980). Als
Letzteres erschien, war Ian Curtis schon zwei Monate tot. Auch der junge Holländer
Anton Corbijn arbeitete früh an der visuellen Corporate Identity der Band
mit.
Mit „Control“ kehrt Corbijn jetzt gewissermaßen
zu seinen Wurzeln als Fan von Joy Division zurück und hat seinen Film ganz
selbstverständlich in einem grisseligen Schwarz-Weiß gedreht, das
zum Markenzeichen des Fotografen gehört. Dadurch erinnert „Control“ visuell
stark an einen fast vergessenen Spielfilm jener Zeit, der die Thematik(en) von
„Control“ auf viel entschiedenere Art und Weise zur Signatur einer Epoche zu
machen verstand: „Radio
on“ (fd 22 565) von Chris Petit.
Höchst unterhaltsam sind auch die entstehenden Remix-Interferenzen von
„Control“ mit dem großartigen „24 Hour Party People“ (2004) von Michael
Winterbottom über den ganzen „Madchester“- Mythos (Factory Records, die
Hacienda, die Rav-o-lution), der es hierzulande skandalöserweise nicht
in die Kinos geschafft hat, obschon er „Control“ meilenweit überlegen ist
– und in dem Joy Division auch ein Kapitel gewidmet ist. Vor einiger Zeit kritisierte
der Musiker Ted Geier (Die Goldenen Zitronen), dass die Post-Punk-Kopisten wie
Interpol heute so klängen wie die Originale damals, dass sie sich aber
leider keine Gedanken gemacht hätten, warum die Originale damals so und
nicht anders geklungen hätten. Genau darauf kommt es an – und genau dafür
hat sich Anton Corbijn leider keine Sekunde interessiert. Einige Darstellerleistungen,
allen voran diejenige des Hauptdarstellers Sam Riley, sind dagegen bemerkenswert
intensiv; Alexandra Maria Lara und ihre notorischen zwei Gesichtsausdrücke
wirken dagegen wie ein schlechter Witz, ihre Darstellung geradezu als boshafte
Karikatur einer Musikjournalistin, die ebenso gut Groupie sein könnte.
„Control“ ist zwar durchaus ein schöner, trauriger, informativer, aber
gewiss kein großer Film – zu wenig disparat, zu oberflächlich und
zu unambitioniert. Uns bleibt die den Film flankierende Wiederauflage des musikalischen
Œuvres von Joy Division als wertige, erweiterte und großartig kommentierte
Sammleredition und das Warten auf die parallel entstandene Dokumentation von
Grant Gee.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Control
Großbritannien
/ USA 2007 - Regie: Anton Corbijn - Darsteller: Samantha Morton, Sam Riley,
Alexandra Maria Lara, Joe Anderson, James Anthony Pearson, Tony Kebbell, Craig
Parkinson, Harry Treadway, Richard Bremner - FSK: ab 12 - Länge: 121 min.
- Start: 10.1.2008
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