Crash
Der Mensch erfindet Maschinen, um die ihm von seinem Körper
gesteckten Grenzen zu überwinden. Stahl wird zur Verlängerung von
Muskeln, Chrom und Gummi zur neuen Haut, der Motor zum mechanischen
Herz. Der Crash ist das Ergebnis eines Versagens des Zusammenspiels an
der Grenze zwischen Körper und Technik. Im Crash wirkt die außer
Kontrolle geratene Macht der Maschine auf den Körper des Menschen
zurück.
In David Cronenbergs kongenialer Verfilmung des 1973 erschienen
Romans CRASH des Kultautors J. G. Ballard geht es darum, wie die durch
Technik hervorgerufene Deformation des Körpers ihre Fortsetzung in
einer Deformation der Psyche findet. Die erotische Besetzung des Autos
als Lustobjekt durch unsere Gesellschaft (wie sie jedem aus der
Werbung sattsam bekannt ist) wird ausgedehnt auf die von der Maschine
gezeichneten Körper. Autowracks und Narben werden als Symbole der
Verschmelzung von Fleisch und Metall zum Fetisch einer technisierten
Sexualität.
Die Handlung des Films ist schnell erzählt: Der Werbefilmer J.G.
Ballard (James Spader) lernt durch einen Autounfall Dr. Helen
Remington (Holly Hunter) kennen und gerät durch sie in eine Welt
fremder Sexualität. Prophet dieser Welt ist Vaughan (Elias Koteas),
der die tödlichen Unfälle berühmter Filmstars rekreiert und den Körper
seiner Freundin (Rosanna Arquette) allmählich zu einem vernarbten
Kunst-Werk gestaltet, das nur noch durch Leder und Chrom
zusammengehalten wird. Ballard zieht bald auch seine Frau Catherine
(Deborah Unger) in sein neues Leben hinein, und beide finden zu einer
radikalen, neuen Form der Liebe.
Der Plot hat allerdings nur geringe Bedeutung für CRASH , er dient
lediglich als Gerüst für eine fast mathematisch kalkulierte
Aufeinanderfolge von Sex und Autounfällen in unterschiedlichen
Varianten. CRASH geht es weniger ums Erzählen und Erklären als ums
Demonstrieren und Erleben. Wo die Romanvorlage noch in leicht
ironischer Distanz bleibt und viele explizite Reflektionen über ihr
Thema enthält, geht der Film einen gewagten Schritt weiter. Er möchte
den Zuschauer einem ähnlichen Prozess unterziehen wie seine Hauptfigur
und ihn die Welt durch deren verschobenen Blick sehen lassen. Die
wenigen Sätze der scheinbaren Erklärung, die Vaughan gibt, werden von
ihm selbst kurz darauf wieder in Frage gestellt, und auch sonst bietet
Cronenberg wenig an, was erlauben würde, CRASH ins gewohnte Schema der
Wahrnehmung zu bringen. Der hohen Komplexität des Filmes kann man,
anders als z.B. bei Greenaway, nicht mit einem fundierten Repertoire
an akademischer Theorie und einem guten Lexikon Herr werden. CRASH
funktioniert nicht auf der "Was will uns der Regisseur damit
sagen"-Ebene. Er spricht durch Konstellationen, Farben, Muster, Blicke
und vor allem durch den Rhythmus. CRASH will nicht verstanden werden,
sondern erfahren.
Handwerklich und schauspielerisch bewegt sich der Film auf höchstem
Niveau. Kamera, Schnitt und Musik (Howard Shore) schaffen auf perfekte
Weise eine kühle, tranceähnliche Atmosphäre, und Cronenbergs
exzellentes Ensemble beweist nicht nur erstaunlichen Mut, sondern
spielt auch durchweg hervorragend. Die zwei größten Überraschungen
dabei sind wohl Holly Hunter, die ihr Hollywood-Image der harmlosen,
putzigen Brünette nun wohl endgültig los sein dürfte, und der bisher
eher unbekannte Elias Koteas (EXOTICA), der als Vaughan eine
beängstigend glaubwürdige Vorstellung gibt (die aber in der deutschen
Fassung von der misslungenen Synchronisation gehörig sabotiert wird).
Doch diese Aspekte werden für die meisten Zuschauer von
untergeordneter Bedeutung sein. Bereits bei seiner Premiere in Cannes
hat der Film für heftige Kontroversen gesorgt. Während etliche
Kritiker empört den Saal verließen, wurde Cronenbergs Werk von anderen
(darunter auch J.G.Ballard) enthusiastisch gefeiert, und die Jury
wusste sich letzlich nicht anders zu helfen, als durch die Verleihung
eines eigens neu geschaffenen "Prix Audace" für künstlerische
Originalität und Gewagtheit. Dabei liegt es überhaupt nicht in der
Absicht des Films, zu schockieren oder zu provozieren. Der Film
möchte, daß man sich auf ihn einlässt; in seiner hermetischen Welt ist
nichts von dem, was geschieht, abstoßend oder verurteilungswürdig. Es
ist nur die ungeheure Fremdheit dieser Welt, die bei manchen
Zuschauern extrem ablehnende Reaktionen hervorruft.
Cronenberg hat einen Film geschaffen, der zugleich Kälte ausstrahlt
und dennoch sehr sinnlich ist - so wie die dargestellte Auto-Erotik.
Er läßt einem vieles begreifen, ohne daß man es rational in Worte
fassen könnte, und er ist stimmig, ohne geschlossen zu sein. Man
verlässt das Kino, als habe man selbst gerade einen Crash durchlebt:
verstört, seltsam distanziert, und verändert.
Ich möchte meine wärmste Empfehlung für CRASH aussprechen, doch unter
Vorbehalt. Wer einen unterhaltsamen Samstagabend im Kino verbringen
möchte, wer bunte Bilder als Untermalung zum Popcorngenuß wünscht, und
wer vorfabrizierte Antworten sucht ist, mit CRASH schlecht beraten.
Wer aber bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen, wer sich von
der gewohnten Wahrnehmung verabschieden möchte, wer die Verstörung
schätzt und sich dem Dunkel des Kinos anvertraut, um mit anderen Augen
sehen zu lernen, den erwartet mit CRASH ein lohnenswertes
Film-Erlebnis.
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Crash
Kanada, 1996 - 100 Minuten
Regie: David Cronenberg
Kamera: Peter Suschitzky
Drehbuch: David Cronenberg
Besetzung: James Spader, Holly Hunter, Deborah Unger, Elias Koteas
u.a.