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Crash
Auto
und Verklärung
James
Spader konnte in „Sex, Lies and Videotape“ so schön gequält und linkisch
lächeln. Der Apparat, mit dem er da spielte, konnte ihm noch ein schlechtes
Gewissen machen. Also ein Problemfilm. In „Crash“ wird nicht gelacht. Es geht
um Autos. Und diese sind bekanntlich die Lösung des Problems.
Vaughan
(gesprochen ungefähr wie das deutsche „Wahn“) ist ein car-victim, analog
zum fashion-victim. Er sieht ziemlich verwegen aus und „arbeitet“ an einem Projekt,
dessen Titel erst mal sehr allgemein klingt: „the re-shaping of the human body
by modern technology“. Für ihn heißt das ganz konkret, dass sein
sehr geiles Auto (ein alter langer offener Schlitten) ein integraler Bestandteil
seines Lebens ist. Er lebt nicht in einem Haus, sondern in seinem Auto. Das
kann man als Zuschauer gut nachvollziehen, Vaughan in seinem röhrenden
Wagen ist reines Kino. So weit auch das fiktionale Moment. Damit noch das wissenschaftlich
Projekt-mäßige dazukommt (Vorlage des Films ist James Ballards 1973
erschienener Roman „Crash“), wird die allbekannte Wahrheit vom Zusammenhang
von Auto und Sex auf einen bestimmten Punkt gebracht. Autos sind in diesem Film
also keine Transportmittel von A nach B, sondern Orte des Vollzugs, in denen
sich mehrere Wirklichkeitserfahrungen überlagern. Der Vollzug ist der Unfall
ist der Koitus ist die Aura ist der Höhepunkt des Lebens mit abschließendem
Tod.
Vaughan
als Projektleiter ist überall da, wo Unfälle passieren oder auch inszeniert
werden nach berühmten Vorbildern, zum Beispiel nach James Dean. Er hat
eine Entourage, die seine Fantasie teilt. Sobald diese Leute im Auto sitzen
oder Videos mit Unfällen sehen, fassen sie sich an, jeder darf mit jedem,
spielend werden Geschlechterschranken überwunden. Das wird sehr ausführlich
gezeigt, und bald merkt der Zuschauer, dass es mit dem Projekt nicht so weit
her ist. Es geht um die Ausweitung der erogenen Zone vom bloßen menschlichen
Körper auf die Symbiose von Mensch-Auto mit allem, was dazu gehört
wie Narben, Verstümmelungen, Prothesen. In einer sehr lustigen Szene treibt
es der mittlerweile auch schon etwas angekrüppelte James Spader mit Rosanna
Arquette, die mit einem sehr elegant aussehenden Prothesen-Kleid-Panzer ausgestattet
ist, auf der Rückbank eines Wagens, und James, im Film ein Regisseur mit
dem gleichen Namen wie der Autor der Romanvorlage, entdeckt plötzlich eine
riesige Narbe an der Wade seiner Gespielin, die nichts anderes ist als eine
monströse Vagina, in die James sofort einfällt. Wenn man hier weiterdenkt,
lässt sich alles einbinden, sobald man am Steuer sitzt: Nicht umsonst stoßen
die Fahrer der Projekt-Gemeinde so häufig in Autolücken, also Löcher,
ruckweise ein und vor, fahrend erleben wir die Welt als Spalte und Füllhorn,
und es ist nur eine Frage der Zeit und des optimalen Timings, wann hier zum
Tod trompetet wird.
Die
Geräuschkulisse dieses Films ist in der Tat erstaunlich. Ein elegisch-pathetisches
E-Gitarrenmotiv durchzieht den Film, die Männer schnaufen parallel zum
Rasseln des Motors, Bild- und Fremdton feiern so gelungen Hochzeit wie der Fahrer
mit seiner Angetrauten, dem Auto. Und genau so wichtig wie die Klangpausen sind
die Fahrpausen der Helden, wo sie zum Beispiel wehmütig auf dem Nordbalkon
(diese Beobachtung verdanke ich Nora Sdun) eines Hochhauses stehen und den riesigen
Schatten betrachten, den die Sonne auf den 10-spurigen Highway wirft. Auf der
Sound-Ebene funktioniert der Film ziemlich perfekt. Er hält auch eine bestimmte
Spannung von vorne bis hinten durch, obwohl keine spannende Geschichte erzählt
wird. Aber was den technischen Vorführeffekt angeht, den Laboreffekt einer
ausgesponnenen Symbiose von Körper und ihn auffangenden und umschließenden
Panzer, so muss man wohl sagen, dass Autos keinen alleinigen Besitzanspruch
auf Sex haben. Im Gegenteil, je weiter die Fantasie vorangetrieben wird, desto
komischer wird sie. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum das Grundtempo
von „Crash“ sehr langsam ist. Das Pathos des Projekts empfiehlt sich narkotisierend.
Auch die Autos fahren nicht schnell, sie pendeln zwischen Trotten und Gasgeben,
vorfahren und sich zurückfallen lassen, der geräuschverstärkte
Effekt wirkt wie Hypnose. Und genau diese hypnoiden Zustände, in die mit
dem Fahrer auf der Leinwand auch der Zuschauer einfällt, sind dann eben
so wunderbar isoliert, dass da alles hineingepackt werden kann, was man braucht,
um im Kino glücklich zu sein. Bis zum nächsten Unfall. Und da lass
ich die Fiktion gerne los.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-archiv mehrere Kritiken.
CRASH
Kanada
1996 R, B, P: David Cronenberg (nach dem Roman von J. G. Ballard) K: Peter Suschitzky.
Sch: Ronald Sanders. M:
Howard Shore T David Lee. A:
Carol Spier, Tamara Deverell. Ko:
Denise Cronenherg. Pg:
Fine Line Features/Alliance Communicatons/Telefilm/Movie Network. V:
Jugendfilm. L: 98 Min. DEA: Filmfest Hamburg 1996. St: 31.10.1996. D: James
Spader (James Ballard), Holly Hunter (Helen Remington), Elias Koteas (Dr Vaughan),
Dehorah Unger (Catherine Ballard), Rosanna Arquette (Gabriele), Peter MacNeil
(Colin Seagrave).
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