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Daratt
Blinde Rache
Mit dem hervorragenden Rachedrama „Daratt“ empfiehlt
sich Mahamat-Saleh Haroun als der große Unaufdringliche im aktuellen Autorenkino.
Die Mozartfete ist vorbei, Peter Sellars’ einschlägiges
„New Crowned Hope“-Festival auch schon ausführlich abgefrühstückt.
Aber wer auf Celluloid baut, dem bleibt auch dann noch was, wenn das Konfetti
weggekehrt und der Medienzirkus weiter gezogen ist. Mit dem von „New Crowned
Hope“ co-produzierten Film „Daratt“ lässt sich nun ein Höhepunkt des
Festivals [der Biennale 2007; die fz-Redaktion] in aller Ruhe bestaunen, ganz
ohne „Clemenza di Tito“-Vergleiche und andere mozartistische Verrenkungen.
Und zu staunen gibt es allerhand: Mahamat-Saleh Harouns
formal präziser, unaffektiert moderner Realismus fiel bereits in seinem
Vorgängerfilm „Abouna“ (2002) auf. Wie er nun mit „Daratt“ eine straff
kalkulierte, fast abstrakte Parabel über Schuld, Rache und Vergebung mitten
in ein quasi-dokumentarisches Setting stellt, ohne sich je in formalen Widersprüchen
zu verhaspeln: Sowas schaffen im Gegenwartskino sonst nur die Dardenne-Brüder
(deren Meisterwerk „Le Fils“ hier inhaltlich variiert wird).
Schon die erste Szene verschränkt ganz selbstverständlich
lapidaren Realismus, politisches Zeitgeschehen und universale Allegorie: In
einem Dorf im Tschad hocken ein Teenager und sein blinder Opa vor dem Radio.
Die Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission, wird verkündet, habe eine
Generalamnestie für alle Bürgerkriegsverbrechen beschlossen. Darauf
kramt der Alte eine Pistole hervor, gibt sie dem Enkel und schickt ihn los in
die Hauptstadt: Wenn sich die Regierung nicht darum kümmert, dann muss
eben der Sohn den Tod seines Vater rächen.
Atim, „Waisenknabe“, heißt der verstockte Bursche.
Darin spiegelt sich nicht nur der Titel von „Abouna“ („der Vater“), sondern
auch dessen Thematik der vaterlosen Söhne, die „Daratt“ mit perfidem Humanismus
wendet: Ausgerechnet der Mörder seines Vaters, der ältere Bäcker
Nassara, wird ein seltsam hartnäckiges Interesse für den jungen Mann
entwickeln, der bald mit düsteren Absichten vor seinem Haus herumlungert.
Nassara, selbst eher versehrtes Opfer des Bürgerkriegs als einer seiner
Gewinnler, nimmt Atim nichtsahnend als Lehrling bei sich auf. Und allmählich
zeichnet sich im zähen, wortkargen Ringen zwischen dem müden Alten
und dem verwirrten 16-jährigen Zornpinkel die Möglichkeit einer Vergebung
ab.
Harouns Trick (oder eher: seine Kunst) besteht darin,
dass er vorgibt, der einfältigste Filmemacher der Welt zu sein. Wenn in
einer der zahlreichen statischen Einstellungen Atim zu sehen ist, wie er aus
dem Fenster schaut, und zugleich Nassara, den er beobachtet, dann fängt
Haroun damit nicht nur sehr kompakt die Handlung ein: Die Dauer dieser Einstellung,
ihr Blickwinkel und ihre Komposition erzählen derart eloquent und präzise
vom komplizierten Verhältnis zwischen den beiden, dass die investierte
Feinarbeit kaum weiter auffällt.
Die Neigung zur Allegorie teilt Haroun mit zahlreichen
anderen ProtagonistInnen des schwarzafrikanischen Spielfilms, von Ousmane Sembène
bis Fanta Régina Nacro. Das hat sicher mit lokalen Traditionen des Geschichtenerzählens
zu tun, genauso aber wohl damit, dass sich die akuten politischen und ökonomischen
Krisen vieler afrikanischer Staaten kaum anders an die Entscheidungen Einzelner
rückbinden lassen als in Form von Gleichnissen. Insofern formuliert die
gewaltige Schlusssequenz, in der Haroun alle geduldig gesammelten dramaturgischen
Asse auf einen Streich ausspielt, auch die vorsichtige Utopie einer nationalen
Aussöhnung: Blinde Rachsucht, wird uns da nahe gelegt, lässt sich
nicht einfach auslöschen, aber vielleicht lässt sie sich ja überlisten.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in www.falter.at
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Daratt
Österreich,
Belgien, Frankreich 2006
Filmlänge:
96min
Regie:
Mahamat-Saleh Haroun
Drehbuch:
Mahamat-Saleh Haroun
Kamera:
Abraham Haile Biru
Produktion:
Mahamat-Saleh Haroun, Abderrahmane Sissako, Franck-Nicolas Chelle
Verleih: Trigon
Film
Produktionsfirma:
Chinguitty Films, Entre Chien et Loup, Goi-Goi Productions
Besetzung: Hisseine Aziza, Ali Barkai, Khayar Oumar Defallah, Youssouf Djaoro
Start(D): 6.3.2008
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