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Darwins
Alptraum
Der
böse Barsch
Hubert
Saupers Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“ geißelt die Fischindustrie in
Tansania
Jeden
Abend sinken die riesigen Frachtflugzeuge mit lautem Gebrüll über
dem Viktoriasee zur Landung. An Bord Waffen für die Bürgerkriege im
Kongo und anderswo in der Region. Zurück geht es am nächsten Morgen,
vollbeladen mit tiefgekühlten Fischfilets für Feinschmecker in den
reicheren Teilen der Welt. Der Handel blüht – und den herumreisenden EU-Bürokraten
gilt die tansanische Tiefkühlfischproduktion folgerichtig als förderungswertes
Entwicklungsprojekt, das einer verarmten Region den internationalen Markt erschließt.
Den Einwohnern allerdings bleiben vom blühenden Business nur Gewalt, Sucht
und Prostitution – und von den Edelfischen, die sie wegen ihrer Übergröße
mit den eigenen Netzen nicht fangen können, nur die ausgenommenen Kadaver,
die die Kinder nach Hause schleifen.
Es
ist eine einzige Fischart, die Hubert Saupers Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“
Stoff und Anlass zu einer beeindruckend schnörkellosen Tour de Force zu
den Verheerungen globalisierter Monokultur gibt. Im Zentrum steht der Viktoriabarsch
oder Nile Perch, ein bis zu zwei Metern langer Raubfisch, der in den 60er Jahren
von britischen Wissenschaftlern zur Etablierung einer lokalen Fischindustrie
im Viktoriasee angesiedelt wurde. Das Experiment ist gelungen, so gut, dass
der gefräßige Riese in den letzten Jahrzehnten alle anderen Fischarten
durch Vernichtung verdrängt hat und dabei die traditionelle Subsistenzwirtschaft
gleich mitzerstört. Die ehemals selbstständigen Fischer müssen
jetzt froh sein, wenn sie in der Fabrik arbeiten dürfen. Drumherum entwickelt
sich eine Mikroökonomie höchst destruktiver Art.
Madenbefallene
Fischskelette, die zum Trocknen in der Sonne gären. Kinder, die Verpackungsreste
zum Schnüffeln schmelzen. Junge Frauen, die sich den russischen Piloten
für ein paar Bier verkaufen. Die mächtigen Frachtriesen auf der Landepiste.
Das sind Szenen, die sich wie Blitze einbrennen, in ihrem Zusammenspiel aber
auch den Blick für größere Zusammenhänge nicht überstrahlen:
Ein schockgefrorener, bizarr verzerrter Albtraum, der doch höchst real
ist und von Hubert Sauper und seinem kleinen Team geduldig und unter Risiko
einer Welt abgerungen, die Mitleid zwar gerne zulässt, Erkenntnis aber
nach Möglichkeit verhindert.
Er
hätte diesen Film auch an vielen anderen Orten auf der Welt machen können,
sagt Sauper. Denn überall da, wo zwischen Armut plötzlich neuer Reichtum
entsteht, führt das zwar ein paar ins Glück, die meisten aber erst
richtig in den Abgrund. Darwin hätte an solcher Auslese vielleicht gar
nichts auszusetzen gehabt. Dieser Albtraum gehört ganz und gar uns.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im: Tagesspiegel
Darwins
Alptraum
Frankreich
/ Österreich / Belgien 2004 - Originaltitel: Darwin's Nightmare - Regie:
Hubert Sauper - Darsteller: Sergey, Dimond, Raphael, Eliza - FSK: ab 6 - Fassung:
O.m.d.U. - Länge: 111 min. - Start: 17.3.2005
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