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Dead
or Alive /
Audition
Suppenfontänen
und Heavy Metal
Fäkale
Erniedrigung, Sex und Gewalt - die Filme des Japaners Takashi Miikes vollziehen
eine irrwitzige Montage der japanischen Gesellschaft. Mit "Audition"
und "Dead or Alive" kommen zwei seiner perversen Orgien bei uns ins
Kino
Unter
Fans des asiatischen Kinos gilt das Filmfest Rotterdam längst als kompetenteste
Institution. Seit mittlerweile fast zehn Jahren spüren die Kuratoren der
Asien-Sektion im japanischen, chinesischen und südkoreanischen Kino nach
neuen Strömungen und Namen und genießen damit heute nicht nur für
das Hamburger Filmfest und das Berliner Independent-Festival Berlin-BETA eine
Vorbildfunktion.
Im
letzten Jahr war in Rotterdam erstmals auch eine kleine Retrospektive des unbekannten
japanischen Regisseurs Takashi Miike zu sehen, der in seiner Heimat gerade als
kleine Sensation gehandelt wird, außerhalb aber bisher nur marginal wahrgenommen
wurde. Miike ist in der Tat ein Phänomen: Innerhalb der letzten neun Jahre
hat er es in Japan auf weit über dreißig Filme in den unterschiedlichsten
Genres - Yakuzafilm, Softsex, Horror, Drama - gebracht. Er ist Schnell-/Billigfilmer
und experimenteller Autor in einem und hat mit seinen kompromisslosen Visionen
ein Kino der Unmöglichkeiten geschaffen, das nur den eigenen Regeln folgt.
Der
kleine Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies - spezialisiert auf peripheres
Kino aus Japan - bringt dieser Tage mit "Dead or Alive" und "Audition"
zwei von Miikes stilistisch eigenwilligsten Filmen ins Kino, die zwei zentrale
Aspekte seines vielseitigen Ouevres betonen: das Verkümmern des sozialen
Gefüges in der japanischen Gesellschaft, einhergehend mit einem unfassbaren
Aggressionspotenzial, das sich in Miike-Filmen eruptiv entlädt, und seine
Rigorosität im Umgang mit filmischen und dramaturgischen Konventionen.
Beides macht seine Arbeitsweise selbst im momentan unglaublich spannenden japanischen
Kino einzigartig.
Die
Eröffnungssequenz von "Dead or Alive" zum Beispiel funktioniert
abseits jeglicher narrativer Logik und Bestimmung nur noch über ein hysterisch
komponiertes Stakkato aus Körpern, Bewegungen und japanischem Heavy Metal:
pure Beschleunigung. An der Klimax dieses bizarren Kaleidoskops spritzt der
Mageninhalt eines durchlöcherten Yakuzas - literweise Nudelsuppe - in hohem
Bogen in die Kamera. Innerhalb von fünf Minuten hat Miike die Erwartungshaltung
des Zuschauers an einen Yakuza-Film komplett über den Haufen geworfen und
ihn angemessen auf sein Kino der Verstörung vorbereitet.
Miike
vollzieht in fast allen seinen Filmen eine irrwitzige Demontage der japanischen
Gesellschaft und zeichnet das zutiefst abstoßende Bild einer sozialen
Bankrotterklärung. Die Bilder, die er für diesen Zustand der Selbstauflösung
und Entwürdigung findet, sind von selten gesehener Plakativität und
in dieser Form noch nie praktiziertem Ekel.
Zwischen
expliziten Sexpraktiken, fäkaler Erniedrigung und exzessiver Verstümmelung
lässt Miike in "Dead or Alive" und "Audition" dem Zuschauer
nur wenig Rückzugsmöglichkeiten. Der Showdown von "Dead or Alive"
gipfelt in einem haarsträubenden Superheldenduell, an dessen Ende konsequent
die nukleare Vernichtung Japans steht.
Für
die fundamentalen Mängel in der zwischenmenschlichen Kommunikation und
die daraus resultierende Soziopathie findet Miike mit seinem Meisterwerk "Audition"
eine eindrucksvolle Allegorie.
An
der zarten Liebesgeschichte zwischen dem Geschäftsmann Aoyama und der zierlichen,
verschüchterten Asami, von Miike in behutsamen, fast schon anstrengend
langsamen Bildern erzählt, statuiert er ein ultrabrutales Exempel für
das pervertierte Gesellschaftsmodell des spätkapitalistischen Sozialdarwinismus,
der seine schwächsten Glieder vergewaltigt und schließlich abstößt.
Bei Miike wird zurückgeschlagen. Wie fast alle Filme Miikes lebt auch "Audition"
von der Unberechenbarkeit seines Regisseurs.
In
einem Interview erzählte Miike vor einigen Monaten, dass er unter der enormen
Hitzeeinwirkung während der Dreharbeiten "Dead or Alive" noch
am Setting seine haarsträubende Wendung am Ende verpasst hat.
Auch
in "Audition" entzieht er dem Zuschauer in einem Strudel aus komplex
verschachtelten Realitäts- und Wahrnehmungsfenstern den sicheren Boden
unter den Füßen, wenn er nach etwa einer Stunde beginnt, verschiedene
Versionen derselben Schlüsselszenen ins Spiel zu bringen. Miike ist aber
nicht nur der radikalste Vertreter eines neuen japanischen Körperkinos.
Seine handwerklich perfekten B-Movies haben immer auch den Blick des Sozialfilmers
und versierten Psychologen. In Miikes Filmen wird Genrekino wieder lebendig.
Und
am Ende steht dann ein Trost spendendes "Und irgendwann wirst du merken,
dass das Leben einfach wunderbar ist" im Raum. Natürlich wieder nur
eine Finte.
Andreas
Busche
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der taz
Zu beiden Filmen gibt's
im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Dead
or Alive
Japan
1999 - Originaltitel: Dead or Alive: Hanzaisha - Regie: Takashi Miike - Darsteller:
Sho Aikawa, Riki Takeuchi, Hitoshi Ozawa, Shingo Turumi, Kaoru Sugita, Dankan,
Hirotaro Honda, Susumu Terajima, Michisuke Kashiwaya - Länge: 105 min.
- Start: 25.1.2001
Audition
Japan
1999 - Originaltitel: Odishon - Regie: Takashi Miike - Darsteller: Ryo Ishibashi,
Eihi Shiina, Miyuki Matsuda, Renji Ishibashi, Jun Kunimura, Ren Osugi - Länge:
115 min. - Start: 25.1.2001
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