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Dead
or Alive
Yakuza-Thriller von Takashi Miike: furios
an Anfang und Schluss, kalt-zynisch dazwischen.
Der skrupellose Ryuichi (Riki Takeuchi),
Sohn chinesischer Einwanderer, sucht Macht und Geld in der Unterwelt des Tokyoter
Vergnügungsdistriktes Shibuya. Als Kopf einer kleinen, schlagkräftigen
Gang, deren Morde und Raubüberfälle die alteingesessenen japanischen
Yakuza und die chinesischen Triaden provozieren, steht er schnell im Mittelpunkt
eines blutigen Bandenkrieges. Der unterbezahlte Cop Jojima (Show Aikawa) soll
in diesem Chaos der Kriminalität für Ordnung sorgen. Auch in seinem
Privatleben könnte es besser laufen: seine Frau ist ihm fremd geworden,
vermutlich weil beider Tochter sterbenskrank ist. Nur noch eine teure Operation
kann ihr helfen. Auch Ryuchi hat eine schwache Seite: seinen aus den USA zurückgekehrten
Bruder, der erst jetzt realisiert, wie sein Auslandsstudium finanziert wurde.
Der Kampf um Macht und Moral eskaliert, bis der Yakuza und der Cop sich am Ende
gegenüberstehen, aber nicht mehr dieselben sind...
Geistige Umnachtung hat einen festen Bestandteil
im Universum des japanischen Dauerfilmers (gut fünf, sechs Arbeiten im
Jahr, ein Teil davon auf Video, wofür in Japan ein etablierter Markt besteht)
Takashi Miike: Wir erinnern uns an den eigentlich später entstandenen "Visitor
Q", eine heitere Burleske über Inzest, Nekrophilie, Heroinsucht, Meuchelmord
und dergleichen mehr klassischen Komödienstoff oder den hervorragenden
"Audition", in dem aus einem eisig-ironischen
Melodram nach ein paar Erwartungsbrüchen ein mörderisches Gemetzel
wird. "Dead Or Alive", wie „Audition“ im Jahr 1999 entstanden, liegt
irgendwo in der Mitte: Nach Aussage von Miike ist es sein persönlichster
Film.
Der Anfang ist grandios: Zwei am Wasser
sitzende Gangster zählen den Film ein wie einen Rocksong und zu tosender
Musik kommt gut zehn Minuten lang alles, was der liebe Herrgott verboten hat
(Kokainberge/Stripshow/Vielfraß/Vergewaltigung/Mord/Selbstmord/Mord während
Vergewaltigung etc.), bevor der Film stehen bleibt und in einen Yakuza-Thriller
gleitet, fast so ruhig wie ein Film von Takeshi Kitano (dessen Kameramann bei
"Hana-bi", Hideo Yamamoto leistet sowohl im unterkühlten Handlungsteil
wie bei den grellen, gleißenden Exzessen ganze Arbeit). Aber eben nur
fast: In beruhigendem Abstand entscheidet sich Miike immer wieder für Schockbilder,
die den lethargischen Pessimismus der Handlung durchbrechen (drei beliebig heraus
gepickte Flashbacks: Tiersex/Kinderplanschbecken voll Scheiße - immerhin
ist es kein Kind, das drin ist/manischer Wiederholungszwang im Abzugsfinger
beim Russischen Roulette). Kitano balanciert die trockene Komik seiner Gewalt
durch Melancholie, bei Miike bleibt sie nur Farce. In „Dead or Alive“ kommt,
nicht so stark wie in „City of Lost Souls“, aber deutlich spürbar, ein
gewisser Zynismus zu tragen, der einer Resignation gegenüber der japanischen
Gesellschaft entsprungen zu sein scheint, der sich aber auch in einer kalten,
nahezu desinteressierten Haltung zu den Figuren niederschlägt. (In „Visitor
Q“, der in vielerlei Hinsicht noch unverfrorener auf Provokation angelegt ist,
betont die groteske Komik eher die satirischen Aspekte von Miikes Anliegen.)
In Miikes Filmen spielt die kulturelle/soziale/ethnische
Entfremdung immer eine große Rolle: Der Polizist hier hat Probleme im
Familienleben, der Yakuza ist Sohn chinesischer Einwanderer und sieht sich als
sozialer Außenseiter zu noch ruchloserem Handeln ermächtigt. In seinen
Aufnahmen von Tokio findet Miike vor allem Bilder einer Gesellschaft, die ihre
moralische Bankrotterklärung abgegeben hat: Seine Wege führen den
Cop immer wieder in die Randzonen der Stadt, wo von den Chinesen Schattenwirtschaft
betrieben wird, und die Handlungen aller Charaktere sind von Entwurzelung geprägt.
Das gibt Miike allerdings auch reichlich Anlass, sie zum Slapstick-Ballett von
Mord und Totschlag umzuformen: Der Schockeffekt von „Dead or Alive“ liegt nicht
zuletzt darin, dass es dem Regisseur herzlich egal ist, wie seine Figuren (und
bevorzugt Weibchen) traktiert und entleibt werden, solange es nur eine mitreißende
Sequenz ergibt.
Das steht in seltsamem Widerspruch zu
den offenen Handlungssträngen, die sich ebenfalls durch „Dead or Alive“
ziehen und die dem Unternehmen Komplexität verleihen sollen (im Gegensatz
zu „Audition“ wirken sie hier fast willkürlich, fördern nicht die
Verwicklungsstrategien des Plots – angesichts des Pessimismus vielleicht durchaus
beabsichtigt). Ein nervöses Unbehagen entsteht, weil die Szenen, die einen
schwerlich kalt lassen können, so ausgeprägt vom Verfall aller menschlichen
Zuneigung geprägt sind. Fast glaubt man, Miike könnte es ernst meinen
mit seiner Gesellschaftskritik, das brutale Kasperltheater rundherum sei nur
Camouflage. Aber dann kommt der Showdown und gegen den sehen die großen
Momente des Grand Guignol aus wie die Teletubbies: Nur – verraten sollte man
davon nichts; das muss man schon wirklich selbst gesehen haben.
Fazit: Streckenweise brillant provokative,
zumeist eher deprimiert-zynische Gewaltorgie.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.allesfilm.com
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Dead
or Alive
Japan
1999 - Originaltitel: Dead or Alive: Hanzaisha - Regie: Takashi Miike - Darsteller:
Sho Aikawa, Riki Takeuchi, Hitoshi Ozawa, Shingo Turumi, Kaoru Sugita, Dankan,
Hirotaro Honda, Susumu Terajima, Michisuke Kashiwaya - Länge: 105 min.
- Start: 25.1.2001
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