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Dem Himmel so fern
Die Frage, welche Gewalten
die sozialen Verhältnisse in der gehobenen amerikanischen Mittelklasse
verfassen und unter welchen Bedingungen diese wirksam werden, hatte Todd Haynes
bereits 1987 in seinem Kurzfilm "Superstar - The Karen Carpenter Story"
mit pragmatischem Zynismus beantwortet: Er sperrte Karen Carpenter, die traurige
Sängerin des WASP-Familienpopbetriebs The Carpenters, in ein Puppenhaus.
Das öffentliche Leben der Karen Carpenter, zeigte Haynes, ist ein (durch
ihren Bruder) gesellschaftlich sanktioniertes gewesen, und darum musste sie
in ihrem nicht-öffentlichen Leben auch so fatal zu Grunde gehen. Karen
Carpenter starb depressiv, magersüchtig und viel zu jung. In Haynes Film
hatten Barbiepuppen die Rollen von Unterdrücker und Unterdrückter
übernommen.
In "Safe" (1995) wirkten die Repressionen
bereits struktureller. Julianne Moore verfiel als neurotische All American-Hausfrau
Carol White unter dem Einfluss einer höllischen Ehe und permanenter Selbsthilfe-Fernsehspots
einer schleichenden Keim-Phobie, bis sie sich von ihrer Umwelt und sich selbst
komplett abgeschottet hatte. Haynes hatte damals in einem Interview über
sein luftdichtes, antiseptisches Kammerdrama gesagt, dass er eindeutig auf der
Seite der "Krankheit" stehe, nicht auf der der so genannten "Normalität".
Die Dialektik von Krankheit
und Normalität bestimmt auch Haynes neuen Film "Dem Himmel so fern".
An der Position Haynes hat sich nichts geändert, nur am Ton. Die Beklemmungen
haben sich etwas gelöst, in Bild und Sprache, und sind umgeschlagen in
eine stumme Hysterie. Normalität ist in "Dem Himmel so fern"
so überhöht, dass sich das latent Kranke bereits in jeder Geste, jeder
Bewegung der Menschen zueinander ausdrückt. Haynes fand Spuren einer solch
schleichenden Soziopathie in den 50er Jahre Technicolor-Melodramen Douglas Sirks.
Aber auch wenn der 50er-Jahre Retro-Charme von "Dem Himmel so fern"
eine sentimentale Verklärung impliziert, hat Haynes seinem Film die Nostalgie
gründlich ausgetrieben. Dem Zitat, das er hier anführt, kommt eine
ganz bestimmte Funktion zu: In den Filmen Sirks konnte Normalität nur noch
über eine karthatische Symbolik (Flugzeugabstürze, Selbstmordversuche,
Autounfälle) wiederhergestellt werden. Auch Sirk ist nie auf der Seite
dieser Normalität gewesen, und wie bei Haynes verfügten auch seine
Figuren nicht über die Mittel, die gesellschaftlichen Konventionen erfolgreich
zu überwinden.
Kathartische Momente sind auch
in "Dem Himmel so fern" Symptome eines beunruhigenden Krankheitsbildes,
aber die Gesellschaft hat selbst bereits eigene spezifische Krankheiten ausgebildet,
um den Normalzustand zu wahren: Rassismus und Homophobie. Diese Normalität
läßt sich in "Dem Himmel so fern" zur Not auch medizinisch-wissenschaftlich
wiederherstellen: mit Elektroschock- und Hormontherapien gegen die "unnatürliche"
Libido. Innerhalb dieses "normalen" sozialen Gefüges dagegen
ist alles so sauber, strahlend und klinisch, dass die Menschen unter der Anspannung
der permanenten Selbstkontrolle fast zu ersticken drohen. In der Diskrepanz
zwischen diesem Innen und Außen liegt die Tragik von Haynes Figuren.
Hieß es bei Sirk noch
"All that Heaven allows", sind die Menschen in Haynes Film bereits
hoffnungslos "Far from Heaven" (so der Originaltitel). Dennis Quaid
und Julianne Moore sind Frank und Cathy Whitacker, Mr. And Mrs. Magnatech, ein
Bilderbuch-Ehepaar im kleinstädtischen Hartfort, Connecticut der 50er Jahre:
dem Amerika der Sirk-Melodramen. Und Sirk ist bei Haynes in jeder Sekunde präsent,
ob in der Farb-Regie von Kameramann Ed Lachmann (lichtdurchflutete Bilder in
knalligen Herbstfarben) oder der Musik von Elmer Bernstein zwischen orchestralem
Pathos und Kammermusik. Das Melodram hat seine Bilder wiedergefunden und in
dieser zugespitzten formalen Dramaturgie steht die panische Verzweiflung der
Menschen verloren wie die bonbonfarbenen Wohlstandskarossen zwischen den sauber
abgezirkelten Vorgärten.
Sirks "All that Heaven
allows" liefert die erzählerische Grundlage für "Dem Himmel
so fern". Haynes hat die Geschichte um die unmögliche Liebe zwischen
einer ältlichen Witwe und ihrem jungen Gärtner an zwei entscheidenden
Punkten um weitere Sirk-Zitate ergänzt. Im Gegensatz zu Jane Wyman ist
Julianne Moore mit einem Mann verheiratet, den es nachts in Schwulenbars treibt
(Quaid spielt die einzelnen Stadien von Robert Stacks Männlichkeitsverlust
aus "Written in the Wind" perfekt nach), und der Gärtner Rock Hudson wird
bei Haynes von dem Afro-Amerikaner Dennis Haysbert gespielt: eine Referenz an
"Imitation of Life". Das Konfliktpotential staut sich wie in einer
Seifenoper, aber es hat überhaupt nichts Lächerliches, weil die Menschen
den sozialen Druck kaum noch kompensieren können.
Julianne Moores Gesicht ist
unter der gesellschaftlichen Zwangs-Etikette wie zu einer Maske erstarrt; ihr
zwanghaftes Dauerlächeln wirkt fast hysterisch. Hysterie ist mehr noch
als in "Safe" eine permanente Grundstimmung, und nur manchmal noch
bricht es aus den Menschen heraus (meistens passiert es hier Dennis Quaid, der
entweder heult oder seine Frau schlägt). Haynes liegt ganz richtig, wenn
er mit "Dem Himmel so fern" dem Pomp anstelle eines Realismus den
Vorzug gibt: Rassismus und Homophobie als Zivilisationskrankheiten sind eigentlich
nur noch als Groteske beizukommen, und selten hat ein Regisseur das Pathologische
dieser sozialen Defekte grandioser konterkariert. Haynes lässt die Farben
sprechen.
Raymond Deagon (Haysbert) hat
die semiotische Determiniertheit der Verhältnisse schon sehr gut verstanden,
wenn er Cathy Whitacker ihren weißen Schal mit den Worten "Die Farbe
passt" zurück gibt. Farben bestimmen in “Dem Himmel so fern” die gesellschaftliche
Ordnung. Es ist nur die Farbkombination ihrer zaghaften Liasion, die im puritanischen
Connecticut so überhaupt nicht "passt". Wie als sarkastischer
Kommentar sind die übrigen Farben dafür umso genauer aufeinander abgestimmt:
das Herbstlaub, die Kostüme, die Autos, die Einrichtungen - selbst das
Urlaubsparadies Miami ("Everything's so pink!").
Was es heißt, unter solchen
Bedingungen wieder einen Normalzustand herzustellen, zeigt Haynes in letzter
Konsequenz. Am Ende muss ein schwuler Ehebruch gegen eine vermeintliche Liebesaffäre
aufgerechnet werden, damit wieder Ruhe herrscht. Die Gesellschaft hat sich ein
Minimum an Toleranz abgerungen, denn die Grundprämisse lautet: Niemand
hat hier Vorurteile. Haynes zeigt sehr genau, wie diese elitäre Gemeinschaft
sich selbst am Leben erhält. So sehr sie sich nach Außen hin auch
abgeschirmt hat, durchzieht eine fast totalitäre Überwachungsstruktur
die Privatleben: von alten Damen mit zu großen Hüten herausgegebene
Gesellschaftsmagazine, das Kaffeekränzchen, die Abendgesellschaft, die
beste Freundin.
Das Scheitern dieser Menschen
ist im Sirk-Zitat implizit. Genau wie die Kamera Moore oder Quaid immer wieder
alleine im Bild stehen läßt, machen auch ihre verbotenen Leidenschaften
einsam. Haynes bringt dabei ein Höchstmaß an Verständnis für
seine Figuren auf. Letztendlich aber steht "Dem Himmel so fern" einem
anderen Sirk-Apologeten noch näher als Sirk selbst: Rainer Werner Fassbinder.
Auch Haynes gönnt seinem Film keine Sentimentalitäten.
Andreas Busche
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Dem Himmel so fern
USA 2002 - Originaltitel: Far from Heaven - Regie: Todd Haynes
- Darsteller: Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert, Patricia Clarkson,
Viola Davis, James Rebhorn, Bette Henritze, Michael Gaston, Ryan Ward - FSK:
ab 6 - Länge: 107 min. - Start: 13.3.2003
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