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Departed:
Unter Feinden
Die Bombe unter
dem Tisch
Ein wohliges Gefühl befällt den Zuschauer,
als rauhe Töne der frühen Rolling Stones hereinbrechen, während
Archivaufnahmen von den Rassenunruhen der 70er Jahre in Boston über die
Leinwand ziehen. "The Departed" ist kein gravitätisches Geschichtsdrama
wie "Gangs
of New York" und schon gar keine
symbolische Menschheitsfabel wie "Aviator", das hier ist von der ersten Minute an eine
Rückkehr in den Hexenkessel aus Guns’n’Crime, aus betrogenen Loyalitäten,
Männerehre und blutiger Vergeltung. Hier hat einer zurück nach Hause
gefunden und fühlt sich sichtlich wohl dabei.
Und nicht nur Scorsese merkt man die Lust an, wieder
in den Kloaken des modernen Großstadtverbrechertums herumzustochern, auch
sein furioses Inszenierungsteam um Kameramann Michael Ballhaus und Editorin
Thelma Schoonmaker brilliert auf heimischem Terrain endlich wieder. Vorbei sind
die Zeiten der prätentiösen Künstlichkeit und des konzeptuellen
Anspruchs – es geht wieder um die Darstellung von Leben und Tod, um die Inszenierung
von Dreck und Raffinesse. Es gibt wieder, wie von Hitchcock einst gefordert,
eine Bombe unter dem Tisch, auf deren Zündung die Zuschauer warten. Gelegt
wird sie schon in den ersten Minuten, aber dann tickt sie erstmal verdammt lange
vor sich hin.
Zweieinhalb Stunden nimmt sich "The Departed"
Zeit, und daß keine Minute davon langweilig ist und man sich keinen der
zahlreichen Subplots herausgeschnitten wünscht, das verdankt Scorsese in
erster Linie seinen Schauspielern, die schon bei den vorherigen Projekten des
Regisseurs als einzige Abteilung der seelenlosen Ambition Paroli zu bieten versuchten.
William Monahans schlagfertiges Drehbuch führt eine Fülle spannender
Charaktere in die Geschichte ein, Ellen Lewis hat sie mit den schlangestehenden
Hollywood-Stars besetzt, und diese verschwenden keine Sekunde mit Zögern.
Ein erschreckend kalter Damon und ein endlich erwachsener DiCaprio gefallen
als gegensätzliche Doppelgänger, während Jack Nicholson bei seinem
ersten Film seit fünf Jahren sichtlichen Spaß daran hat, mit vollem
Mund zu reden, sexuelle Widerlichkeiten zu grölen und auch sonst seine
eigentlich unspektakulär angelegte Bösewichtsrolle zu einem bestialischen
Über-Monster zu stilisieren. Aber danach geht der Spaß erst richtig
los: Unter "ferner" laufen nämlich Kaliber wie Martin Sheen oder
Ray Winstone herum, oder ein überraschend grandioser Mark Wahlberg, der
als energiegeladener Choleriker keine drei Sekunden durchsteht, ohne irgendjemandes
Mutter aufs Übelste zu beleidigen. Auch Alec Baldwin darf mal wieder in
der A-Liga ran, und daß man ihn hier so ungehemmt toben und fluchen läßt
wie sonst nur in den Filmen von David Mamet, das ist ein weiterer Glücksgriff.
Sogar die Neueinsteigerin Vera Farmiga, die einzige Frau in diesem mit Testosteron
überschwemmten Starkstromhäuschen von einem Film, kann angesichts
solcher Mitspieler ihre Figur behaupten und alle lauernden Klischee-Klippen
umschiffen.
Dramaturgisch aber überdehnt Scorsese den Bogen
dabei beinahe. Den rasanten 90-Minuten-Hongkong-Thriller "Infernal
Affairs", der hier als Vorlage
diente, bläst er zum stolzen Psychologie- und Gesellschaftsepos auf, trotzdem
(oder gerade deswegen?) gelingt die Gratwanderung zwischen Kopie der Vorlage
und der Angleichung an amerikanische Verhältnisse über weite Strecken
meisterlich. Alle herausragenden Szenen des atmosphärisch dichten Vorgängerfilms
wurden von Drehbuchautor Monahan klugerweise übernommen – nur werden sie
durch die hinzugefügten Szenen neu interpretiert und von einer anderen
Seite beleuchtet. Statt des üblichen dramaturgischen Fetts oder gar trägen
Hollywood-Klischees werden in diesem Remake den Figuren neue Schichten gegeben,
die dann auch dieses Kunststück von einem Ende überhaupt erst möglich
machen: "The Departed" schließt genau wie das Hongkong-Original
– und doch komplett anders. Nachdem man in den letzten Jahren haarsträubende
Remake-Drehungen zum Happy End mitansehen mußte (man denke zum Beispiel
an das gräßliche neue Ende in der 1999er-Version von "Thomas
Crown ist nicht zu fassen"),
schafft es Scorsese tatsächlich, noch fatalistischer zu schließen
als das nun wirklich pechschwarze Original.
Denn nachdem die Bombe zweieinhalb Stunden lang unter
dem sprichwörtlichen Tisch schlummerte und die Figuren hektisch herumrannten
und sie zu entschärfen suchten, nachdem die Erwartungen durch ständige
Spannungssteigerung eigentlich unerfüllbar hoch liegen und man sich schon
auf einen enttäuschenden Abschluß vorbereitet, genau da zaubert der
Meister eine letzte Überraschung aus dem Ärmel: Das Ende gerät
Scorsese zum größten und moralisch zwiespältigsten Blutbad seit
Travis Bickles berühmtem Bordellbesuch. Und solche Vergleiche
muß man sich erst mal verdienen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Departed:
Unter Feinden
The Departed.
USA 2006. R: Martin
Scorsese. B: William Monahan. K: Michael Ballhaus. S: Thelma Schoonmaker. M:
Howard Shore. P: Warner Bros. Pictures, Vertigo Entertainment, Initial Entertainment
Group u.a. D: Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg u.a.
155 Min. Verleih ab 7.12.06
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