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The
Descent
In
Neil Marshalls Platzangst-, Blut- und Beuschelthriller The Descent
sind
die unterirdischen Höhlengänge so eng, dass nicht einmal Subtexte
vernünftig Platz haben. Weitschweifiges zu einem absurd fachkundigen britischen
Horrorfilm (und Anmerkungen zu Serenity).
Sie
sind so gefräßig wie gelenkig, und wenn der große Hunger kommt,
dann wagen sie sich aus jenen Nischen, die ihnen die Evolution überlassen
hat. Aus der Ferne sehen sie ziemlich unspektakulär aus, aber im Nahkampf
sind sie gefährlicher als mancher saturierte Riesenaffe. Die Rede ist von
jenen Kreaturen, die in The
Descent
eine Höhle bevölkern und im Laufe der Handlung den Caving-Trip einer
jungen Frauengruppe zum echten Extremsport verschärfen. Zum anderen will
diese Beschreibung aber etwas windschief metaphorisch auf diesen Film selbst
hinaus: als einen Vertreter jener eigenartigen Form von "bescheidenen"
Blockbustern, die das Mainstream-Genre-Kino in letzter Zeit entscheidend auffetten.
Joss
Whedons SciFi-Soap Serenity
- um ein anderes Beispiel zu nennen - wurde in wohlmeinenden Kritiken gar als
"low-budget
production"
bezeichnet: Eine Wortwahl, die allerdings - zumal bei einem 40-Mio.-Dollar-Film
mit CGI-Weltraumschlachten und Kickbox-Exzessen auf achtbarem Niveau, der sich
sogar eine eigene Zombie-Rasse leistet - origineller anmutet als Whedons entspanntes
Pastiche diverser Science-Fiction-Topoi selber.
An
die Stelle des Erfindens tritt in diesen Filmen das fachkundige Ausweiden anderer
Genre-Produkte. Derartiges Recycling ist freilich nichts Neues, sondern - wie
einem inzwischen schon jeder erstsemestrige Filmwissenschaftsstudent erzählen
kann - vielmehr das Grundprinzip des postklassischen Hollywood-Kinos, wie es
etwa in den 70ern Jaws und
Star
Wars
vorexerziert haben. Und genauso wenig neu ist, dass Hollywood selbst in seinen
größenwahnsinnigsten Phasen Filme in unterschiedlichen Budget-Größen
fertigt. Neu ist vielmehr, dass The
Descent
und Serenity ihr
Material nicht von kleineren, trashigeren Filmen nehmen und zur Großproduktion
"veredeln",
sondern eher den umgekehrten Weg gehen: Es schließt sich ein Kreis, wenn
- nach Jahrzehnten, in denen der zusehends aufgeblasene Star
Wars-Franchise-Apparat
das Maß aller Hollywood-Megalomanie war - die schlanke Outlaw-Western-Weltraumsaga
Serenity
dem
ersten, verhältnismäßig billig gedrehten Star
Wars-Film
(zumindest produktionstechnisch) wieder verblüffend ähnlich sieht.
Vielleicht ist dieser Kreis, der sich da schließt, ja auch ein ganzer
Produktionszyklus: Angesichts des Kollapses, den Hollywoods Produktionslogik
des immer größeren, immer spektaktuläreren Megasellers gerade
erlebt, wirken Filme wie Serenity
und The
Descent
wie ein plausibles Ausstiegsszenario aus der sich beständig hochschraubenden
Kostenspirale. Die Machtübernahme des gut gemachten, soliden Mini-Blockbusters,
das ist zugegebener Weise kein besonders radikales Szenario für eine Revolution
des Hollywood-Systems, aber es ist allemal realistischer als eine neue künstlerisch
fruchtbare Verwirrung à la New Hollywood vorherzusagen (oder die planstabsmäßige
Verfertigung von mindestens zwei kontroversiellen Augenblicks-Knüllern
à la The
Passion of the Christ
und Fahrenheit
9/11
pro Saison).
Was
ein solches Kino leisten könnte und was nicht, das lässt sich an The
Descent
studieren:
Die
britische 3-Mio.-Pfund-Produktion ist, wiewohl wenig innovationsfreudig, einer
der effektivsten Mainstream-Schocker seit Langem (und meiner bescheidenen Meinung
nach ja nerven-strapazierender und weniger mechanisch als James Camerons vielgelobter
Prototyp Aliens):
ein Horrorfilm, dessen stolz vor sich hergetragenes Auskennertum zugleich verwöhnt
und irritiert. Neil Marshall weiß genau, wie viel Zeit er sich bis zum
ersten Monster-Angriff lassen darf und wie man bis dahin die Schrauben beim
Publikum mit kleinen Irritationen immer enger setzt, wie man Dunkelheit und
Enge beim Höhlenklettern der Damenpartie suggestiv beklemmend in Szene
setzt. Und da er die üblichen Erzählrhythmen und Gattungsregeln kennt,
kann er sogar einige davon umstellen, sodass wir einmal mitten in einen tödlichen
Schlag mit dem Eispickel hineinpurzeln, der so im Genre-Handbuch nicht vorgesehen
ist.
Die
Schlauheit und der Fleiß, mit denen Regisseur und Drehbuchautor Neil Marshall
hier nicht bloß smarte Furcht-, Schreckens- und Ekel-Strategien ausspielt,
sondern auch diverse ostentativ "tiefsinnige" Deutungsschneisen über
die dunkle Natur des Menschen verlegt, ringt einem Anerkennung ab. Zugleich
wirken seine Anstrengungen aber recht unverbindlich und streberhaft: als wolle
er halt gerne mal einen kleinen Horrorklassiker schaffen und vielleicht sogar
genug Subtext anhäufen, um in der akademischen Horrorfilm-Literatur des
nächsten Jahrzehnts ein wenig mitspielen zu dürfen.
Man
traut sich gar nichts zu schreiben von den vielen uteralen, feuchten Innenräumen,
durch die hier in einem fort gekrochen wird, von dem umgekehrten Höhlengleichnis
in Richtung Wahnsinn, das der Film erzählt, vom Aufbrechen von Bestialität
unter der Oberfläche der zivilisierten Frauenfreundschaften - all diese
Allgemeinplätze wirken auf der Leinwand verblüffender Weise genauso
sehr als bloße Behauptungen wie im geschriebenen Text: Diese Subtexte
sind plausibel ins Handlungs- und Wirkungs-Gefüge des Films eingepasst,
und doch wollen sie nie auf mehr hinaus als auf einen Beleg für die Gewitztheit
des Autors. Sogar, dass der Film mit einem Trauma ansetzt und mit Extremsport
weitergeht, erreicht hier kaum jene Aussagekraft, die man einer derartigen Bedeutungsspur
auf dem Papier vielleicht zutrauen würde. Jeder (auch wirklich schlechte)
Schundler der Roger-Corman-Schule ist ein reicheres semantisches Gewirr als
dieser Visitenkarten-Film, an dem sogar und gerade die Subtexte fatal gestreamlined
wirken.
Die
als Abgründigkeit getarnte Servilität erreicht ihren Höhepunkt,
wenn uns schließlich zwei Enden kredenzt werden, von denen sich jedes
- je nach Belieben des Zusehers - als Phantasie auf das andere beziehen könnte:
Ist eh wurscht. Auf der DVD kann man sich dann vermutlich vor Beginn des Films
zwischen der "solemn
rebirth ending"-
und der "pointless
peudo-absurdist ending"-Fassung
entscheiden. Thriller-Drehbuchautoren dieser Welt, das wäre doch ein schöner
Anlass, es mit den finalen plot
twists
einstweilen gut sein zu lassen, abgemacht?
(Die
Budgetzahlen-Schätzwerte sind der Internet
Movie Database entnommen.)
Joachim
Schätz,
18.12.2005
Dieser
Text ist auch erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Texte
The
Descent
(GB
2005)
Regie:
Neil Marshall
Buch:
Neil Marshall
Produktion:Christian
Colson
Musik:
David Julyan
Kamera:
Sam McCurdy
Schnitt:
Jon Harris
Besetzung
(In alphabetischer Reihenfolge):
MyAnna
Buring, Craig Conway, Natalie Jackson Mendoza, Molly Kayll, Stephen Lamb, Shauna
Macdonald, Oliver Milburn, Saskia
Mulder, Nora-Jane Noone, Alex Reid, Leslie Simpson, Mark Smith
Länge:
99 min
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