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Die Gewalt und die
schöne Kunst
Die Klavierspielerin
In seiner Verfilmung des ersten Romans der Österreicherin
Elfriede Jelinek ("Lust") bleibt der Österreicher Michael Haneke
("Bennys
Video", "Funny Games") seinem Hauptthema treu: Die Anatomie
von Gewalt. Diesmal hat er sich erstmals großer (französischer) Stars,
Isabelle Huppert und Annie Girardot bedient und den Spezialpreis der Jury von
Cannes bekommen. Ein schwer zugänglicher Film über Neurosen, Sonaten
und Gewalt.
Die nicht mehr ganz junge Pianistin und Professorin
für Klavier Erika Kohut (Isabelle Huppert) lebt mit ihrer Mutter (Annie
Girardot) seit dem Tod des Vaters in einem fatalen Abhängigkeitsverhältnis.
Sogar das elterliche Ehebett teilen die Frauen. Eifersüchtig bewacht die
Mutter die Tochter, die es anscheinend schon lange aufgegeben hat, sich aus
dieser erstickenden Hassliebe zu befreien. Ihre Befriedigungen findet die freudlose
Erika in Selbstverstümmelungen, beim Schnuppern am Sperma in Sexvideokabinen
und in einer übergrossen Strenge und Grausamkeit gegenüber ihren Klavierschülern,
bis sie sich eines Tages in einen Studenten verliebt: Walter Klemmer (Benoit
Magimel), ein vielversprechendes Klaviertalent, der ihr offen Avancen macht,
und es gegen ihren Willen schafft, in ihre Meisterklasse aufgenommen zu werden.
Nach anfänglichem Widerstand stellt Erika autoritär Bedingungen für
ihre Art einer Liebesbeziehung: Nur in masochistischer Erniedrigung will sie
"geliebt" werden. In einem langen Brief verlangt sie u.a. "Schläge
mit dem Handrücken, und wenn ich bettele, dass du aufhörst, sollst
du mich nur noch härter schlagen". Als Walter sich daraufhin angewidert
von ihr abwendet, stellt sie ihm nach und verspricht ihm, alles zu tun, was
er will, seine "normale" Liebe zu praktizieren, weil sie "ein
Leben lang auf ihn gewartet" habe und ihn liebe. Aber dann demütigt,
misshandelt, vergewaltigt und verlässt er sie schliesslich, aus Gründen
gekränkter Eitelkeit, voller Verständnislosigkeit und Hass. Erika
bleibt allein in ihrem Käfig. Die einzige Chance einer Äusserung und
Kontaktaufnahme ihres eingesperrten Ichs ist gescheitert. Sie wird nicht verstanden.
Ihr Leben ist endgültig obsolet geworden.
Wie in seinen wichtigen Filmen "Benny‘s Video"
und "Funny Games" ist auch die Hauptfigur in "Die Klavierspielerin"
nahezu entmenschlicht und unfähig zu Gefühlen. Nur in der Ausübung
oder dem Erdulden von Gewalt scheinen Hanekes Protagonisten noch einen Rest
von Erleben zu finden. Meistens bleibt es nicht bei dieser konkreten Studie,
denn immer wieder werden diese Kranken und Degenerierten als aus ihrem Umfeld,
der Familie, der Gesellschaft erzeugte, gezeigt.
"Die Klavierspielerin", nach aussen hin
angesehenes und etabliertes Mitglied der Gesellschaft, ist im Privatleben eine
Katastrophe, wie auch ihre Mutter eine ist. Das dunkle, schreckliche Geheimnis
psychischer Verwahrlosung lebt hinter verschlossenen Türen. Das künstlerische
Erbe der grossen Komponisten Bach, Schubert, Schönberg (die im Film häufig
und beeindruckend interpretiert werden), das auch ein Synonym für vollendete
aufgeklärte Kultur darstellt, wird konterkariert mit Erikas Bedürfnis
nach ausgefeiltem Sadomasosex. Die öffentliche, bildungsbürgerliche
Kultur geht gut Hand in Hand mit destruktivsten Trieben, und selbst der charmante
und begabte Klemmer bildet da keine Ausnahme.
Auffallend ist die Kälte der Welt, in der diese
Figuren leben. Ein den Figuren eigener Humor wie auch erzählerischer Humor
glänzt in Hanekes Filmen grundsätzlich durch Abwesenheit. Atmosphärische
Kälte wird erzeugt durch gnadenlos lange Einstellungen auf grausame, unmenschliche
Szenen. Die Kamera ist unnachgiebige Berichterstatterin des Grauens. Sie beobachtet
einsame und verlorene Menschen in ihren schrecklichsten, quälendsten Erlebnissen.
Menschen, deren Geheimnis nur angedeutet wird, die selbst dem Zuschauer fremd
bleiben. "Die Klavierspielerin" ist alles andere als eine leicht zu
enträtselnde Figur, trotz einer bis an ihre Grenzen schauspielernden Huppert,
und so scheint es fast, als bliebe sie nicht nur allein in ihrer Geschichte,
sondern als würden auch wir sie verständnislos allein lassen müssen.
Trotz der brutalen Offenheit macht die gleichzeitigeVerschlossenheit seiner
Erzählweise den Film schwer zugänglich, mitunter kann man die manchmal
quälende Dauer sicher in realo genauso langer Szenen gar als langweilig
empfinden, aber dann kann einen auch wieder jener Kälteschauer überkommen,
wenn man spürt, wie nahe doch diese zeitlich eins zu eins dargestellte
Gewalt jener real existierenden Gewalt sein muss, die es immer wieder und überall
gibt.
Nachtrag: Diese Kritik bezieht sich auf die Kinoversion der "Klavierspielerin". Die Videofassung ist gerade in den Szenen gekürzt, die den Film zu einem echten Haneke machen: Quälend lange Einstellungen von Gewaltakten, Erbrechen von Sperma, etc. Dadurch verliert der Film seine wesentlichen Aussagen und wird zu einem recht harmlosen Stück über eine kranke Frau.
Andreas Thomas
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: filmrezension.de
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Die
Klavierspielerin
von
Michael Haneke, Österreich/F 2001, 130 Min.
mit
Isabelle Huppert, Benoît Magimel, Annie Girardot
nach
dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek,
Literaturverfilmung
Start:
11.10.2001
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