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Donnie Darko
Dieser Text ist der Versuch einer Interpretation des Films
„Donnie Darko“ von Richard Kelly. Er wendet sich an Leute, die den Film bereits
kennen (deshalb werde ich auch weniger detailliert den Inhalt berücksichtigen),
bzw. an solche, die es nicht stört, wenn ihnen das Ende des Films verraten
wird. Hinweis: Es könnte den Genuss der Spannung beim ersten Sehen schmälern,
wenn man diesen Text vorher gelesen hat - wenngleich der Film aus vielen Gründen
auch nach dem dritten Mal noch spannend bleibt. Ein Analyseversuch des Films
scheint mir jedenfalls nur möglich, wenn ich das Ende ausplaudere, weil
es einen möglichen Aufschluss für den ganzen Film liefert.
Mad World
All around me are familiar faces
Worn out places, worn out faces
Bright and early for their daily races
Going nowhere, going nowhere
And their tears are filling up their glasses
No expression, no expression
Hide my head I want to drown my sorrow
No tomorrow, no tomorrow
And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I'm dying
Are the best I've ever had
I find it hard to tell you
'Cos I find it hard to take
When people run in circles
It's a very, very
Mad World
Children waiting for the day they feel good
Happy Birthday, Happy Birthday
Made to feel the way that every child should
Sit and listen, sit and listen
Went to school and I was very nervous
No one knew me, no one knew me
Hello teacher tell me what's my lesson
Look right through me, look right through me
(Tears for Fears)
Ein Teil eines Flugzeugs kracht in ein Haus - mit tödlichen
Folgen. Angelaufen am 26.Oktober, 2001, also kurz nach dem 11. September, 2001,
besaß der Film „Donnie Darko“ so viel visionären Gehalt, dass seine
US-Besucherzahlen sehr gering waren. In die deutschen Kinos kam er schon erst
gar nicht, und lange hat es gedauert, bis er seinen bei uns inzwischen unübersehbaren
Kultstatus über zuerst eine Videoversion und seit Anfang 2004 auch eine
DVD erreichte. Die Vorhersage eines Crashs zwischen Flugzeugteil und Haus ist
ja schon unheimlich (ist Regisseur und Drehbuchautor Richard Kelly vielleicht
selbst der in seinem Film ausgiebig thematisierten Fähigkeit des Zeitreisens
mächtig?), den Nerv einer Epoche aber trifft der Film besonders wegen seiner
pessimistischen Bestandsaufnahme der amerikanischen Kultur am Ende des 20. Jahrhunderts,
genauer: der Zeit kurz davor, denn „Donnie Darko“ ist ein Blick zurück
in die auslaufenden achtziger Jahre.
Wenn „Donnie Darko“, der in im Film genau datierten 28
Tagen die amerikanischen Achtziger mit einem (imaginierten) Weltuntergang zu
Ende gehen lässt, dann passt das schon. Zumindest in einem kulturhistorischen
Sinn. Jedenfalls scheint mir, dass mit dem Einläuten der neunziger Jahre
die allerletzten öffentlichen Nischen für Träumer oder seelisch
Labile, wie der Donnie im Film einer ist, geschlossen wurden. Mit den Neunzigern
begann die Ära der Gesunden, der Fitten und der immer Leistungsfähigen.
Unangepasstheit war in den Neunzigern entweder – z.B. im Bereich des Neuen Marktes
– visionär und wirtschaftlich innovativ, in ihrer optischen Ausprägung
neuer Style, oder - im Fall ihrer Nicht-Integrierbarkeit – stigmatisiert. Der
Turbo-Kapitalismus begann, nicht nur endgültig seine „gesunden“ Normen
zu konstituieren, sondern sich auch zu einer Art Religion zu entwickeln, die
nichts mehr neben sich dulden will, keine Schwachen, keine Verlierer, keine
„menschlichen“ Problemstellungen, geschweige denn humanere politische Alternativen.
Dass die letzten gesellschaftlichen Toleranzreserven
erschöpft sind, dass es kälter und dunkler wird in den USA, spürt
auch Donnie Darko, der jugendliche Held des Films, denn ihm bleibt nur Psychoanalyse
und Hypnosetherapie, um seinen Frust an der Highschool und seinem ratlosen bürgerlichen
Elternhaus abzuarbeiten. Offenbar ohne Erfolg, aber „Donnie Darko“ handelt nicht
wirklich von diesem frustrierenden, kurzen Leben, sondern eigentlich von Donnies
Traum davon, wie die letzten 28 Tage seines Lebens hätten anders verlaufen
können. Donnie Darko ist ein Schlafwandler, ein Träumer in seinem
eigenen Traum, und sein Traum besteht aus Versatzstücken seiner Wirklichkeit,
die z.T. ins Groteske verzerrt (wie es in Träumen üblich ist), aber
in ihrer Verzerrung umso deutlicher wird. Seine Geschichte ist die seelische
Wirklichkeit eines adoleszenten jungen Mannes, der mit seiner Umgebung nicht
klar kommt, nicht nur, weil er er „zu labil“ ist und an „paranoider Schizophrenie“
leidet, sondern auch, weil die Verhältnisse, in denen er lebt, kaum weniger
schizophren sind, als er. Sind die Geschehnisse in „Donnie Darko“ mitunter etwas
absurder und düsterer als das wirkliche Leben, heißt das noch nicht,
dass die ihnen zugrunde liegende Realität ihrem Wesen nach nicht genauso
düster ist.
Merkwürdige Dinge geschehen in Middlesex: Der eigentlich
freundliche und liberale Vater von Donnie ist geneigt, George Bush Senior zum
Präsidenten zu wählen, obwohl er weiß, dass Bush als CIA-Chef
totalitäre Regimes unterstützt hat. Eine Lehrerin versucht tatsächlich
ihren Schülern weiszumachen, man könne sämtliche Beweggründe
menschlichen Handelns auf zwei Begriffe reduzieren, zwei psychische Pole, zwischen
denen eine Gerade verlaufe, auf der sämtliche menschliche Entscheidungsmotive
markierbar seien: „Angst“ und „Liebe“. Urheber solch schlichten und dogmatischen
Gedankenguts ist der geschäftstüchtige selbsternannte Guru Cunningham
(Patrick Swayze), der im Ort schon soviel Einfluss hat, dass Lehrer, die eine
differenzierte, humanistische Bildung vermitteln wollen (Drew Barrymore), kurzerhand
ihren Job verlieren. Cunningham nutzt die allgemeine Orientierungslosigkeit
angesichts immer undurchschaubarerer gesellschaftlicher Verhältnisse dazu
aus, seine einfache, verdummende Ideologie zu verkaufen. Denn natürlich
- das sieht man sofort - hat er nichts zu sagen, das braucht er auch nicht,
denn die Leute wollen eben auch nichts mehr hinterfragen, sie wollen nur noch
an etwas glauben können. Da wirkt es fast auch nur störend, dass Saubermann
Cunningham leider einen Kinderpornoring betrieben hat.
Donnie lebt in einer verwirrten, gehirngewaschenen Gesellschaft,
die dabei ist, ihre letzten moralischen und kulturellen Güter aufzugeben.
Aber – und darin ist der Film „Donnie Darko“ ein Science-Fiction-Film – der Donnie in seinem Traum ist in der Tat (sein Comic-hafter
Name deutet das ja an) ein Superheld, weil er mithilfe seines Einflüsterers
Frank in der Lage ist, ein wenig an den Verhältnissen zu verändern:
Er verschafft den Schülern einen freien Tag, indem er die Schule unter
Wasser setzt, und er lässt Cunninghams Machenschaften auffliegen, indem
er dessen Villa in Brand steckt: in einem geheimen Raum findet sich dessen Sammlung
von Kinderpornographie.
Wenn ich nun gesagt habe, dass der Film hauptsächlich
von Donnies letztem Traum handelt, dem Traum eines Sterbenden („the dreams in
which I’m dying are the best I’ve ever had“), dann muss ich auch erwähnen,
dass zwei Teile des Films, am Beginn und am Schluss, Szenen aus Donnies realem
Leben/Tod wiedergeben. Alles, was am Anfang geschieht, bis zum ersten Auftritt
des Jungen im Hasenkostüm, ist Donnies Realität. Sein Traum setzt
im Moment seines Sterbens, im dem Augenblick ein, als die Flugzeugturbine ihn
in seinem Zimmer zerquetscht. Ab diesem Moment erträumt er sich eine andere
Realität, eine bessere als die, die er zeitlebens kannte. Eine Realität,
in der er nicht nur depressiv und allein ist, sondern eine, in der er wichtig
für andere wird, und andere wichtig für ihn. In seinem Traum begegnet
er Gretchen, und sie „gehen“ miteinander. Am Ende des Films (zurück in
der Realität) kommt Gretchen zufällig an seinem halbzerstörten
Haus vorbei, seine Leiche wird herausgebracht, und sie hat ihn nie gekannt.
Die Figur Donnie Darko ist in Wahrheit ein einsamer, zurückgezogener Teenager,
der sich vielleicht sogar nach dem Tod sehnt, weil ihm ein glückliches
Leben unmöglich scheint. Und Gretchen ist, ganz ähnlich wie das Gretchen
in Goethes „Faust“, das, was der Held sich erträumt hat, was er aber nur
mithilfe eines Mephisto, eines Dämons und Helfers, hier des „Hasen“ Frank,
wirklich (in seinem ihm wirklich erscheinenden Traum) bekommt. Der „Hase“, was
im alten Sprachgebrauch gleichbedeutend mit der „Graue“ verwendet wurde, galt
bei vielen alten Völkerschaften übrigens als Symbol für das „Dämonische“
und „Unheimliche“. An dieser Stelle erinnert die Handlung an David Lynchs „Lost Highway“, in dem ein resignierter Musiker - ebenso mithilfe
eines Mephisto – zumindest für kurze Zeit die Erfüllung (s)einer Liebe
erleben kann. (Eine zweite Parallele beider Filme aber ist auch, dass der Alptraum
immer wieder in den schönen Traum einbricht.) Interessanterweise tötet
Donnie am Schluß seinen Dämon, den Jungen mit der diabolischen Hasenmaske;
der Dämon in „Lost Highway“ verschwindet nur.
Nicht nur David Lynchs Erzählform, traumhafte, albtraumhafte
und surreale Bilder zu einem Film, Mythen der klassischen und der Populärkultur
zu Figuren seiner Geschichten zu machen, muss für den Film „Donnie Darko“
Pate gestanden haben. Eine Szene, nämlich als Donnies Vater zu Beginn mit
einem Gebläse das Laub vom Rasen pustet, erinnert an die Anfangssequenz
von „Blue Velvet“, in der der Vater den Rasen sprengt. Eine Reverenz,
ein Zitat von unzähligen in diesem Film. Ich werde später weitere
nennen.
„Und was wäre, wenn du in die Vergangenheit reisen
und alle schmerzhaften und dunklen Stunden durch etwas Besseres ersetzen könntest?“
Diese Worte sagt ihm Gretchen in seinem Traum und sie sind die Erklärung
für die Traum-Handlung des Films. Etliche Theorien über diese „Zeitreise“
findet man inzwischen auch im Internet, und es scheint, dass auch die Deutung
der Handlung nicht als Traum, sondern als „wirkliche“, in sich logisch aufgebaute,
Zeitreise inclusive Paralleluniversum und Weltrettung, bzw. Selbstopferung Donnies
für die Welt, funktioniert. Im Film bezieht sich Donnie auch ständig
auf das Thema „Zeitreisen“, wie er auch erwähnt, wie sehr er den Film „Zurück in die Zukunft“ (in dem es ja auch darum geht, dass ein jugendlicher
Held die verkorkste Gegenwart rettet, indem er die Vergangenheit verändert)
liebt.
Diesem im Film versteckten, verzwickten Rätsel auf
die Spur zu kommen, soll sich hingeben, wer Spaß daran hat. Ich finde
allerdings noch interessanter, dass der Film gleichzeitig auch ganz anders funktionieren
kann. Eine ganz wesentliche Eigenschaft des Films ist seine sehr melancholische
und nostalgische Rückwendung in die achtziger Jahre. Es scheint ja, dass
mit dem Ende der Achtziger für Donnie tatsächlich die Welt untergeht.
Und alles, was er am Leben schätzt - und alles, woraus die Atmosphäre
des Films hergestellt wird - sind Mythen der achtziger Jahre. Der Film lässt
das Kino, besonders aber die Teenager-Filme jener Zeit geradezu wieder auferstehen.
Dass Drew Barrymore, die in E.T. das kleine Mädchen Gerti gespielt hat, in „Donnie
Darko“ nicht nur die Rolle einer Lehrerin übernimmt, sondern den Film gleich
mitproduziert hat, ist spätestens dann mehr als ein Zufall, wenn man merkt,
dass „Donnie Darko“ den Film „E.T.“ mehrfach bis ins Detail kopiert. So trägt
Donnie an Halloween das gleiche Kapuzenshirt wie es Elliott in „E.T.“ an Halloween
trägt (mit dem Unterschied, dass Donnie darunter einen Body mit aufgedrucktem
Skelett anhat – er ist ja schliesslich auch tot). Und wenn Donnie später
mit seinen Freunden auf BMX-Rädern durch die Nacht eilt, ist das mindestens
die dritte Reminiszenz an den Film. Später taucht auch der dämonische
Clown aus Stephen Kings „Es“ auf, er sitzt als Beifahrer im Auto, welches Gretchen
überfährt. So wird auch (verfilmte) Teenagerliteratur der achtziger
Jahre mitberücksichtigt. Die Schulszenen in „Donnie Darko“ erinnern an
Filme wie „Breakfast Club“, „Pretty in Pink“ oder „Ferris macht blau“, alles Filme, bei denen entweder als Drehbuchautor
oder Regisseur John Hughes mitwirkte, Hollywoodfilme, die den Gefühlen
der Jugend ihrer Zeit so nah waren, wie kaum zuvor oder danach. „Coming of Age“- Filme für „Coming of Age“ – Menschen.
„Zurück in die Zukunft”, das in “Donnie Darko” auch
häufiger zitiert wird, nannte ich ja schon.
So dienen Filme oder Geschichten (und deren typische
Atmosphäre) „Donnie Darko“ als Vorbilder, die in den achtziger Jahren die
Pubertät, aber auch die gesellschaftliche Problematik des Aufwachsens in
den USA thematisierten, und Filme, die häufig zur Auflösung unauflösbarer
Konflikte des Jugend-Milieus in den Bereich des Phantastischen wechselten. Zeitmaschinen,
Außerirdische, Horrorgestalten standen für Hoffnungen und Ängste,
waren Verkörperungen des unformulierbaren Unbehagens einer Generation oder
ermöglichten die Flucht in erträumte, metaphysische Problemlösungen.
Für manche Amerikaner, die 1975 geboren worden sind, mögen Filme wie
E.T. eine Art Märchenersatz gewesen sein, und Filme von John Hughes gute
Freunde in der schweren Zeit ihrer Adoleszenz. Richard Kelly ist ein Kind dieser
Zeit, dieser Generation. Er verarbeitet Vergangenheit, als habe er mehr in der
Welt dieser Filme gelebt, als in einer „reellen“, deshalb ist die Befragung
des Films „Donnie Darko“ auch immer gleichzeitig eine Befragung einer besonderen
Jugendkultur, die – eventuell ist das eine der Antworten des Films – mit den
Achtzigern gestorben ist. Zugleich
lebt der Film aber auch die Popmusik jener Zeit, diese düster-romantischen
Lieder von Joy Division („Love Will Tear Us Apart“), The Church („Under The
Milky Way“) oder von Tears For Fears, deren Songtext von „Mad World“ geradezu
wie ein kurzer Plot des gesamten Filmes erscheint. „Donnie Darko“ wirkt tatsächlich
wie eine Verfilmung eines depressiven Wave-Songs, der damals wiederum die Stimmung
einer „Lost Generation“ auf den Punkt gebracht hat. Viel Resignation, viel Dunkelheit
– Nomen est Omen: „Darko“ – kennzeichnete ihr Grundgefühl, aber der Raum,
eben diese Resignation auszudrücken und leben zu dürfen, war in den
Achtzigern noch vorhanden.
Deshalb ist der Film für mich in erster Linie ein
sehr trauriger Abgesang auf eine Zeit, die zwar „dunkel“ war, die aber auch
noch Träume zuließ, in der auch Depressionen noch gesellschaftsfähig
waren, in der Gefühle in der Kultur noch, zumindest teilweise, wahrgenommen
und gespiegelt wurden, und er ist gleichzeitig ein Film über einen inneren
Seinszustand in einer eigentlich schon untergegangenen Welt, die von geldgierigen
Sektengurus regiert wird, in der mittels Angstproduktion Angriffskriege ermöglicht
werden. In all seiner Traurigkeit, in seiner nostalgischen Sehnsucht nach einer
unschuldigeren Achtziger-Jahre-Teenager-Zeit steckt auch die Sehnsucht nach
einem Ende allen Leidens in und an der heutigen Gegenwart. Donnie sagt: „Ich
hoffe, dass ich, wenn die Welt untergeht, erleichtert aufatmen kann, weil es
dann so viel gibt, auf das ich mich freuen kann.“
Andreas Thomas, März 2004
Dieser Text ist erschienen bei ciao.de und in der filmzentrale
Zu diesem Film gibts im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Donnie Darko
(Donnie Darko)
USA 2001, 113 Minuten
Regie: Richard Kelly
Drehbuch: Richard Kelly
Musik: Michael Andrews
Director of Photography: Steven B. Poster
Schnitt: Sam Bauer, Eric Strand
Produktionsdesign: Alec Hammond, Jennie Harris
Darsteller: Jake Gyllenhaal (Donnie Darko), Holmes Osborne (Eddie
Darko), Maggie Gyllenhaal (Elizabeth Darko), Daveigh Chase (Samantha Darko),
Mary McDonnell (Rose Darko), James Duval (Frank), Beth Grant (Kitty Farmer),
Jena Malone (Gretchen Ross), Drew Barrymore (Karen Pomeroy), Patience (Roberta
Sparrow), Katherine Ross (Dr. Lilian Thurman), Arthur Taxier (Dr. Fisher), Patrick
Swayze (Jim Cunningham), Mark Hoffman (Polizist), David Moreland (Direktor Cole),
Noah Wyle (Prof. Kenneth Monnitoff), Jolene Purdy (Cherita Chen)
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