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Double
Happiness
Am
Anfang versteht man gar nichts. Es ist dunkel auf der Leinwand, man hört
Stimmen in einer unverständlichen Sprache. Dann erscheint eine junge Frau
links im Bild, eine Klappe fällt, und sie beginnt auf Englisch zu erzählen,
daß sie eigentlich nie viel Wind um ihre chinesische Herkunft machen,
sondern nur von ihrer Familie erzählen wollte. Die allerdings sei ziemlich
chinesisch, „aber im Augenblick vergessen Sie das mal einfach." Denn eigentlich
sei das hier wie eine dieser ganz normalen Familienserien.
Dann,
nach einem hübsch gezeichneten Vorspann, die Familie sitzt beim Essen,
man plappert in chinesisch-englischem Kauderwelsch, kommt das Zugeständnis:
„Na gut, ‚Brady Bunch' mußte man nie untertiteln."
Ein
wunderbarer Einstieg in einen Film, der auch im weiteren von Witz, Intelligenz
und erzählerischer Energie sprüht. Denn DOUBLE HAPPINESS handelt zwar
zuerst von schwierigen und bitteren Dingen und erst viel später vom Glück,
tut dies aber so leichthändig, daß er seine Protagonisten nie unter
der Last ihrer Probleme erstickt.
Jade
Li lebt in Vancouver, ist 22 und noch immer nicht unter der Haube. Das soll
sich schleunigst ändern, finden jedenfalls ihre Eltern. Und für die
traditionsbewußten chinesischen Einwanderer ist ganz klar: Der Zukünftige
muß ein Chinese sein. Also wird ein entsprechender Kandidat gesucht und
auch gefunden. Die knappe telefonische Verabredung des ersten Dates wird vom
im Wohnzimmerhintergrund lauernden Rest der Familie gierig beobachtet. Und als
Jade Li dann, von der Mama aufgeputzt wie ein Zirkuspferd für die Manege,
abgeholt und in die Limousine verfrachtet wird, stehen alle am Fenster und schauen
dem davonbrausenden Paar nach.
Papa
und Mama Li kommen aus der chinesischen Provinz, jetzt sitzen sie mit zwei Töchtern
und zwischen Spitzendeckchen und Einbauküche in einem Einfamilienhäuschen,
das genauso aussieht wie Millionen andere kanadische Einfamilienhäuschen
auch. Den Identitätsverlust versuchen sie durch das Festhalten an traditionellen
Werten zu kompensieren.
Jade
Li ist ein braves, aber auch eigensinniges Mädchen. Den Auserwählten
will sie jedenfalls nicht. Jade will Schauspielerin werden und irgendwann einen
Oscar gewinnen, was die Eltern aber eher nicht interessiert. Fernsehansagerin
finden sie schon besser. Als Jade Li ihre erste kleine Filmrolle bejauchzt,
fragt der Vater nur, ob das auch nichts Anrüchiges sei. Später werden
sie sich vor dem Fernseher wundern, weil Jades Rolle (eine Kellnerin, die eine
Bestellung aufnimmt) so bescheiden ist, daß ihr Auftritt fast schon endet,
bevor er angefangen hat.
Schwierig
wird es für Jade Li, als sie irgendwann Mark kennenlernt. Der ist liebesbedürftig
und liebenswert und auch ziemlich sexy, aber eben kein bißchen Chinese.
Also geht Jade Li erstmal auf Distanz.
Die
Arbeitsteilung in der Familie Li ist klassisch: Der Vater beobachtet die Börsenkurse
und schwingt autoritär-pädagogische Reden. Die Mutter kocht und versucht,
beschwichtigend einzugreifen. Wenn Jade Li etwas angestellt hat, dann macht
sie mit einer Schachtel von Papas Lieblingskuchen einen offiziellen Entschuldigungsgang.
Der reagiert auf diese Versöhnungsgeste stumm, höchstens mit einem
„good". Daß er das Geschenk überhaupt annimmt, muß reichen.
Für
die Eltern ist Jade in Gefahr, zu einem „schlechten", ihrer Familie entfremdeten
Mädchen zu werden. Für die kanadische Gesellschaft aber ist sie immer
noch zuerst eine Chinesin. Als sie bei einem Casting gebeten wird. doch einmal
mit Akzent zu sprechen, begreift Jade erst nach einem Moment, daß damit
selbstverständlich kein französischer, sondern ein chinesischer Akzent
gemeint ist. Nicht ihre Schauspielkunst ist gefragt, sondern ihre Ethnizität.
Später, bei einem anderen Castine, scheitert sie daran, daß sie Kantonesisch
zwar sprechen, aber nicht lesen kann.
DOUBLE
HAPPINESS ist ein präziser, fein zugespitzter Film über das Leben
zwischen den Kulturen, dem es gelingt, Problemfelder anzureißen, ohne
dabei je zum Problemfilm zu werden. Ein Film über Familiengeschichten und
ihre wohlgehüteten dunklen Geheimnisse. Und - dies vor allem - ein Film
über die Emanzipation einer jungen lebenslustigen Frau. In vielen Facetten
bricht sich die Geschichte von Jade Li in anderen: ihrer Freundin, der kleinen
Schwester, eines zu Besuch kommenden Onkels und anderer Familienangehöriger.
Dabei ist die Heirats-und Liebesgeschichte so etwas wie ein roter Faden, ohne
je zum Mittelpunkt zu werden.
Der
Alltäglichkeit der dargestellten Verhältnisse wird dabei eine Inszenierung
gegönnt, die sich keineswegs auf schlichte Reproduktion reduziert. Eine
expressive Lichtführung, eine direkte, suggestive Filmsprache entwerfen
mit recht einfachen Mitteln einen emotional aufgeladenen Raum. In eingeschobenen
Interview-Szenen berichten die einzelnen Familienmitglieder in die Kamera von
ihren Hintergründen und ihren Erwartungen. Zusammen mit kurzen traumhaften
Episoden, in denen Jade Li höchst theatralisch eigene Erfahrungen als dramatisch
vermittelte inszeniert, geben sie dem Film eine eigenständige rhythmische
Struktur.
Jade
Li geht ihren eigenen Weg. Versöhnlich geht es dabei nicht zu. Die letzte
Geste des Vaters besteht darin, den Hausschlüssel zurückzufordern.
Ohne Verluste und Verletzungen geht das Erwachsenwerden nicht ab. Trotzdem ist
der eigene Weg der einzig mögliche. DOUBLE HAPPINESS schafft es, weder
die Kosten der Befreiung zu unterschlagen noch ihre Notwendigkeit. So entgeht
er der Sentimentalität ebenso wie allzu cooler Schnoddrigkeit. Glück
und Trauer liegen auch auf dem Gesicht der wunderbaren Hauptdarstellerin Sandra
Oh ganz nah nebeneinander.
1995
bekam DOUBLE HAPPINESS auf dem Internationalen Forum des Jungen Films den Wolfgang-Staudte-Preis
für den besten Debütfilm. Trotzdem gelangte er bisher nicht in den
deutschen Verleih. Die Betreiber des fsk-Kinos in Berlin-Kreuzberg haben nun
die deutschen Rechte für DOUBLE HAPPINESS erworben und erweitern mit diesem
Film ihren „Peripher"-Filmverleih. Eine Kopie mit deutsch-englischen Untertiteln
wird in den nächsten Monaten in sieben Städten gezeigt werden.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in epd film 7/97
DOUBLE
HAPPINESS
Kanada
1994. R
und B: Mina Shum. P:
Rose Lam Waddell, Stephen Hedyges. K:
Peter Wunstorf. M:
Shadowy Men on a Shadowy Planet. T:
Rim Richardson. A: Michael Bjiornson. Ko:
Cynthia Summers. Pg: First Generation Films. V: Peripher. L: 100 Min. DEA: Berlinale
1995. St: Juni 1997. D: Sandra Oh (Jade Li), Alannah Ong (Mutter Li), Stephen
Chang (Vater Li), Frances You (Pearl Li), Johnny Mah (Andrew Chau), Callum Rennie
(Mark), Donald Fong (Sau Wan Chiy), Claudette Carracedo (Lisa Chay), Barbara
Tse (Mrs. Mar), Lesley Ewen (Carmen).
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