zur startseite
zum archiv
Drawing
Restraint 9
Wal-Fahrt
Der Versuch, ein Kinopublikum die ersten zehn Minuten
eines Films allein dadurch zu fesseln, dass man eine traditionell gekleidete
Frau beim kunstvollen Verpacken zweier Steine zeigt, mag eine rein akademische
Fingerübung sein. Verdammt eindrucksvoll ist es nichtsdestoweniger. Und
es ist zweifellos die schönste Verpackung, die man jemals bestaunen durfte.
In diesen Eindrucksregionen bewegt
sich der Zuschauer in Matthew Barneys Filmen, und hier gehört er auch hin:
Als staunender Passant wird er Augenzeuge einiger filmischer Geburtsmomente,
die nicht nur in der aktuellen Kinoästhetik weltweit ihresgleichen suchen.
Aber im Kreißsaal des Künstlers fragt man nicht nach Bedeutung oder
Symbolik, schon gar nicht nach dramaturgischer Geschlossenheit, inszenatorischer
Stringenz oder, Gott behüte!, nach Unterhaltungswert. Es ist eine Ehre, beiwohnen zu dürfen,
und man wird durchaus eingeladen - eigene Assoziationen aber werden von der
kalten Kunstoberfläche abgeschreckt.
Mit dieser Philosophie hat Barney seinen fünfteiligen
"Cremaster"-Filmzyklus, der in unregelmäßigen Abständen
durch die Kunstgalerien der Welt tourt und weiterhin nicht käuflich zu
erwerben ist, zu einem der begehrtesten Blickobjekte für Filmliebhaber
gemacht: kostbar, weil selten, unkritisierbar, weil hermetisch verschlossen
und undurchdringlich. Und solange Barneys Filme makellose Diamanten waren, in
denen jedes Molekül seinen exakten Platz hatte, war dieses Prinzip der
extrem zurückhaltenden, geradezu homöopathischen Distribution im Zeitalter
des Werbebombardements und der Marktschreier-Manie durchaus erfolgreich. Vor
allem, da hier kein gekünstelter Zitat-Anspruch erhoben wurde, sondern
sich spürbar ein scheinbar unfehlbarer Meister in der Blüte seiner
Kunst präsentierte. Anspruchsvoller, aber auch anstrengender wird Kunstkino
in Europa nicht.
Durch "Drawing Restraint 9" zieht sich
nun aber ein massiver Bruch, ein unsauberer Einschluss, würde der Juwelier
sagen, oder ein Fehler im Schliff. Der Bruch ergibt sich zwischen den Innen-
und den Außenaufnahmen des Films. In geschlossenen Räumen herrscht
weiterhin die komplette Kontrolle, die man von Barney gewohnt ist: Eine strikte
Komposition jagt die nächste, bis selbst Stanley Kubrick blass werden würde.
In diesen Momenten fesselt der Film wie seine Vorgänger den Zuschauer auf
eine Weise, die man außerhalb eines Barney-Films vielleicht nie erleben
wird: Ein weniger rätselhaftes als vielmehr außerirdisches Kaleidoskop
aus eiternden Steinen und japanischem Nô-Gesang tut sich da auf, wo jede
Geste Ritual ist, jede Requisite Heiligtum, jedes Bild eine atemberaubende Komposition
und jeder Schnitt ein Kapitelwechsel. Die ersten gesprochenen Worte kommen erst
nach anderthalb Stunden in den Film.
In diesen Momenten im Inneren der typisch verzierten
Barney-Räume ist das Werk, trotz seiner provokativen Plotlosigkeit, weit
mehr als nur eine Reihung surrealer Bildszenarien. In seiner zentralen Szene,
in der sich Barney und Björk in einem mit Walblut überschwemmten Raum
gegenseitig mit verzierten Messern das Fleisch von den Beinen schälen (gerne
auch mal spielerisch ein bisschen davon naschen) und nach einer Reihe organischer
Umformungen als humanoide Wal-Wesen gemeinsam ins offene Meer hinausschwimmen,
schwingt sich der Film zu nichts weniger auf als einer zweiten Vermählungszeremonie
von Europas vielleicht exzentrischsten Künstlerpaar. Deutsche Popstars
mögen Sat1 damit beauftragen, ihre Heirat als Doku-Soap zu begleiten; Björk
(die ja schon in ihren jüngsten, von den Musiksendern wegen der dargestellten
Selbstverstümmelung abgelehnten Videos "Cocoon" und "Pagan
Poetry" erste Erfahrungen mit halb-digitaler Körperkunst gesammelt
hat) und Barney geben sich natürlich für ihr Hochzeitsvideo mit nichts
weniger zufrieden als einer gegenseitigen Verspeisung, Verschmelzung und Verwandlung.
Leider verliert sich im Laufe des Films immer dann
viel von diesem charmant-provokativen Zauber, wenn die Handlung mal wieder den
Fantasie-Innenraum verlässt und ins Freie springt, in die fabrikartigen
Hafenanlagen oder auf das moderne japanische Walfangboot. Hier herrscht, verglichen
mit den Innenaufnahmen, das blanke Chaos. Geradezu empört bemerkt der Zuschauer,
überschwemmt und durchdrungen von Barneys bisheriger inszenatorischer Wucht
und Allmacht, das Fehlen einer Instanz, die zum Beispiel für eine originelle
und konstante Beleuchtung sorgen könnte. Beleidigt stellt man fest, dass
das Walfangschiff in seiner pseudo-ästhetischen Architektur nicht einmal
den Abglanz der Barneyschen Architektonik erfüllen kann. Statt Harfenspiels
und Innuit-Kehlkopfgesang hört man hier draußen nur den Wind, die
Möwen und das Rattern einiger Seile, von niemandem als dem Hochseezufall
orchestriert. Selbst die Menschen, japanische Industriefischer und Hafenarbeiterinnen,
sehen ernüchternd alltäglich aus, da können sie noch so viel
Farbsymbolik mit sich herumtragen oder ungelenke Fächertänze aufführen.
Nein, Natur und Matthew Barney, das verträgt sich einfach nicht. Dort,
wo der Film den inszenatorischen Grenzen der Realität unterworfen ist,
wirkt er wie der brummschädelige Kater des vorherigen, durchstilisierten
Bilderbesäufnisses. Ein solcher Bruch stört den Gesamteindruck des
neuen Barney-Diamanten dann doch gewaltig, obwohl auch dieses Mal wieder viele
funkelnde Stellen zu bestaunen sind.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im "Schnitt".
Drawing
Restraint 9
USA/J
2005.
R, B: Matthew Barney. K: Peter Strietmann. S: Luis Alvarez y Alvarez, Matthew
Barney, Christopher Seguine, Peter Strietmann. M: Björk, Akira Rabelais.
P: Restraint LLC. D: Matthew Barney, Björk, Mayumi Miyata, Shiro Nomura.
135 Min. Celluloid Dreams
(Alamode) ab 8.6.06
zur startseite
zum archiv