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Dreizehn
Die
Tür muss zu sein
Die
Pubertät beginnt, wenn die Socken plötzlich nicht mehr in Ordnung
sind, sondern furchtbar altmodisch wirken: Als Regiedebüt erzählt
Catherine Hardwicke in ihrem Coming-of-Age-Film "Dreizehn" von den
Ökonomien der Jugend
Es
geht um den Moment, wenn James Dean seinen verständnisvoll dreinblickenden
Vater am Hausmantelkragen packt und durch das Wohnzimmer schleudert. Es geht
um die Flucht des Antoine Doinel in "Les Quatre Cent Coups", um die
Einsamkeit von Agnes in "Fucking
Åmal",
um die Selbstmordversuche in "The
Royal Tenenbaums"
und "L.I.E. Long Island Expressway". Das bin ich: Die Selbstbestimmung
beginnt dort, wo das Außen Wunden hinterlassen hat.
Es
gibt keinen besseren Begriff für diese Filme als coming of age. Aus ihm
spricht zuallererst eine Bewegung, das Agieren nach innen und außen. Gar
nicht unbedingt "erwachsen" werden diese Heldinnen und Helden, sondern
auf dem Weg dahin schlicht älter. Tracy (Evan Rachel Wood) aus Catherine
Hardwickes Regiedebüt "Dreizehn" ist eine von ihnen. Ein Satz
in der neuen Schule hat genügt. "Nette Socken", das falsche Lob
von der richtigen Seite, von der Königin des Schulhofs, vom "hottest
chick in school", bricht in die Kindheit ein, um sie mit einem einzigen
schmerzhaften Schlag zu erlösen. Wachgeküsst fegt Tracy Puppen und
andere Zeichen der Vorpubertät vom Bett. Die Frage ihrer Mutter Melanie
(Holly Hunter), warum sie denn neue Kleidung brauche, kann nur ein schlechter
Scherz sein: "Weil ich bescheuert aussehe, o.k.?!" Zumindest die Kamera
ist auf Tracys Seite; die Neugier des Blicks richtet sich ungeniert auf den
Schulstar ihres Jahrgangs. Vom Scheitel bis zur Sohle wird Evie (Nikki Reed)
gescannt, ihr Weg in die entsprechenden Klamottenläden downtown wird bald
auch Tracys und unserer werden.
Eigentlich
erzählt "Dreizehn" wie so viele coming of age-Filme eine Liebesgeschichte.
Tracy und Evie werden ein Paar oder vielmehr das, was Verliebtheit zusammenbringt,
bevor daraus Intimität und Liebe wird. Eine kraftvolle Einheit verschwört
sich gegen ein Außen, das die beiden nicht verstehen kann und soll. Styling
ist ihre Sprache, doch ist von ihr nicht zu verlangen, dass sie bis dahin vordringt,
wo der Schmerz sitzt. Tracy wird auch nach der Anerkennung durch Evie jene Momente
mit sich, ihrer Nagelschere und ihren Wunden am Unterarm verbringen, von denen
niemand etwas wissen darf. Die Tür muss zu sein! Endgültig ist die
Zeit der offenen Gespräche mit der Mutter vorbei, auch wenn diese alles
richtig zu machen versucht und selbst genug Probleme hat.
"Dreizehn"
entzieht sich weder den Gesetzen des Ich noch den Bedingungen des Wir. So nah
die Kamera Tracy auf ihrem Weg durch die Teenie-Shops ist, mit ihr das geklaute
Geld für Outfits irgendwo zwischen Britney Spears und Pink ausgibt und
deren Wirkung auf die Jungs testet, so nah ist sie sowohl Tracy als auch Melanie
beim Streit innerhalb der Familie. Es ist jederzeit spürbar, dass dieses
Drehbuch von zwei Seiten geschrieben wurde. Einerseits von Catherine Hardwicke,
die bereits seit gut zwanzig Jahren als Produktionsdesignerin in Hollywood arbeitet.
Und von der damals 13 Jahre alten Nikki Reed auf jener anderen Seite, die sich
als Evie selbst verkörpert. So kommt es, dass "Dreizehn" uns
nicht nur in das Innere Tracys zieht, sondern zugleich ihre Mutter nicht das
Alien des Alters bleibt. In den besten Momenten stehen wir dazwischen, genau
da, wo Familie stattfindet.
Allein
das würde reichen für eine coming of age-Geschichte, die das Innen
und Außen ihrer Heldinnen ernst nimmt. Doch "Dreizehn" geht
noch einen Schritt weiter. Der Film verlässt jene Ebene, die man auch die
(so- zial)psychologische nennen könnte, um zumindest für Momente von
dem Komplex zu handeln, zu dem dieser Film über und für Teenager letztlich
auch selbst gehört: vom Verwertungszusammenhang. "Dreizehn" erzählt
auch von der Ökonomie der Jugend. Nicht zufällig kreisen die Einkaufstouren
immer wieder um Reklametafeln, die Tracy unter anderem mit "beauty is truth"
bombardieren. Wenn coming of age hier auch als Teil einer Industrie erkennbar
wird, die auf die Orientierungsphase der Teenager angewiesen ist, gibt "Dreizehn"
die Richtung an, in die der Rahmen des Genres erweitert werden müsste.
Pubertät, sponsored by H & M. Werbefeldzüge, Tracys Momente in
den Boutiquen und das Geld als zentrale Selbstbestimmungshilfe fragen nach jenen
Zwängen und Möglichkeiten von Jugendkultur, von denen James Dean noch
keinen Schimmer hatte.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der:
Dreizehn
Regie:
Catherine Hardwicke. Mit Evan Rachel Wood, Holly Hunter u. a. USA 2003, 100
Min.
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