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Dr.
T & The Women
Die
Kamera bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit rückwärts, sie schwebt
rasend schnell über den Wüstenboden, der nur wenige Meter unter ihr
liegt. Immer weiter entfernt sie sich vom Ausgangspunkt ihrer Fahrt, dennoch
ist kein Fluchtpunkt zu erkennen, weil die Landschaft unter ihr lediglich die
immer gleiche texanische Wüsten-Ödnis ist. Über all diesen Bildern
läuft langsam der Abspann von Robert Altmans neuem Film, Dr.
T and the Women.
Die abschließende Kamerafahrt könnte auch als selbstkritische Metapher
für den ganzen Film gelesen werden: Die Wüste unter uns, das sind
die Schicksale der zahlreichen Frauen, die in Altmans Film dem Protagonisten
und mit ihm dem Zuschauer begegnen, und die schnelle Bewegung der Kamera, das
ist der Film selbst, der Rezipient, der von Altman mit ebenso schneller Geschwindigkeit
über die Schicksale hinweg begleitet wird, leider ohne dabei auch nur einmal
unter die Oberfläche zu tauchen, um einen der Charaktere wirklich auszuleuchten,
ohne eines der Schicksale vom texanischen Wüsten-Einer- und allerlei abzuheben,
all dies eben auch ohne Fluchtpunkt, ohne narratives Ziel, ohne Faden.
Dr.
Sullivan Travis, der sich allgemein lieber als Dr. T. bezeichnen läßt
(dargestellt vom wie für die Rolle des frauenverstehenden Gynäkologen
geschaffenen Richard Gere), betreibt seine Praxis in der texanischen Provinz,
und sein Wartezimmer quillt regelmäßig über von den Reichen
und Schönen der Stadt. Seine eigene Ehe droht in die Brüche zu gehen,
weil seine Frau aufgrund ernster psychischer Probleme ins geistige Kindesalter
zurückversetzt in einer Klinik vor sich hinlebt, ohne noch ernsthaft von
ihrer Familie Notiz zu nehmen. Zeitgleich begegnet der hobbygolfende Protagonist
der ehemaligen Profigolferin Bree (Helen Hunt), in die er sich zu schnell verliebt,
um wahrzunehmen, daß sie lediglich an einer kurzen Affäre interessiert
ist, und die ihn zurückstößt, sobald er ihr gegenüber sein
ernstliches Bindungsinteresse äußert.
Leider
bleibt nicht nur Dr. T. die kurzlebige Intention seiner Angebeteten verborgen,
auch dem Zuschauer bleibt die Motivation für Brees Handeln absolut unklar,
da ihrem Charakter zwar mehr Zeit auf der Leinwand gegönnt wird als den
anderen Frauendarstellerinnen, er aber dadurch auch nicht dreidimensionaler
geschildert wird. Inszenatorischer Höhepunkt des Filmes wohl die Hochzeit
von Dr. T.s Tochter, die im Freien einer Laune des Wetters zum Opfer fällt,
und von ihrer Tochter ohnehin genutzt wird, nicht ihren versprochenen Ehemann
zu heiraten, sondern mit der Brautjungfer, ihrer eigentlichen großen Liebe,
durchzubrennen. Auch diese Konstellation hat einen interessanten Ausgangspunkt,
wird aber lediglich optisch und akustisch ansprechend dargeboten, ohne die Hintergründe
der homosexuellen Beziehung von Travis' Tochter oder ihre Beziehung zu ihrem
Vater auch nur annähernd zu beleuchten.
Die
eingangs erwähnte Kamerafahrt findet ihr filmisches Pendant in der Kamerafahrt
zu Beginn des Filmes, in der sich die Kamera torkelnd durch Sullivan Travis'
Praxis bewegt, den Fokus von einer Patientin auf die andere verlagernd, ohne
lange bei einer der Darstellerinnen zu verharren. All dies präsentiert
ohne Schnitt, erneut eine kleine Reminiszenz an Im
Zeichen des Bösen
wie schon zu Beginn von Altmans The
Player,
ohne allerdings die ironische Hintergründigkeit der letztgenannten Szene
zu erreichen. Geradezu haarsträubend übrigens das Ende des Filmes,
in dem der von Helen Hunt zurückgewiesene Richard Gere mit seinem Auto
in einen Wirbelsturm gerät, der ihn in das Dorf einiger Wüstenbewohner
weht, in welchem er – natürlich - bei einer Geburt assistieren darf, um
einen Jungen zur Welt zu bringen, endlich ein Verbündeter, so will uns
der Film suggerieren, im Kampf gegen das ewig undurchsichtige, verrückte
und tratschende Weibliche; der Wirbelsturm versetzt Altman wie der Orkan im
Wizard
of Oz Judy
Garland in eine bessere Welt, in diesem Fall eine Welt des guten alten Patriarchats
oder gar der Frauenlosigkeit. Dr.
T. and the Women ist
somit nicht nur aufgrund seiner Frauenfeindlichkeit alles in allem ein enttäuschender
Film, zumal aus der Hand eines Regisseurs mit einem so hohen Potential wie Altman.
Keine der dargestellten Figuren erreicht charakterliche Tiefe, die Motive der
Personen bleiben im Dunkel. Bleibt nur zu hoffen, daß Altman sich alter
Tugenden besinnt und ihm in Zukunft erneut ein Meisterwerk wie Short
Cuts
gelingt.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Dr.
T & the Women
Robert
Altman
USA/Deutschland
2000
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