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Du
hast gesagt, dass du mich liebst
„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s
hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist
doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen
wir davon.“ Der 90. Psalm gibt in seiner Ambivalenz und seiner Gelassenheit
den Tonfall dieses lebenserfahrenen Films von Rudolf Thome wieder, der im besten
Sinne des Wortes ein Alterswerk ist. Recht früh im Film erinnert die Protagonistin
Johanna Perl – famos vielschichtig gespielt von Hannelore Elsner – diese Worte,
aber da scheint sie noch unendlich weit davon entfernt, die „Köstlichkeit
der Jahre“ zu spüren. Körperliche Schmerzen bereitet ihre Einsamkeit;
das Erwerbsleben hat sie ausgespuckt, sie ist im Ruhestand. Partner Herbert
hat sie verlassen, Tochter Sophia ist erwachsen – das quälende Alleinsein
trifft sie unvorbereitet.
„Eigentlich könnte ich jetzt sterben“, sagt
sie einmal zu sich selbst und fragt Gott, warum sie noch leben soll. Oder soll
sie sich umbringen? Johanna Perl ist in ihrem Leben die Gegenwart abhanden gekommen.
Sie geht auf den Friedhof und besucht das Grab ihrer toten Mutter; sie erinnert
sich an die schönen Reisen mit Herbert. Sie könnte lernen, richtig
gut zu kochen, doch stattdessen liest sie Bücher über das Sterben:
„Der Tod ist immer eine Möglichkeit im Leben.“
Einer Laune folgend, antwortet sie eines Tages auf
eine Kontaktanzeige in der Tageszeitung. Darin sucht ein 45-jähriger Mann,
nicht schön, nicht hässlich, eine „Heilige, Hure, Gefährtin und
Geliebte“, ein Henry-Miller-Zitat, wie der immer etwas ungelenke Johannes Kreuzberger
einräumt. Kreuzberger stellt sich als Schriftsteller vor, der bereits vier
Romane geschrieben hat. Allerdings sei keiner davon bislang veröffentlicht,
erzählt er, beschwipst und ernsthaft zugleich. Mit dem komischen Auftritt
von Johannes Herrschmann, der 1988 als „Philosoph“ im gleichnamigen Film (fd 27 536) Eingang in Thomes
Universum fand, wird das Grüblerische der Johanna Perl geerdet, das existenzielle
Pathos mit dem Pathos der Künstlermythen gegen den Strich gebürstet,
aber nicht ironisiert. Johanna verliebt sich in Johannes – oder vielleicht auch
nur in das Gefühl, von Johannes geliebt zu werden. Natürlich sieht
die Liebe im fortgeschrittenen Alter anders aus als die Liebe der Jugend. Johannas
Tochter Sophia verliebt sich zeitgleich mit der Mutter in Michael, der, wie
sie sagt, „auch aussieht wie ein Engel“ und als Philosophie-Student „alles weiß“.
Während sich Johanna vorsichtig auf die Liebe einlässt, lange auf
ein förmliches „Sie“ besteht und auf getrennten Betten, gibt sich die Tochter
schwärmerisch hin. Doch auch Johannes fühlt sich bei seiner „Göttin“
Johanna „wie im Paradies“, „angekommen“ am Ort, wo er hinzugehören glaubt.
Johanna, die gelernt hat, an Gott zu glauben, deutet zumindest an, dass Johannes
ein ihr von Gott geschickter Engel ist.
Thomes spirituelle Liebesmetaphysik kreist um das
Herstellen von Gegenwärtigkeit: Die Figuren müssen aufhören,
den Fehlern der Vergangenheit nachzusinnen oder – wie Johanna – stets an den
Tod zu denken. Der (gemeinsame) Tanz der Liebenden fungiert als Ausdruck dieser
gelingenden Gegenwärtigkeit. Auf vielfältige Weise umkreist der Film
das Wunder und die Sprache(n) der Liebe, zeigt gewissermaßen exemplarisch,
wie das Glücklichsein die Menschen kreativ macht. Johanna lernt das Fotografieren,
Johannes hat mit einem Roman endlich jenen Erfolg, den er ersehnte. Der Titel
seines Buchs ist der Titel des Films: „Du hast gesagt, dass du mich liebst“.
Einmal erklärt Johannes sein Schreibprojekt als „Beschreibung der Welt,
wie sie jetzt, heute ist und Beschreibung der Gefühle, wie sie die Menschen
heute haben“. Sehen, beschreiben, erzählen – wie oft in den letzten Filmen
Thomes hat man den Eindruck, dass die Grenzlinie zwischen Fiktion und offenbar
Autobiografischem zumindest durchlässig ist.
Was folgt, sind Prüfungen der Liebe. Johanna
weiß, dass Johannes’ Erfolg ihre Liebe gefährdet. Sie fleht Gott
an, ihn gegenüber absehbaren Anfechtungen stark sein zu lassen. „Wenn er
mich betrügt, verlasse ich ihn“, schwört Johanna in der Kirche. So,
wie ihre Mutter einst ihren Vater verließ, so, wie sie Herbert verließ.
Hier hat sich die Gegenwärtigkeit bereits wieder in erinnerte Vergangenheit
(die Wiederholung alter Handlungsmuster) und die antizipierte Zukunft (Angst
vor dem Betrogenwerden, vor dem Verlassenwerden) geschieden; die Leichtigkeit
ist dahin. Als Johannes, vom Erfolg hochmütig geworden, sie tatsächlich
betrügt, verlässt sie ihn. Rigoros. Der Winter kehrt zurück in
den Film. Johanna ist wieder allein, aber die Fotografie erinnert sie permanent
daran, wie die Liebe zu Johannes ihr Leben verändert hat. Zwischenzeitlich
ist auch Sophias Liebe gescheitert; verzweifelt denkt sie an Selbstmord, weil
das Leben so schwer sei. Johanna versucht sie zu trösten: „Jeder Mensch
für sich ist eine eigenständige Welt. Wenn zwei zusammenstoßen,
gibt es scheinbar unlösbare Konflikte. Wenn man Geduld hat, löst sich
fast immer alles von ganz allein.“ Dieser Satz eines Philosophen führt
zurück zum 90. Psalm, in dem es heißt: „Du lässest sie dahinfahren
wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sproßt,
das am Morgen blüht und sproßt und des Abends welkt und verdorrt.“
Mit demselben Gleichmaß, das nicht mit Lakonie
verwechselt werden sollte, erzählt Thome seine Geschichte weiter. Ein zweites
Mal erhält Johanna die Chance, mit Johannes zu leben. Liebende, das weiß
sie nun, sind füreinander geschaffen, und wenn sie einander begegnen, werden
sie gemeinsam alt. Am Ende brechen die Liebenden zu einer Reise auf, erst nach
Spanien, dann nach Marokko. Johanna träumt: „In Marokko scheint die Sonne.
Sie macht uns schön und glücklich.“ Das ist ein Selbstzitat aus „Rote
Sonne“ (fd 17 237), wo Marquard Bohm diese Glücksfantasie entwarf. So schreibt
sich die Erinnerung an den jüngst verstorbenen Schauspieler ganz selbstverständlich
in den Film ein. „Du hast gesagt, dass du mich liebst“ ist damit auch ein gelassener
Rückblick auf Thomes eigenes Werk, der erneut vom „Überleben in Niederlagen“
und den Dingen erzählt, die das Weitermachen befördern, indem sie
die Vergangenheit in sich aufnehmen. Am Ende sieht man Johannes am Steuer, den
Blick nach vorn gerichtet, sehr erwachsen plötzlich. Die Fahrt geht mitten
hinein in den Sonnenuntergang. Es sind die alten Träume, um die es Thome
noch immer geht; darüber ist (fast) ein Leben vergangen. Alles ist im Fluss.
Vorzüglich fotografiert, ebenmäßig montiert, ist „Du hast gesagt,
dass du mich liebst“ ein „großer Thome“ geworden, dessen Luftigkeit und
Weite vor allem auch aus der improvisierten Klaviermusik von Katia Tchemberdji
resultiert, die den Film wie einen Organismus atmen lässt.
Eine einsame Ruheständlerin reagiert auf die
Kontaktanzeige eines 45-Jährigen, der unter seiner schriftstellerischen
Erfolglosigkeit leidet. Sie verlieben sich ineinander und erleben Augenblicke
stillen Glücks und einer fast paradiesischen Zufriedenheit. Nach einer
vorübergehenden Trennung stellen sie fest, dass sich ihr Leben nachhaltig
verändert hat. Ein ebenso leichtes wie lebenskluges Alterswerk, entwickelt
in gleichmäßigem Erzählrhythmus, dessen spirituelle Liebesmetaphysik
um das Herstellen von Gegenwärtigkeit kreist und exemplarisch darzulegen
versucht, wie das Glück die menschliche Kreativität entfacht.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in "film-Dienst" 8/2006
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Du
hast gesagt, dass du mich liebst
Deutschland
2005 - Regie: Rudolf Thome - Darsteller: Hannelore Elsner, Johannes Herrschmann,
Anna de Carlo, Bastian Trost, Urs Remond, Michael Gerber, Guntram Brattia, Rainer
Laupichler, Stefan Felmy, Lars Löllmann, Thomas Zug - Länge: 117 min.
- Start: 20.4.2006
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