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Dumplings
Asien
liegt voll im Trend: Mangas, anfangs gut besuchte Sprachkurse, Schriftzeichentattoos,
asiatisches Extremkino. Die Kulturelaborate aus Fernost erscheinen gegenüber
dem Bekannten, das man satt, so überaus satt hat, als eine angenehme Abwechslung,
als das völlig Neue. Vielleicht wähnt der ein oder andere gar, dass
die asiatischen Kulturen weniger dekadent, eingerostet, langweilig sind, projiziert
zukunftsträchtige Idealtypen in den boomenden Kontinent. Wie westlich durchsetzt
und an modernen Zivilisationskrankheiten leidend Asien allerdings bereits ist,
zeigt Fruit Chan in
Dumplings,
einem schlagenden Beweis, dass Kulturpessimisten auch außerhalb des Westens
Nahrung finden werden.
Chan erzählt
in Dumplings
die
Geschichte der ehemaligen Ärztin und praktizierenden Engelmacherin Mei
(Bai Ling). Aus ihrer Heimat im Süden, wo die Leute nach gängigem
Vorurteil der Nordchinesen alles essen, hat sie ein besonderes Rezept mitgebracht:
Teigtaschen mit verjüngender Wirkung. Letztere hängt weniger mit den
Teigtaschen als einer ihrer Zutaten zusammen. Föten. Mit Ching (Miriam
Yeung) – alterndes Soap-Sternchen, das seine Jugend braucht, um den promiskuitiven
Gatten wiederzugewinnen – erscheint eine Kundin, die trotz allen Ekels unersättlich
ist. In einer Spirale aus Eitelkeit und Wahn versinkend wird sie von der Kannibalin
zur Jägerin nach ungeborenem Menschenfleisch.
Der Plot
klingt stark nach Horrorfilm und verweist damit auf die ursprüngliche Version
von Dumplings als einer
von drei Teilen der Horror-Trilogie Three…Extremes. Auf
118 Minuten ausgedehnt ergibt sich jedoch mehr als ein kurzweiliges Spiel mit
einem der letzten Kulturtabus. Dass es Chan nicht um die Schockwirkung geht,
macht er bereits im Vorspann deutlich, der die geheime Zutat wie nebenbei verrät.
In steriler Edelstahloptik werden die organisch anmutenden Teigtaschen zubereitet
– die gemordeten Menschlein fallen fast nicht auf. Die volle Wirkung der Teigrollen
entfaltet sich erst im Zusammenspiel mit Ching, die beim elend langsamen Runterwürgen
den Ekel im Kinosaal widerspiegelt. Mit einfachsten Mitteln wie lauten Kau-
und Knackgeräusche ruft Chan Reaktionen hervor, zu denen Hektoliter von
Blut und Gedärm heute nicht mehr ausreichen. Als bloße Fiktion und
damit wirkungslos kann man das Gezeigte nicht abtun; spätestens bei der
„Gewinnung“ der Föten, einer tödlich verlaufenden Abtreibung, wird
auch der hart gesottene Zuschauer kapitulieren.
Doch ist
Dumplings kein
bloßes nausée
pour nausée.
Worauf Chan hinaus will, wird in den lose erzählten Nebensträngen
deutlich, die man zunächst für die Auswüchse eines aufgeblähten
Episodenfilms halten könnte. Die Geschichte um die Abtreibung etwa sowie
Meis ständiger Vorrat an Föten sind eine subtile Kritik an Chinas
Ein-Kind-Politik. Sie wird dem westlichen Zuschauer aber weniger sagen als die
Anklage gegen gesellschaftliche Schönheitsideale und Rollenverteilungen.
Es nimmt nicht Wunder, dass die Frauenfiguren in Dumplings meist
als klassische Opfer figurieren: Die ausgenutzte und nunmehr abgelegte Schauspielerin,
deren Selbstwert äquivalent mit ihrer Rolle als jugendliches, attraktives
Dummerle ist, das vom Vater vergewaltigte Schulmädchen, die Masseuse, die
sich für Liebensdienste aushalten lässt, und selbst Mei, deren Karriere
als Ärztin wohl an ihren männlichen Kollegen gescheitert ist. Abhilfe
ist auch in Fernost nicht in Aussicht. Eine vorgeschlagene Allianz gegen die
Männer scheitert schon in ihrem Kern, weil sie darauf hinausläuft,
mit Hilfe der Föten wieder jung und begehrenswert zu werden, sich also
den Anforderungen anzupassen, anstatt sie als willkürlich und unsinnig
zu erkennen. Lieber eine schöne Kannibalin als ein unattraktiver Mensch
– so lautet die asiatische Extremversion der Formel, lieber laufendes Ersatzteillager
als vergänglicher Mensch, die in Der
Tod steht ihr gut (Death
Becomes Her)
von Robert Zemeckis eine in die OPs getragene Hoffnung auf ewige Jugend karikierte.
Dumplings in der
erweiterten Version ist mehr als ein gelungener Ekelfilm: Die zusätzlichen
Minuten hat Chan genutzt, um die Figuren auszuleuchten und damit den kritischen
Subtext seines Films gestärkt. Dass einige dieser zusätzlichen Szenen
willkürlich oder überflüssig wirken, der Film dadurch unfertig
oder eben erweitert scheint, ist zu verschmerzen. Denn je weniger Dumplings wie ein
stringenter Ekelschocker wirkt, desto eher beginnt der Zuschauer über die
dargestellten Kausalitäten nachzudenken, sich weniger vor den Föten
als dem Ausfluss eines pervertierten Schönheits- und Jugendkults zu ekeln.
Dumplings wird
dann zur Groteske, die dank Chans geschickter Inszenierung befremdlich ist und
doch im Ekelgefühl nahe geht.
Dieser
Text ist nur in der filmzentrale erschienen
Hongkong 2004 - Originaltitel: Gaudzi - Regie: Fruit Chan - Darsteller: Bai Ling, Miriam Yeung, Tony Ka-Fai Leung, Pauline Lau, Miki Yeung, Wong So-Fun, Peter Wong, Wong Sum-Yeung, Wu Wai-Man, Ho Chak-Man - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 91 min. - Start: 4.8.2005
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