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Durst
Wenn Blicke lieben
könnten
Durst ist eine starke Metapher. Durst beschreibt
ein fast unstillbares Verlangen, für dessen Befriedigung es keine Bezeichnung
gibt. Wer dürstet, tut dies mit allen Sinnen und ganzem Bewußtsein.
Im Film wird Durst nur selten als Metapher genutzt (im Gegensatz zu seiner ikonographischen
Verwendung, die selbst "sinnbildlich" geworden ist). 1993 hat Martin
Weinhart den vielleicht letzten "Neuen Deutschen Film" mit dem Titel
"Durst" gedreht: die ohnmächtige Suche eines jungen Künstlers
nach Freiheit inmitten einer ländlichen Zwangsgemeinschaft - ein Sinnbild
für das untergehende Projekt der deutschen Filmautoren. Ingmar Bergman
hat den metaphorischen Durst schon viel früher ins Visier genommen: In
seinem frühen Film "Durst/Törsten" von 1949, seinem dritten
Film überhaupt - gedreht nach vier Novellen der schwedischen Autorin Birgit
Tengrot.
Der Film versucht, diese vier Geschichten zu einer
zu verweben: Die junge Tänzerin Rut hat einen viel älteren Liebhaber,
von dem sie erst spät erfährt, daß er Ehemann und Familienvater
ist. Als eines Tages dessen Frau vor Ruts Tür steht, kommt es zum Eklat:
Der Betrüger findet sich auf einmal zwischen den beiden Frauen und konstatiert,
daß es für einen Mann wie ihn natürlich und normal sei, zwei
Frauen zu haben. Als Rut später von ihm schwanger wird, zwingt er sie zur
Abtreibung und wendet sich schließlich von ihr ab. Dieses Trauma und die
Tatsache, nun unfruchtbar zu sein, schleppt Rut mit in ihre Ehe mit dem Archäologen
Bertil. Während Bertil alles versucht, um Rut ein schönes Leben zu
ermöglichen, quält und provoziert sie ihn, wo es nur geht. Auf einer
gemeinsamen Bahnreise, die sie von Italien kommend quer durch das kriegszerstörte
Europa zurück nach Schweden führt, treffen sie nicht nur Ruts ehemaligen
Liebhaber mit dessen Ehefrau wieder, sondern auch die Dämonen ihrer Vergangenheit:
Ruts Erinnerung an den verlorengeglaubten Tanzberuf und Bertils Erinnerung an
die verflossene Liebe zu Viola, die nach einer Gehirnhautentzündung aus
der Psychiatrie entlassen und von einem sie quälenden Psychiater fliehend
selbst nicht mehr weiß, wo sie hingehört.
Bergman verliert die Erzählfäden seiner
Narration ziemlich bald, nachdem Rut und ihr Ehemann im Eisenbahnabteil angekommen
sind. Man spürt in jeder Szene, wie sehr sich der Regisseur bemüht
hat, seine Vorstellung von Ehe- und Liebesdrama zu inszenieren. Doch was dem
späteren Bergman so mühelos gelingt, wird in "Durst" zu
einem recht blassen Versuch, eine existenzielle Psychologie in die Form eines
Schnitzlerschen Reigens zu gießen. Am Schluß bleiben die Erzählstränge
fragmentarisch. Die Figuren hingegen und die Bilder wirken nach. Sie erzählen
die eigentlichen Geschichten des Films und vermitteln auch jenes Gefühl
der Freiheit, Selbstbestimmung und Liebessehnsucht, das Bergman im Titel "Durst"
angerissen hat.
Bemerkenswert schon an diesem Frühwerk ist der
Umgang mit der Kamera: Gunnar Fischer rückt nah an die Figuren heran, gibt
Einstellungen vor, die Bergmans späterer Kameramann Sven Nykvist nur noch
wiederholen kann: Jene Gesichtsmontage, mit der "Persona" (1966) berühmt wurde, findet sich zwischen
Viola und ihrem Psychiater - eine Kopf-hinter-Kopf-Szene, wie sie minutenlang
in "Schreie
und Flüstern" (1972) von
Liv Ullmann und Erland Josephson vor dem Spiegel durchexerziert wird, ebenso.
Darüber hinaus erzählt das Bild in seiner Aufteilung, die oft von
quer über den Kader laufenden Gegenständen bestimmt wird, die Geschichten
der Wahlverwandtschaften des Films auf sehr eindringliche Weise.
In "Durst" zeigt sich bereits, was von
Bergman noch zu erwarten sein wird: Auch wenn die Symbolik der Bildersprache
ansonsten eher vordergründig bleibt (die Ruinen, die am Abteil-Fenster
vorüberziehen), ist doch schon eine große Subtilität in der
filmischen Figurenpsychologie zu finden. Und auch Mozart, eine Faszination,
die Bergman bis zu seinen jüngsten Filmen begleitet, findet sich in "Durst"
auf der Tonspur - allerdings neben einem fast schon experimentellen, elektronischen
Soundtrack von Erik Nordgren, der ob seiner Komplexität besonders erwähnt
werden muß. Auch damit weist "Durst" in die filmische Zukunft
des damals noch jungen schwedischen Regisseurs.
Stefan Höltgen
Dieser Text ist zuerst erschienen
beim: schnitt
Durst
Törsten.
S 1949. R: Ingmar Bergman. B: Herbert Grevenius Birgit Tengroth. K: Gunnar Fischer.
S: Oscar Rosander. P: Helge Hagerman. D: Eva Henning, Birger Malmsten, Birgit
Tengroth, Hasse Ekman, Mimi Nelson u. a. 82 Min.
DVD
bei: Kinowelt/Arthaus
- Sprachen: Deutsch, Schwedisch (mit opt. Dt. UT), eingefügte nicht-synchronisierte
Passagen teilweise mit dt. UT - 1:1,33, DD 1.0
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