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Eat
Drink Man Woman
Eat
drink man woman. Einfacher
lassen sich die Grundgegebenheiten des Lebens wohl kaum auf den Punkt bringen.
Und auch wenn es manchmal ganz schön verwickelt dabei zugeht, im Grunde
geht es in Ang Lees neuestem Film wirklich um nichts anders.
Jeden
Sonntag steht Vater Chu, ein in Ehren ergrauter Meister der chineschen Kochkunst,
in der heimischen Küche. Schuppt und hackt und brät und brutzelt,
als würde er an seinem Arbeitsplatz im Grandhotel eine Festgesellschaft
bekochen. Doch seine heranwachsenden Töchter sind es, die der Patriarch
mit Krabbenschwänzen und Muschelsalat verwöhnt - und auch quält.
Die drei leben zwar noch im Hause, gehen aber ihre eigenen Wege. Das Ritual
des gemeinsamen sonntäglichen Mahls ist ein letzter Versuch, die sich versprengende
Familie zusammenzuhalten. Allzuviel zu sagen hat man sich nicht, speist also
und plaudert so daher über versalzenen Schinken und verkochte Haifischflossen,
bis dann doch die kleinen und großen Tragödien aus der Welt jenseits
der Schüsseln hereinbrechen.
Jia
Chien, erfolgreiche Geschäftsfrau mit einem recht befreiten Liebesleben,
hat sich ein Apartment am Stadtrand gekauft und will nun das väterliche
Haus verlassen. Die Jüngste, noch Schülerin, bändelt mit dem
Freund der besten Freundin an und wird prompt schwanger. Und Jia Jen, eine Lehrerin
im braven Schleifenblüschen, hat nach einer der bekannten großen
Enttäuschungen dem Liebestreiben ganz entsagt und scheint nun ausersehen,
dem Vater im Alter Beistand zu leisten.
Recht
ereignislos und ein wenig klischeehaft läßt sich diese Komödie
an, um aber bald beträchtliches, ja hongkongwürdiges Tempo vorzulegen.
Blitzschnell geht es von einem Schauplatz zum anderen, von einer Tochter zur
nächsten, und wer nicht aufpaßt, kann in kurzer Zeit schon recht
viel verpaßt haben.
Auch
die scheinbar stabilen Konstellationen geraten in muntere Verwirrung. Nichts
bleibt wie es war; nichts kommt, wie erwartet; und fast schon wie bei Shakespeare
tut sich hinter der Welt des, wenn auch nicht schönen, so doch schön
bunten Scheins eine andere auf, nicht gerade abgründig, aber doch voll
Bitterkeit und Wehmut.
Schon
seine schwule Hochzeitskomödie THE WEDDING BANQUET (1993) hatte Ang Lee
in eben dem namengebenden Bankett als Metapher und dramatischen Höhepunkt
gipfeln lassen. In EAT DRINK MAN WOMAN nun ist das Verhältnis der Menschen
zum Essen auf allen Ebenen präsent. Das Zubereiten und kunstvolle Herrichten
der Nahrung als optisch und akustisch sinnlicher Genuß, das allwöchentliche
Festmahl als handlungsstrukturierendes Element, der Verzehr als Folie, auf der
die Befindlichkeiten der Protagonisten und ihrer Beziehungen sich abbilden.
Da findet der alte Chu in einem Moment großer Emotion sein längst
verlorenes Geschmacksempfinden zurück. Da verdient die Jüngste ihr
Taschengeld ausgerechnet in einer Fastfood-Bude. Jia Chien, die Karrierefrau,
kann ihrem Vater vor allen anderen Dingen eines nicht verzeihen: sie aus der
lebendig-warmen Welt der Küche in ein Studium getrieben zu haben. Und selbstverständlich
hat der einzige Todesfall in diesem Film einen verdorbenen Magen zur Ursache.
Die
Einsamkeit des Alterns, Verständnislosigkeit in der Familie, Liebe, Ehe
und Verrat, Sex, Eifersucht und Lebenslügen. Das gäbe anderswo Stoff
für mindestens ein Dutzend Melodramen. Ang Lee hat alles gut gemixt und
zu einem unterhaltsamen Cocktail verarbeitet, gewürzt mit Tempo, Witz und
ein wenig Schrillheit und abgeschmeckt mit wohlwollender Nachsicht. So dicht
gepackt ist das, daß der Raum zur freien Entfaltung der einzelnen Zutaten
nicht ganz reicht, doch dafür die geschickte Komposition und die Vielfalt
der sich ineinander reflektierenden Geschichten.
Im
großen und ganzen gelingt Ang Lee, was so oft beschworen wird, doch offensichtlich
schwer zu machen ist: eine romantische Komödie, wo Komik in Katastrophe
umschlägt und Tragödie sich in Leichtsinn auflöst. Gefühl
zu zeigen, ohne darin unterzugehen; Sympathie für seine Figuren zu entwickeln,
ohne sie zu verklären. Der Regisseur hat mittlerweile eine feste Truppe
um sich versammelt. Produktion, Kamera, Schnitt und Musik sind in den gleichen
Händen wie beim WEDDING BANQUET, waren zum Teil auch schon bei seinem Erstling
PUSHING HANDS (1992) dabei. Viele der Schauspieler sind alte Bekannte aus dem
letzten Film. Winston Chao, dort der schwule Makler, bekleidet nun eine Nebenrolle
als heterosexueller Liebhaber, Sihung Lung kann diesmal seine Vaterqualitäten
in wohlwollenderem Licht präsentieren und die ehemalige Mutter Gao darf
als geschwätzige und kettenrauchende Nachbarin Negativgefühle sammeln.
Als „Gaststar" ist Sylvia Chang dabei, hongkong-taiwanesisches Multitalent
und ein dortiger Superstar - allerdings in einer für ihr traditionelles
Image ungewöhnlichen Rolle.
EAT
DRINK MAN WOMAN, eine taiwanesisch-amerikanische Koproduktion, ist Ang Lees
bisher teuerster, größter Film, und er ist stärker dem chinesischen
Film verpflichtet als die bisherigen. Nicht nur, weil in Taipeh in chinesischer
Sprache gedreht wurde. Nicht nur wegen der Unmengen chinesischer Gerichte auf
der Leinwand. Sondern vor allem, weil in solch offener unsentimentaler Form
mit einem so gefühls- und ideologiebeladenen Thema wie der Familie umzugehen
(man denke nur an Wayne Wangs thematisch gar nicht so weit entfernte TÖCHTER
DES HIMMELS) wohl nur in einem Land möglich ist, das sich in den stürmischen
Winden gesellschaftlichen Auf- und Umbruchs befindet.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
9/94
EAT
DRINK MAN WOMAN
Taiwan
1994. R: Ang Lee. B: Lee, James Schamus, Hui-Ling Wang. P: Feng-Chyi Jiang.
K: Jong Lin. Sch. Tim
Suyres. M: Mader. T:
Tom Paul. A: Fu-Hsiung Lee. Pg:
Samuel GoldwynlCentral Motion Picture. V: Pandora. L: 123 Min. St: 15.9.1994.
D: Sihung Lung (Chu), Kuei-Mei Yang (Jen), ChienLien Wu (Kien), Yu-Wen Wang
(Ning), Ah-Leh Gua (Madame Liang), Sylvia Chang (Jin-Rong), Winston Chao (Li
Kai), Lester Chen (ChimCheng Lu).
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