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Eat
the Rich
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"Eat The Rich" ist eine
extrem trashige, schwarze Gesellschaftskomödie der etwas anderen Art, die
1987 in Großbritannien abgedreht wurde. Es geht dabei, grob gesagt, um
eine Clique von Renegaten, die sich in einem grotesken Zerrspiegel der damaligen
(wie heutigen) Gesellschaft sowie unter einigen anderen seltsamen Umständen
im Klima sozialer Kälte zu einer Art Ersatzfamilie der Ausgestoßenen
zusammenfindet, mit Pfeil und Bogen ein Nobelrestaurant überfällt
und erobert, die Gäste massakriert und mit dem derart erlegten Fleisch
das Restaurant eine Zeitlang weiterführt.
Im Mittelpunkt steht dabei eine
ziemlich seltsame und exzentrische Figur, mit welcher man sich als Zuschauer
aufgrund ihrer ebenso überdrehten wie launischen Art nur schwer identifizieren
kann; alles andere als ein ausgearbeiteter, runder Charakter, hat dieser Freak
mehr Ecken als Kanten, ist als Persönlichkeit gar nicht richtig fassbar,
und wird einzig und allein vor ihrem extremen Erfahrungshintergrund ansatzweise
verständlich - von Glaubwürdigkeit möchte man gar nicht erst
sprechen...
Kellner Alex ist nicht nur schwarz,
schwul und ein Habenichts, sondern auch nervig, schwuchtelig, zickig, quengelig
und ungeschickt. Als Bedienung im hippen Nobelrestaurant "Bastards",
wo u.a. zynische Plattenbosse absteigen, steht er damit in der sozialen Hackordnung
ganz unten. Als es, in ohnehin schon angespannter Situation zwischen ihm und
seinem ebenso schleimigen wie auch arroganten Mitkellner Mark, zusätzlich
zu einem Eklat mit einigen Gästen kommt, wobei der ebenso launische wie
anstrengende, schnippische wie auch aufbrausende Alex schließlich am Arbeitsplatz
ausrastet, verliert der zuvor als 'Halb-Brikett' herabgewürdigte Exzentriker
deswegen seinen Job. Es wird nicht das erste Mal sein, dass er als 'Bimbo' behandelt
wird...
Innenminister Nosher Powell ist
ein Cockney-Faschist, ein proletenhafter politischer Populist, ein rüpeliger
Law-and-Order Freak und Hardliner, welcher sozialistische Terrorstudenten aus
dem mittleren Osten ebenso bei den Eiern hält wie den israelischen Botschafter.
Diplomatisch ungeschickt aber mit einfachen Botschaften mutiert der ehemalige
Kiezkriminelle zum Lieblingsthema der Boulevardmedien. An seinem Job als Innenminister
schätzt er vor allem, dass er dafür eine Limousine mit Fahrer aber
keine Strafzettel bekommt. In den Wahlkampf, mit dem Ziel Premierminister zu
werden, tritt er bloß wegen der Ambitionen seiner neureich agierenden
aber nicht minder proletarischen Frau ein, einem ebenso bemitleidenswerten Hausdrachen,
der sein mangelndes Selbstwertgefühl durch sozialen Status zu kompensieren
sucht. Was, wenn er wirklich Premierminister wird...?
Dann gibt es da noch den mysteriösen
Commander Fortune, der in ungeklärtem Verhältnis zur CIA steht, sich
auf Parties mit russischen Generälen trifft, eine seiner Agentinnen auf
Nosher Powell ansetzt und über den für ihn arbeitenden lakonischen
Rockmusiker Spider auch die Terroristen aus der dritten Welt mit Waffen versorgt
hat. Welches Spiel spielt er...?
Ziemlich schnell entsteht der
Eindruck, dass "Eat The Rich" ein ebenso billiger wie respektloser
Exploitationstreifen ist, der sich über die britische Klassengesellschaft,
den kalten Krieg und die soziale Kälte des Thatcherismus lustig macht;
eine gewisse Punkattitüde und ein gehöriger Haufen Zynismus gehören
dazu. Die Handlung ist teils unzusammenhängend, jedenfalls ziemlich wirr,
die Ausführung schludrig, die Ausstattung mies, und die Dialoge wirken
spontan. Die Schauspieler chargieren übertrieben bis ungelenk, der Zuschauer
stolpert zusammen mit den völlig entstellten Charakteren von einer surrealen
Situation in die andere, und die Absurdität des Ganzen hat etwas peinlich
berührendes: "Eat The Rich" beutet nicht nur die soziale Misere,
sondern auch die Ästhetik der Exploitation Filme aus und überspitzt
sie gnadenlos - aber mit völlig ernster Mine; das ist kein Film, der auf
Lacher aus ist. Einen abgewrackteres Werk habe ich noch nicht gesehen, man könnte
fast schon von Brechtscher Verfremdung sprechen, bloß gibt es hier keine
konsequent vermittelte Botschaft. Oder vielleicht doch...?
Zwar begibt sich Alex nach einem
enttäuschenden Schlüsselerlebnis auf einen Feldzug gegen das System,
doch schliddert er dort eher naiv hinein, und seine melodramatische Revolutionsrhetorik
wirkt pubertär rebellisch, undurchdacht theoretisierend, weltfremd pathetisch;
kurzum: Nachdem ihm ohne eigenes Zutun ein cooler Ledermantel und einer Knarre
überlassen wird, mit der er im Affekt eine Arbeitsamtsangehörige erschossen
hat, die ihre mangelnde Gestaltungsfreiheit durch Arbeitsverweigerung und Machtausübung
gegen Schwächere zu kompensieren sucht, stilisiert er seine Untat zum rebellischen
Akt hoch und gibt den aufrührerischen Salonkommunist. Auf der Flucht mit
dem Lumpenproleten Ron, welcher sich ihm anschließt, als Alex aus dem
Amoklauf noch schnell einen Raub macht, werden im Film das erste Mal die Medien
vorgeführt, welche eine lukrative Gratwanderung fahren, indem sie die Räuber
einerseits als Staatsfeinde andererseits als Identifikationsfiguren für
den dummen kleinen Mann inszenieren...
Unterwegs treffen die beiden Spontan-Banditen
auf das Landei Jimmy, einen gutmütigen Trampel, dessen Pferd der Robin-Hood-Verschnitt
Alex für die gute Sache requiriert; bloß, dass er und Ron eher wie
Don Quichote und Sancho Pansa wirken, als wie Robin Hood und Bruder Tuck. Später
treffen die drei noch auf die von Commander Fortune im Stich gelassene(?) Agentin
wieder, die sich unglücklicherweise von Nosher Powell hat schwängern
lassen...
Dieser Unsympath wird anfangs
nur als Feindbild #1 geführt, entwickelt sich im Laufe des Films jedoch
immer mehr in Richtung traurige Gestalt und wird als einsamer Mensch geschildert,
dessen verkorkstes, von hohlem Machtstreben geleitetes Leben zunehmend seinen
Sinn verliert. Denn das bisschen Zuhälter- und Schutzgeld-Erpresser-Respekt,
welches ihm in seinem alten Kiez gezollt wird, bietet ihm ebensowenig ein Zuhause
wie die Welt der Politik; seine Frau aber straft ihn nach öffentlich gewordener
Affäre und zahlreichen anderen Fehltrritten in soziale Fettnäpfchen
mit Liebesentzug.
Denn natürlich werden die
Noshers von den Oberen Zehntausend niemals wirklich akzeptiert, sondern allenfalls
toleriert: Die Gattin des Ellenbogenproleten wohnt zwar in einer weitaus bombastischeren
Hütte als alle adligen Partygäste; doch ihr Gatte ist und bleibt eben
bloß ein Mitglied des Unterhauses.
Subtile Szenen zur Verdeutlichung
der Klassenunterschiede gibt es nicht bei "Eat The Rich", nur plumpe
Anspielungen in derber Verpackung; dass diese dennoch (und nach mittlerweile
bald 20 Jahren immer noch) humoristisch gut funktionieren können, sagt
einiges über die Tiefe der Bruchlinien zwischen den sozialen Realitäten
aus, wie sich unter anderem auch in folgendem Dialog zeigt:
- "Lady Caroline, das
ist Micky James. Er ist Gewerkschaftsvorsitzender."
- "Schöne Titten!
Schade, dass sie adelig sind. Hahaha. Tanzen wir? Wahnsinnstitten."
Das ist in etwa das Niveau, auf
dem sich der Film die meiste Zeit über an der Oberfläche bewegt: Lakonische
soziale Kommentare, begraben unter lauten, proletenhaften Verbalentgleisungen.
Der Rest sind Persiflagen auf
wohlfeile B-Movie Klischees, die mit schmerzhafter Intensität völlig
ernsthaft dargeboten werden:
Da gibt es sarkastische One-Liner
- Ein Kellner im "Bastards" serviert "Zweimal dünn geschnittener
Koalabär!"
Da gibt es die völlig selbstverständlich
über jegliche Moral erhabene 'Philosophie' des 'Heroen' - "Sterben
müssen wir doch alle einmal. Warum nehmen wir nicht ein paar von den Schweinehunden
mit?"
Da gibt es 'coole', 'auflockernde'
Sprüche mit gewaltverharmlosender Wirkung - "Entschuldigen Sie, haben
Sie welche von diesen Bandagen? Sie wissen schon, die die Gedärme im Leib
halten, bis man ins Krankenhaus kommt."
Alles das ist im Kontext des Filmes
Ü B E R H A U P T N I C H T W I T Z I G - und vermutlich ist es so gewollt;
denn, bei aller Nachlässigkeit: Manche Szenen sind so grandios geraten,
dass man an Zufall nicht mehr glauben mag.
Das liegt zum Großteil an
Nosh Powell, der eigentlich Stuntkoordinator (u.a. für einige James-Bond- Filme) ist, hier jedoch eine
brilliante schauspielerische Leistung abliefert, indem er seine Rolle so kongenial
verkörpert, dass man ihm diese gnadenlos übersteigerte Figur selbst
inmitten aller grotesken Verfremdungen, mit denen "Eat The Rich" aufwartet,
abnehmen kann.
Was den Film ebenfalls ein Stück
weit rettet, ist das völlig routinierte Spiel des MOTÖRHEAD-Bassisten
und Sängers Lemmy Kilmister als Commander Fortunes Handlanger Spider; nicht
etwa, weil er mit seinem Schauspiel - geschweige denn seiner nichtssagenden
Rolle - irgendwo auch nur irgendeinen Blumentopf gewinnen könnte, sondern
weil Lemmy einfach eine verdammt coole Socke ist.
Und weil "Eat The Rich"
ein extrem trashiger, extrem cheesiger und extrem kultiger Low-Budget-Film ist,
spielen seine Bandkollegen auch noch in kultigen Statistenrollen mit, und zwar
als Musiker einer cheesigen Partyband; und vermutlich auch, weil das so billiger
war, haben MOTÖRHEAD auch sonst noch einige Songs zum Soundtrack beigesteuert,
unter anderem auch ihren wohl besten Song 'Orgasmatron'. Paul McCartney von
THE BEATLES sowie einige andere britische Promis haben übrigens auch noch
kleine Gastauftritte.
Der Clou an dem Film, seine eigentliche
Pointe, ist jedoch, dass das Massaker, welches die romantischen Rebellen als
vermeintlich klassenkämpferische Aktion veranstalten, rein gar nichts ändert:
In einer Welt, die darauf aufbaut, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, ist
Kannibalismus genau solange salonfähig, wie er sich nur dezent gibt. Und
deswegen geht das von der mörderischen Post-Hippie-Kommune übernommene
und unter dem neuen Namen "Eat The Rich" wiedereröffnete Lokal
"Bastards" schließlich auch um so besser, je schlechter die
Gäste dort behandelt werden: Es gilt als ein Zeichen von Exquisität,
und überhaupt hineinzukommen als Zeichen von Distinktion.
Zynisch bis zum bitteren Ende
ist diese schwarze, politikverdrossene und zersetzende Persiflage wirklich nur
etwas für Leute, die sich von gutem Geschmack lösen können.
ZEITLOSE ZITATE:
Spider liest die Zeitung Sun:
"Der Belagerungsheld Nosher
Powell hat es mal wieder geschafft! Zu guter Letzt hat Großbritannien
endlich einen Politiker, der bewiesen hat, dass er keine Pfeife ist - zumindest,
wenn es darum geht, es einer Hausfrau gut zu besorgen. Wir sagen: Großbritannien
braucht dich! Mach weiter so, Nosh."
Politiker Powells Fernsehansprache:
"Einige Menschen in diesem
Land sind sehr reich, aber die meisten von euch sind sehr, sehr arm. Und wisst
ihr wieso? Weil ihr alle faule Säcke seid! Euer Land braucht Geld. Aber
ihr könnt leider nicht genug Geld beschaffen. Also sag ich euch, was wir
tun müssen: Wir werden die Krankenhäuser zumachen und den Leuten Arbeit
geben und mehr Raketen herstellen!!"
E. Schmitz
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.ciao.de
Eat
the Rich
EAT
THE RICH
Reichtum
ist Geschmackssache
England
- 1986 - 88 min. Erstaufführung: 28.4.1988/Dezember 1988 Video - Produktion:
Tim Van Rellim
Regie:
Peter Richardson
Buch:
Peter Richardson, Pete Richens
Kamera:
Witold Stok
Musik:
Motörhead
Schnitt:
Chris Ridsdale
Darsteller:
Lanah
Pellay (Alex)
Robbie
Coltrane (Jeremy)
Jimmy
Fagg (Jimmy)
Sandra
Dorne (Sandra)
Ronald
Allen (Commander Fortune)
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