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Eden
Liebe, sagt man, geht durch den Magen. Wie „Eden“
eingangs mit bukolischer Lust zeigt, geht sogar die Selbstliebe durch den Magen,
was in Zeiten von Slim Fast und Workouts liebenswert antiquiert erscheint. Zudem
fungiert das Essen, seine Zubereitung und sein Verzehr, hier zuallererst einmal
als Medium, als Katalysator einer Kommunikation, die gut daran tut, auf Worte
nach Möglichkeit zu verzichten. Des weiteren aber ist die hier zelebrierte
Kochkunst in jedem Fall auch eine Kunst, weshalb sich ein recht lückenloser
Kunst- und Künstler-Diskurs durch den Film zieht, der immer dann schmerzhaft
wird, wenn es um die Frage einer Demokratisierung von Kunst geht. In „Eden“
ist der Künstler noch „Genie“, das nicht über, sondern durch seine
Kunst zu den Eingeweihten spricht. Insofern ist der exzentrische Koch Gregor
das genaue Gegenteil all jener Fernsehköche, deren Aktivitäten zu
den Quotenbringern der aktuellen Medienlandschaft zählen. In „Eden“ zeigt
Michael Hofmann („Der Strand von Trouville“, fd 33 111) jedoch auch die katastrophalen
Folgen davon, was passiert, wenn man den eingangs angeführten Gemeinplatz
ganz allmählich steigert, bis Kunst und Leben in eins fallen.
In einem kleinen, beschaulichen Kurort im Schwarzwald
– gedreht wurde im pittoresk-abgetakelten Bad Herrenalb – betreibt Gregor ein
kleines, aber feines Restaurant, in dem er für handverlesene „Jünger“
seine experimentelle „Cucina erotica“ zelebriert, die offenbar (noch) den Status
eines Geheimtipps unter Eingeweihten besitzt. Eines Tages lernt der verschrobene,
menschenscheue Kochkünstler die verhuschte Kellnerin Eden und ihre Tochter
Leonie kennen. Weil er das am Down-Syndrom leidende Kind gern hat, backt er
ihm einen Geburtstagskuchen mit handgemachter Pralinendekoration. Der Genuss
dieser Pralinen schickt Leonie auf direktem Weg ins irdische Paradies; kurz
darauf folgt Eden ihr nach. Auch später gibt es immer wieder Momente, in
denen Gregors Kunden sprach- und fassungslos dessen Kunst erleben, Menschen
durch seine Kreationen in eine andere Realität zu „versetzen“. In einer
der schönsten Szenen zollen die Gäste dem Genie des Kochs durch spontanen
Beifall im Restaurant Tribut. Zwischen dem Koch, der Kellnerin und ihrem Kind
entsteht eine intensive, fast wortlose Beziehung mit zarten erotischen Untertönen,
die allerdings von Edens Ehemann Xaver zunehmend eifersüchtig beobachtet
wird. Xaver arbeitet im Kurbetrieb als eine Mischung aus Eintänzer, Animateur
und Physiotherapeut, eingebunden in eine spießige Familie und einen piefigen
Freundeskreis. Mit wenigen, präzisen Strichen zeichnen Hofmann und seine
Kamerafrau Jutta Pohlmann die kleinbürgerlich-provinzielle Idylle als Vorhölle,
in der weit zurückreichende Konflikte und Ängste mit fast schon archaischer
Kraft wieder aufbrechen und zur Tragödie führen. Xaver liebt Eden
abgöttisch, aber Tochter Leonie ist der fleischgewordene Beweis dafür,
dass das nicht immer so war. Auf den Einbruch der Kochkunst in seine wohlgeordnete
Kleinfamilie kann Xaver nur borniert reagieren, zumal er von seinen Freunden
als Hahnrei aufgezogen wird. Fast scheint es, als besäßen Gregors
Speisen Zauberkraft, denn ihrer Wirkung ist es zu verdanken, dass Menschen zunächst
glücklicher werden, bevor gerade dieses Glück sie die Eingefahrenheit
der Verhältnisse so schmerzhaft spürbar lässt, dass der frühere
Alltag zerstört wird. Das Kochen und der Genuss sind hier zugleich ein
irrationales Zwiegespräch und ein zutiefst asoziales Tun, worauf die solcherart
in Frage gestellte Gesellschaft mit Gewalt reagiert. Wo zuvor ein gemütlich-routinierter
Kurbetrieb zwischen Walzer und Wassergymnastik vorherrschte, bricht unvermittelt
eine Aggressivität hervor, die auch zuvor nur mühsam kaschiert werden
konnte. Wenn Xaver sich mittels eines befreundeten Polizisten einen Tisch bei
Gregor erschleicht oder später dessen Kräutergarten verwüstet,
wirkt das zunächst noch unbeholfen und komisch – später wird diese
Unbeholfenheit zur zwanghaften Zerstörungswut. So steht hochraffinierte
Kochkunst als kulturelle Errungenschaft gegen „primitives“ Besitzdenken und
Gewalt. Insgesamt scheint der Mensch seinen Möglichkeiten (der kulinarischen
Verfeinerung entspricht
eine emotionale Ausdifferenzierung, die gerade nicht sexuell gerichtet ist)
nicht gewachsen. Immer wieder schlägt Genuss in Gier um, immer wieder verwandelt
sich Liebe in Gewalt. Es kommt alles so schlimm, wie man es erwartet, aber dann
ist es Gregor überraschend leid, immer wieder davon zu laufen, und er vertraut auf sein gewichtigstes
Argument.
„Eden“ ist ein leiser Film auf dem schmalen Grat
zwischen urbaner Legende und realistischer Milieuzeichnung, der bei der Figurenpsychologie
mehr auf Blicke und kleine Gesten als auf große Worte vertraut. Insofern
passt er vorzüglich in die Linie aktueller deutscher Filme wie „Sehnsucht“ (fd 37 773), „Pingpong“ (fd 37 875) oder „Sommer
04“ (fd 37 835), wenngleich hier
noch deutlich Subtexte angelegt sind. Darsteller wie der abgründige Josef
Ostendorf, der stenzhafte Devid Striesow, der stets bedrohliche Manfred Zapatka
und Charlotte Roche, die hier entschieden gegen ihr forsches Image besetzt ist,
sind darstellerisch in der Lage, die Konflikte um Genuss, Gier, Intimität,
Eifersucht, Kunst, Genie, Zugang und Vertreibung aus dem Paradies subtil eskalieren
zu lassen – bis zur Katastrophe und zum bittersüßen Happy End.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-dienst
Eden
Deutschland
/ Schweiz 2006 - Regie: Michael Hofmann - Darsteller: Josef Ostendorf, Charlotte
Roche, Devid Striesow, Max Rüdlinger, Leonie Stepp, Roeland Wiesnekker,
Manfred Zapatka, Pascal Ulli - FSK: ab 12 - Länge: 103 min. - Start: 23.11.2006
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