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Der Ehekäfig
I want my baby back
Gerade noch steht der erfolgreiche
Bauunternehmer Julien (Lino Ventura) auf einem allerdings defekten Kran und
genießt die Sicht auf die schöne Stadt Paris, purzelt er auch schon,
eine frische Flasche Tonic Water von seiner geschiedenen Frau Hélène
in Empfang nehmen wollend, senkrecht in einen Keller. Wie konnte das geschehen?
Von Hélène (Ingrid
Thulin) gebeten, sie zu besuchen, um über den Verkauf ihres Hauses gemeinsam
zu beraten, tastet sich Julien mit seinem schicken Jaguar an das Domizil seiner
Ex heran. Er kann nicht oft dort gewesen sein, warum auch, muss ich jetzt links
abbiegen, kann ich jetzt hier schon durch das Tor? Immer wieder steigt er aus,
testet das Gelände, scheitert, steigt wieder ein, fährt ein Stück
weiter.
Für Slapstick ist das natürlich
zu langsam, aber komisch wirkt das schon, vielleicht sollen auch Ironiesignale
für später ausgesendet werden, das was da jetzt kommt nicht zu ernst
zu nehmen. Schließlich kommt Julien auf dem geräumigen Grundstück
an und muss doch noch mal um die Ecke fahren. Endlich ist er da und steigt definitiv
aus. Gefilmt wird diese Einstellung – Julien auf dem Weg zur Haustür –
wie hinter einem Schleier, einem Gitter, natürlich sind es Zweige, die
ein wenig die Sicht verdecken, aber man ist doch gespannt, warum das jetzt so
gemacht wurde. Julien begrüßt Hélène. Er macht ihr
Komplimente. Sie verhält sich zurückhaltend. Schnell ist der Zuschauer
in die Art von Beziehung dieses Paars eingeweiht. Zunächst Ehe, dann Trennung.
Dann kommt auch schon die Szene
mit dem Keller, Hélène steht in der Küche, Julien geht ihr
entgegen, um die Flasche in Empfang zu nehmen und plumps!, ist er weg. Die Dielen wie
weggebrochen. Julien denkt an einen Scherz, oder zunächst eher an die Ermüdung
des Materials. Aber Hélène ist so passiv, wartet ab, leidet gar
nicht mit. Man ahnt es. Das sieht nach Abrechnung aus. Hélène
will gar nicht das Haus verkaufen. Sie will ihren Julien zurück. Zumindest
verlangt sie, dass er verstehe, warum sie das gemacht habe. Nicht nur Julien,
auch der Zuschauer versteht bisher noch nicht so recht. Aber allmählich
zeigt sich eine gequälte Existenz. Eine tief enttäuschte, eine, die
hoch von Liebe und Ehe gedacht hat.
Absurderweise will sie nach der
Scheidung Julien noch etwas zeigen. Unterschiedliche Einteilung von Lebenskapiteln.
Jetzt teilt Hélène zu. Sie, die in der Ehe, wie sie glaubt, zurückgesetzt
war, der Mann ein Karrierist, der sich irgendwann gesagt hat, wenn ich diese
Frau nicht bald verlasse, dann bin ich die längste Zeit ein freier Mann
gewesen. Also im Grunde überhaupt kein Typ für die Ehe, die für
ihn eine Art Lernprogramm war, was zumutbar ist und was nicht. Anders seine
Ex-Frau. Sie will, dass er versteht. Das ist fürchterlich. Man leidet richtig
mit Ventura mit, der das nicht kann. Verschobener gegenseitiger Terror. Jetzt
ist Hélène dran.
Natürlich versucht Julien
zu fliehen, aber es gelingt ihm nicht. Irgendwann verliert Hélène
die Herrschaft über die Situation und vermengt ein paar Dinge, so zum Beispiel
die sentimentale Zerstörung von gemeinsamen Fotos und den Feuerregen, den
sie von oben in den Keller schickt und ein kleines Unglück anrichtet. Julien
gibt das Stichwort, du willst mich töten, wenn du schon nicht weißt,
was du von mir willst. Also lenkt Hélène Gas in den Keller. Aber
sie hält es nicht aus, gerade noch schafft sie es, Julien zu befreien,
da klingelt der Postbote an der Tür, und der Funke springt über und
das Haus fliegt in die Luft. Nur gut, dass die beiden, die sich nicht mehr lieben
können, im Keller sind und das Gröbste überstehen. Hélène
lacht auch schon wieder.
Ein Film nach einem Theaterstück.
Das merkt man leider. Ibsen, Strindberg, die Rolle der Frau. Aber dieses Stück
ist nicht so gut wie seine Vorgänger. Eigentlich ein ziemlich blöder
Plot. Oder grotesk. Aber eben ernsthaft gespielt.
Dieter Wenk (12.05)
Dieser Text
ist zuerst erschienen in:
Der Ehekäfig
LA CAGE
Frankreich - 1974 - 90 min. - Erstaufführung:
17.10.1975
Regie: Pierre Granier-Deferre
Buch: Pierre Granier-Deferre, Pascal Jardin
Vorlage: nach einem Bühnenstück von Jack Jacquine
Kamera: Walter Wottitz
Musik: Philippe Sarde
Darsteller:
Lino Ventura (Julien)
Ingrid Thulin (Hélène)
Jean Turlier
Sophie Sam
William Sabatier
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