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Ehemänner
und Ehefrauen
Die Faszination
der Zugentgleisung
Zwischen seiner Erfolgsphase in den Siebzigern und
seinem mächtigem qualitativen Comeback Mitte der Neunziger mit Hilfe einiger
schrecklich lustiger Tragödien (ich denke da an "Bullets
over Broadway", "Sweet
And Lowdown" und den grässlich unterbewerteten "Deconstructing
Harry") findet sich im Filmschaffen
Woody Allens eine Phase der moderaten Ehepaar-Dramen, vorgeprägt wohl schon
durch "Hannah And Her Sisters", besiegelt schließlich mit "Manhattan
Murder Mystery". "Ehemänner und Ehefrauen" klingt vielleicht
wie eine Definition, Zusammenfassung und höchste Ausformulierung dieses
Werkabschnitts, ist aber doch nicht mehr geworden als der genaue Durchschnitt
dieser qualitativ unsteten und immer auch etwas belanglosen Schaffensphase im
Allenschen Œvre.
In Allens spiegelbildlich angelegtem Gesamtwerk hat
beinahe jeder Film einen Vorläufer. Und wie der aktuelle Meisterstreich
„Match Point“ sein kongeniales Gegenstück in dem ebenso
moralfreien und gedankenschweren "Verbrechen und andere Kleinigkeiten"
findet, so verweist der semidokumentarisch angelegte „Ehemänner und Ehefrauen“
stilistisch auf „Deconstructing Harry“ (auch die Wiederkehr der phänomenalen
Judy Davis als erneut emotional instabile Ex-Frau kennzeichnet eine Verwandtschaft
zwischen diesen beiden Filmen), freilich ohne dessen grausam entblößenden
Witz gegenüber sich selbst und anderen vorweisen zu können.
Gemeinsam ist den beiden Werken, dass Allen in ihnen
seine ohnehin schon dokumentarisch angehauchte Inszenierungshandschrift mit
überlappendem Dialog und Gesprächen aus dem Off auf die Spitze treibt:
Es gibt tatsächliche „Talking Heads“, die Figuren erklären einem unbestimmten
Interviewer ihre Gefühlslage, sogar ein Erzähler wird uns zur Seite
gestellt, der sehr sensibel Szenen kommentiert und ganze Episoden zusammenfaßt,
als hätte das Kamerateam nur sporadische Besuche im Kosmos der Figuren
gemacht und müsste den Zuschauer erst wieder auf den neuesten Stand bringen
– Versatzstücke eines psychologischen Lehr- oder Studienfilms, die Spezies
der Ehepaare in ihrer natürlichen Umgebung, beobachtet mit wissenschaftlicher
Exaktheit. Dazu kommen desorientierende Jump- und Sound Cuts mitten im Gespräch,
manchmal gar mitten im Wort, und immer mal wieder auch so wunderbar verschrobene
Stilmittel wie ein Schuss ohne Gegenschuss, was dann zu einem Gespräch
führt, von dem wir durchgehend nur eine der beteiligten Personen sehen.
Komisch ist der Film dagegen fast gar nicht. Für
die von Allen schon immer verspotteten Fans, die sich noch immer nach seinen
„frühen, lustigen Filmen“ sehnen, muss man diese Information ja schon noch
einmal mitliefern (zur Rosskur gegen dieses Syndrom lege ich all jenen „Stardust
Memories“ ans Herz). Sicher ist auch „Ehemänner und Ehefrauen“ an vielen
Stellen milde amüsant und gewürzt mit kleinen, meist unauffällig
plazierten Pointen, aber darum geht es Allen hier weniger denn je. Statt dessen
konzentriert er sich vor allem auf ein realistisches Portrait der kleinen Grausamkeiten,
Missverständnisse und Lügen, die man sich als langjährige Beziehungspartner
gegenseitig antut, und die einen auseinandertreiben oder zusammenschweißen,
manchmal auch beides. Allen und Farrow beobachten mit dem faszinierten Entsetzen,
mit dem man einen entgleisenden Zug anstarrt, wie die Ehe eines befreundeten
Paares in der martialischen Schlammschlacht endet – bevor dann auch ihre eigene,
scheinbar doch so idyllische Beziehungswelt implodiert, dieses Mal mit einem
Wimmern statt mit einem Knall. Rückblickend betrachtet eigentlich ein sehr
trauriges Sujet, voll grausamer Entscheidungen, die man dann jahrelang bereut,
und voller Minenfelder, in die man offenen Auges hineinrennt. Ganze Leben bleiben
da auf der Strecke.
Dass man als Zuschauer trotzdem nicht so heftig davon
getroffen wird wie von einigen der neueren, eingangs erwähnten Tragikomödien,
das hat mit Allens fehlender inhaltlicher Schärfe zu tun. Trotz all seiner
inszenatorischen Finesse und der darstellerischen Brillanz kann „Ehemänner
und Ehefrauen“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass man derlei Beziehungsdynamik
schon gesehen hat und eigentlich auch schon vorausahnen kann. Inhaltlich herrscht
dadurch milde Gleichgültigkeit, nur stilistisch ist der Film eine Wiederentdeckung
- auch wenn Allen sich in dieser Hinsicht seitdem selbst übertroffen und
in "Deconstructing Harry" ein passenderes Sujet für seine dokumentarischen
Stilmittel gefunden hat.
Daniel Bickermann
Ehemänner
und Ehefrauen
Husbands
and Wives.
USA 1992. R,B,D: Woody Allen. K: Carlo Di Palma. S: Susan E. Morse. P: TriStar. D: Mia Farrow, Judy Davis, Sydney Pollack,
Juliette Lewis.
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