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Eierdiebe
Eierdiebe beginnt mit einer Leiche. Langsam wird sie mit anderen
Körpern durch die Gänge eines Krankenhauses gerollt. Der Wächter
der Pathologie hebt das Betttuch, bevor der leblose Körper in die Lagerstätten
gefahren wird, und blickt direkt in das leb- und haarlose Gesicht eines Chemotherapiepatienten.
Schnitt.
"Zwei Monate früher"
wird eingeblendet, und man sieht zu den Anfangscredits samt fröhlicher
Musik
den noch sehr lebendigen Martin Schwarz
(Wotan Wilke Möhring), von dem der Zuschauer schon jetzt weiß, wo
er in zwei Monaten landet. Der Beginn von Eierdiebe macht es einem zu Beginn unmöglich, dem Protagonisten
unbeschwert zu begegnen. Wenn er beim Wein holen im Keller zusammenbricht, und
seinem Bruder über Schmerzen "da unten" klagt, so ist jener Schmerz
für den Zuschauer eine weitaus ernst zu nehmendere Bedrohung, als es Martin
und seiner Familie zunächst scheint.
Es dauert jedoch auch für die Figuren in Eierdiebe nicht allzu lange, bis auch sie mit der Diagnose konfrontiert
werden, die dem Zuschauer in den ersten Bildern so drastisch vor Augen geführt
wird: Hodenkrebs wird festgestellt, und wie der Titel des Filmes schon wenig
subtil andeutet, verliert Martin bereits bald darauf einen Teil seiner Männlichkeit.
Ein Hoden wird amputiert, der zweite soll folgen. Um die Operation zu verhindern,
wählt Martin die riskantere Variante einer Chemotherapie. Eierdiebe konzentriert sich hauptsächlich auf die Beziehung
des Protagonisten zu seinen beiden Zimmergenossen, die ihrem Krebsleiden auch
eine Chemotherapie zu verdanken haben, es geht um die langsame Annäherung
der drei, darum, wie Martin erst akzeptiert wird, als auch er seine Haare verloren
und seine ersten Infusionen bekommen hat.
Es gab vor einigen Jahren einen Film der Kabarettisten
Josef Hader und Alfred Dorfer, in dem es ebenfalls um Hodenkrebs ging. Ungewöhnlich,
dass Hader und Dorfer in Indien einen ähnlichen Ansatz wählten, wie nun Schwendtke:
sowohl Indien als auch Eierdiebe sind Komödien. Das Lachen scheint eine der wenigen
Möglichkeiten zu sein, mit einem Schicksal wie Hodenkrebs auch narrativ
umzugehen. "Tumor ist, wenn man trotzdem lacht", behauptet Martin
in Eierdiebe. Und - zumindest teilweise funktioniert die Mischung
aus tragischer Krankheit und komödiantischem Inhalt ganz gut. Eierdiebe zeigt, was passiert, wenn man die deutsche Komödie
um drei junge Männer und eine junge Frau - Julia Hummer spielt ebenfalls
eine Krebspatientin - in ein Krankenhaus verlagert. Während jedoch Indien den Spagat zwischen Tragödie und Komödie mit
Bravour bestand - auch weil er sich dem eigentlichen Dilemma dadurch entzog,
dass er den komödiantischen Teil von dem tragischen relativ stark abtrennte,
so gelingen Schwentke in seinem Film die Scherze nicht immer. Zu flach bleiben
die Pointen, zu unmotiviert der Humor. So scheint beispielsweise die Jagd des
Erkrankten nach seinem amputierten Hoden, den er mit allen Mitteln zurückzuerlangen
sucht, eher ständig wiederholter Gaglieferant zu sein als die glaubhafte
Darstellung eines humorbeseelten Schwerstkranken.
Eierdiebe teilt in seiner Mischung aus teils unangemessen flachem
Humor und streckenweise sensibel gezeichneten zwischenmenschlichen Beziehungen
die Fehler und Tugenden manch anderen deutschen Filmes: Der Himmel kann warten von Brigitte Müller schilderte vor einigen Jahren
eine Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, die ebenso an einer schweren
Krankheit zu tragen hat wie in Eierdiebe die Familie des Protagonisten. Auch durch Müllers
Film zog sich der Versuch, Tragik und Humor zu kombinieren, damals wurden jedoch
die stellenweise sensibel gezeichneten Freundschaften durch noch weit flachere
Pointen und oberflächlich gezeichnete Nebenfiguren erstickt. Eierdiebe funktioniert weit besser als seinerzeit Der Himmel kann
warten, denn Schwentke versteht es durchaus, zumindest stellenweise zum Lachen
und Weinen zu bringen. Und jene Emotionalität, jenes zumindest teils gelungene
melodramatische Element des Filmes ist es wohl auch, das einen hinwegsehen lässt
über die Schwächen der
Dramaturgie und die Flachheit des Humors.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Eierdiebe
Robert
Schwentke
Deutschland,
2003
Kinostart
(D): 22. Januar 2003
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