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Alfred
Hitchcock machte uns vor, wie dialogträchtige Bühnenstücke trotzdem
spannend verfilmt werden können, etwa in »Cocktail
für eine Leiche«
(1948) oder »Bei
Anruf Mord«
(1954). Auch bei Gerichtsdramen, die zumeist stark auf Dialoge setzen müssen,
besteht für Regie wie Drehbuch die Schwierigkeit, den Eindruck von Theater
möglichst zu vermeiden (gelungen z.B. in Billy Wilders »Zeugin
der Anklage«,
1957). Rob Reiner (»The American President«, 1995; »North«,
1994) versuchte sich 1992 an einem solchen Stück.
Die
zwei US-Marinesoldaten Downey (James Marshall) und Dawson (Wolfgang Bodison)
stationiert in Guantanamo Bay auf Kuba fesseln ihren Kameraden Santiago
auf dessen Zimmer und stopfen ihm einen Lappen in den Mund. Eine Stunde später
ist Santiago tot. Das Ritual, das hier vollzogen wurde, nennt sich Code Red
eine Disziplinarmaßnahme, die sich in keinem Militärhandbuch und
keiner Vorschrift findet und trotz Verbots immer wieder angewendet wird. Santiago
hatte den »Fehler« gemacht, mehrmals seine Versetzung zu beantragen,
weil er den harten körperlichen und psychischen Bedingungen, die auf dem
Militärstützpunkt herrschen, nicht gewachsen war. Zudem hatte er einen
der beiden Täter gemeldet, weil dieser ohne ersichtlichen Grund einen Schuss
auf die kubanische Seite abgegeben hatte.
Die
mehr als korrekte Militär-Anwältin Jo Anne Galloway (Demi Moore) will
den Fall unbedingt übernehmen. Doch ihr Vorgesetzter beschließt,
den erst ein Jahr als Anwalt bei der US-Army tätigen Daniel Kaffee (Tim
Cruise) als Verteidiger für die beiden inzwischen festgenommenen Soldaten
Downey und Dawson zu beauftragen. Neben Galloway wird Kaffee Lieutenant Sam
Weinberg (Kevin Pollak) unterstützt.
Der
lässige Draufgänger Kaffee geht den Fall zunächst scheinbar gelassen
an. Doch der Sohn eines berühmten Anwalts, von dem er so einiges gelernt
zu haben scheint, ist gerissener als Galloway zunächst angenommen hat.
Die Verteidigung scheint auf verlorenem Posten zu stehen. Denn Downey und Dawson
gestehen ihre Tat, die Ausführung des Code Red. Lieber gehen sie ins Gefängnis,
als ihre Ehre zu verlieren. Ihr Leitspruch lautet »Unit, corps, God, country«.
Und in Kaffee sehen sie nicht einen ehrenwerten Soldaten, der fürs Vaterland
sterben würde, sondern einen eitlen Gockel mit Colgate-Lächeln, der
in der Army eigentlich nichts verloren hat: »I cant believe they let
you wear a uniform«, sagt Dawson Kaffee ganz offen ins Gesicht.
Doch
es kommt noch schlimmer für die Verteidigung: Auf der Gegenseite steht
als Ankläger der mit allen Wassern gewaschene Captain Jack Ross (Kevin
Bacon). Und: Befehlshaber auf dem Stützpunkt in Guantanamo Bay ist Colonel
Jessep (Jack Nicholson), der seine Einheit nicht nur mit starker Hand regiert,
sondern auch jegliche Verantwortung für das Tun von Downey und Dawson bestreitet.
Seine rechte Hand, Lieutenant Kendrick (Kiefer Sutherland) geht ihm dabei unterwürfig
und überzeugt zur Hand. Nur Lieutenant Colonel Markinson (J. T. Walsh)
ist das Treiben Jesseps zuwider. Er berichtet Kaffee unter vier Augen davon,
dass die Behauptung Jesseps, er habe den Antrag Santiagos auf Versetzung positiv
beschieden und Santiago hätte am Morgen nach seinem »plötzlichen«
Tod ausgeflogen werden sollen, eine Lüge sei. Jessep selbst habe den Code
Red befohlen.
Kaffee
will Markinson als Zeuge benennen will. Doch Markinson zieht sich eines Abends
seine beste Uniform an und tötet sich durch einen Schuss in den Mund. Die
Verteidigung scheint keine Chance zu haben, Jessep das Handwerk zu legen, zumal
eine ungerechtfertigte Beschuldigung gegen einen Army-Angehörigen mit höherem
Dienstgrad zu Sanktionen und unehrenhafter Entlassung aus der Army führen
kann ...
Wie
so oft bei Filmen, die in oder von der US-Armee handeln, scheint es auch in
diesem Film um die Rettung der Ehre zu gehen. Zumindest deutet der deutsche
Titel des Films dies an. Doch die Ehrenrettung wenn man in dem Film überhaupt
eine sehen will ist äußerst brüchig. Es geht nicht um eine
prinzipielle Kritik der US-Politik oder der US-Marine, sondern um Fragen des
Missbrauchs von Macht, der Abkopplung militärischer Strukturen von demokratischen
Entscheidungs- und Kontrollmechanismen, um das strukturelle Problem von sog.
»besonderen Gewaltverhältnissen« (hier dem Militär), in
diesem Zusammenhang des Systems von Befehl und Gehorsam, und last but not least
schwierige Fragen, wie sie im Zusammenhang der Nürnberger Prozesse oder
auch der Geschehnisse in Vietnam (My Lai) aufgetaucht sind, also Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich auch gegen Armeeangehörige
selbst richten können.
All
dies thematisiert Reiner ernsthaft und auf eine zutiefst offene und ehrliche
Weise in »A Few Good Men«. Dies geschieht in einem geschlossenen,
vor allem durch die Konfrontation unterschiedlicher Charaktere beeindruckenden
Drama, in dem sogar auf eine mögliche Liebesgeschichte zwischen Cruise
und Moore gänzlich verzichtet wurde eine Seltenheit in US-amerikanischen
Filmen.
Wer
steht sich gegenüber? Zunächst die Figur des vermeintlichen Sonnyboys
Kaffee, der sich dann als gewiefter und unbestechlicher Mensch erweist, und
des skrupellosen Colonel Jessep; dann Kaffee, der des öfteren der Verzweiflung
nahe ist, und die vordergründig eisige Anwältin Galloway, die nicht
locker lässt und Kaffee immer wieder provozierend zum nächsten Schachzug
reizt; schließlich Kaffee, dem jegliche Verantwortungslosigkeit im Zusammenhang
mit Befehlen und Militärstrukturen zuwider ist, und Dawson, der sich in
geradezu martialischer und masochistischer Weise einem »Ehrenkodex«
unterworfen hat, ein Mensch, der nicht mehr als Subjekt, sondern nur noch als
funktionierende Maschine zu erkennen ist.
Alle
diese Figuren machen im Laufe des Dramas eine Entwicklung durch: Kaffee lernt,
dass es nicht nur gilt, seine Zeit bei der Marine mit Sport »abzuwickeln«,
sondern es wichtigere Dinge gibt und zu tun gibt. Galloway lernt, in einem Team
zu arbeiten. Dawson muss erkennen, dass seine innere Einstellung gegenüber
Vorgesetzten einer gründlichen Überprüfung bedarf. Und Jessep?
Der muss akzeptieren, dass es für ihn und seine Skrupellosigkeit keine
Zukunft gibt.
In
der Konfrontation dieser Figuren steigert Rob Reiner das Drama zum Höhepunkt,
der Gerichtsverhandlung, in der Kaffee Jessep als Zeugen benennt. Dabei werden
entscheidende Fragen entwickelt und Position bezogen: Soll ein Soldat jeden
Befehl befolgen, den er von einem Vorgesetzten erhält, auch wenn dieser
Befehl ein Mordbefehl ist? Wie kann ein Militärangehöriger zwischen
einem erlaubten dienstlichen Befehl und einem illegalen, unmenschlichen Befehl
unterscheiden? Ist ein Soldat nur noch Soldat, ein funktionierendes Etwas, ohne
Eigenverantwortung und eigenes Denken? Wie ist es möglich, dass innerhalb
einer Armee Personen an die Spitze der Befehlsgewalt rücken können,
für die wie bei Jessep jedes Mittel erlaubt ist, wenn der Zweck gutgeheißen
bzw. für positiv erklärt wird? Jessep äußert dies ziemlich
unverblümt: Die, die er zu schützen vorgibt vor »dem Feind«,
hätten ihm nicht zu sagen, wie er seine Aufgabe unter Einsatz seines Lebens
und das seiner Truppe zu erfüllen habe; das könne nur er.
Wie
kann ein besonderes Gewaltverhältnis wie das Militär überhaupt
demokratisch kontrolliert werden? Wie ist es möglich, dass sich Soldaten
unter dem Leitmotiv »Einheit, Korps, Gott, Vaterland« einer weltfremden,
ideologisch verbrämten Mentalität unterwerfen, die letztlich Ausdruck
totalitärer Strukturen ist? Eine solche Mentalität ist die unabdingbare
Voraussetzung für die Möglichkeit von Kriegsverbrechen, wie sie etwa
in Vietnam begangen wurden.
Selbst
der mit Jesseps skrupelloser Mentalität und Brutalität nicht übereinstimmende
Markinson ist nicht bereit, als Zeuge gegen Jessep auszusagen, sei es, weil
er darin einen Verrat am Vorgesetzten sieht, sei es weil er über die Entwicklung
in Guantanamo Bay derart entsetzt ist, dass er keinen anderen Ausweg sieht als
den »ehrenhaften« Tod. So weit kann »Ehre« gehen.
Cruise,
Moore, Nicholson und Bodison machen ihre Sache ausgezeichnet. Die Figuren, die
sie spielen, können sie in ihrer ganzen Brisanz, Zweideutigkeit, in der
Konsequenz ihres Verhaltens und Denkens glaubhaft verkörpern.
So
patriotisch der deutsche Titel des Films klingt, so wenig spielt gerade Patriotismus
in Rob Reiners Streifen die Hauptrolle. Als Dawson zum Schluss den Gerichtssaal
verlässt, sagt er zu seinem Mitangeklagten Downey, sie hätten Santiago
helfen müssen, anstatt ihn zu töten. Das sagt mehr über den Film,
den Fall und die damit verbundenen Probleme aus als alles andere.
Ein
spannender, dramatisch in sich geschlossener Film, der etliche Fragen aufwirft,
viel zu denken gibt und sich in Sachen Patriotismus extrem zurückhält.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Eine
Frage der Ehre
[A Few Good Men] USA 1992
Laufzeit:
138
Drehbuch:
Aaron Sorkin
Regie:
Rob Reiner
Darsteller:
Tom Cruise, Jack Nicholson, Demi Moore, Kevin Bacon, Kiefer Sutherland, Kevin
Pollak, James Marshall, J. T. Walsh, Christopher Guest, J. A. Preston, Matt
Craven, Wolfgang Bodison, Xander Berkeley, John M. Jackson, Noah Wyle
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