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Ein
einfacher Plan
„What
a weird job ...”
Vieles
an „A Simple Plan“ erinnert an die Stimmung in „Fargo“
(1996) von den Coen-Brüdern: Atmosphäre, Charaktere, die winterliche
Umgebung in einer Kleinstadt des mittleren Westens. Aber Sam Raimi („Evil
Dead
1 und 2“, 1981, 1987; „Armee
der Finsternis“,
1993; „Spider-Man“,
2002) ist kein Plagiator, und die Geschichte, die er in „Ein einfacher Plan“
erzählt, ist weit davon entfernt, den gängigen Klischees aus der Traumfabrik
zu folgen.
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I N H A L T •
Hank
(Bill Paxton) zitiert seinen verstorbenen Vater: Um einen Mann glücklich
zu machen, brauche es nicht viel: „Eine Frau, die er liebt. Einen guten Job.
Freunde und Nachbarn, die ihn mögen und respektieren.” Hank hat all dies
erreicht. Er hat eine Frau, Sarah (Bridget Fonda), beide lieben sich, sie ist
schwanger, Hank hat Arbeit. Er ist ein angesehener Mann. Sein Gehalt ist zwar
nicht üppig, aber er kann seine Familie ernähren – ganz im Gegensatz
zu seinem Bruder Jacob (Billy Bob Thornton) und dessen Freund Lou (Brent Briscoe),
denen langsam das Geld ausgeht, die keine Arbeit haben und von öffentlicher
Unterstützung leben müssen.
Es
ist Winter in der Kleinstadt irgendwo im mittleren Westen. Hank, Jacob und Lou
sind außerhalb der Stadt unterwegs. Als Lous Hund einem Fuchs nachjagt,
entdecken die drei Männer abseits der Straße ein abgestürztes
Flugzeug, das vom Schnee schon fast vollständig verdeckt ist. Der Pilot
ist tot, Krähen, von denen es in der Gegend nur so wimmelt, haben ihm bereits
das Gesicht zerfressen. Im Flugzeug findet Hank eine Tasche mit 4,4 Mio. Dollar.
„Der amerikanische Traum ... in einer Reisetasche”, freut sich Lou. Er und Jacob
sind entschlossen, das Geld zu behalten, während Hank es zunächst
den Behörden übergeben will. Doch schnell ist auch er davon überzeugt,
dass es sich um illegales Geld, Drogengeld oder etwas ähnliches handeln
müsse. Hank ist bereit, das Geld zu behalten, unter einer Voraussetzung:
Er verwahrt es bis zum Frühjahr. Wenn bis dahin sich niemand als legaler
Besitzer des Geldes meldet, werde man sich das Geld teilen und aus der Stadt
verschwinden. Man einigt sich auch darauf, dass niemand von dem Fund erfahren
soll.
Der
geschwätzige Lou allerdings erzählt natürlich seiner Frau Nancy
(Becky Ann Baxter) von dem Fund. Und Hank zeigt Sarah das Geld. Nur Jacob schweigt.
Wem sollte er auch etwas erzählen? Er lebt schon immer allein. Hank und
Sarah, die nach anfänglichem Zweifeln dem Plan der drei Männer zustimmt,
überlegen, was passieren könnte. Sarah meint, Hank solle einen Teil
des Geldes, etwa 500.000 Dollar wieder in das Flugzeug bringen, die Piloten
wieder so hinsetzen wie vor der Entdeckung des Geldes und alle sonstigen Spuren
beseitigen, damit kein Verdacht geschöpft werde, dass irgend jemand aus
dem Ort die Tasche gefunden habe, falls man das Wrack findet.
Hank
und Jacob machen sich auf den Weg. Als sie allerdings in der Nähe des Wracks
ankommen, kommt es zwischen Jacob und dem auf einem Schneepflug zufällig
vorbeikommenden Farmer Dwight Stephanson (Tom Carey) zu einem handfesten Streit.
Die Ereignisse überstürzen sich für die drei Männer und
Sarah ...
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I N S Z E N I E R U N G •
„Für
den amerikanischen Traum muss man arbeiten – man stiehlt ihn nicht.” Diese Antwort,
die Hank kurz nach dem Geldfund Lou gibt, als der meint, den amerikanischen
Traum in der Reisetasche gefunden zu haben, wird durch „A Simple Plan” gründlich
destruiert. Hank gilt im Ort als rechtschaffen; er genießt Achtung bei
Nachbarn und Freunden. Sein Bruder Jacob, ein Einzelgänger, der nie eine
Freundin hatte, erscheint anfangs des Films als etwas zurückgeblieben,
ja naiv. Lou, sein Freund, den Hank nicht besonders mag, ist ein Schwätzer,
Tunichtgut und notorischer Trinker, der nichts für sich behalten kann.
Im Laufe des Films und aufgrund des Geldfundes jedoch ändert sich fast
alles. Die 4,4 Mio. Dollar werden zum Maßstab aller Dinge für die
drei Männer und auch für Sarah und Lous ständig über ihren
Mann schimpfende Frau Nancy.
Dabei
geht es vordergründig für alle darum zu verhindern, dass irgend jemand
von dem Fund erfährt bzw. sie in Verdacht kommen, sich das Geld unter den
Nagel gerissen zu haben. Schon bald erweist sich, dass das Geld noch ganz andere
Folgen mit sich bringt. Aus Freunden werden Feinde, aus Brüdern Gegner.
Keiner der Beteiligten schreckt mehr davor zurück, bis zum Äußersten
zu gehen, um sich seinen Anteil an dem Geld zu sichern. Der Schutz der eigenen
Familie etwa ist für Sarah schon bald abhängig davon, ob man das Geld
für sich sichern kann, damit man sich nicht jeden Tag überlegen müsse,
ob man sich ein teureres Essen als sonst leisten kann usw.
Sam
Raimi vermeidet allerdings jegliche moralische Bewertung des Verhaltens seiner
Figuren. „A Simple Plan” steht nicht unter dem Motto der Verteidigung des american
dream oder hehrer ethischer Prinzipien. Raimi tut etwas anderes. Er bezieht
sein Publikum in die Geschichte ein, die mit immer neuen Überraschungen,
Ereignissen und der Reaktion der Beteiligten darauf aufwartet. Man kann sich
dem Verhalten der Personen wohl kaum entziehen. „A Simple Mind” ist eines der
positiven Beispiele des Hollywood-Kinos, in dem sympathisierende Nähe zu
den Figuren hergestellt wird. Dabei geht es nicht darum, die Handlungen insbesondere
von Hank und Jacob zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, sondern sie im Zusammenhang
der Geschichte zu verstehen. „Hattest du je das Gefühl, böse zu sein?”
fragt Jacob an einer Stelle seinen Bruder. „Ich bin böse”, beantwortet
er selbst die Frage zu einem Zeitpunkt, an dem bereits Schreckliches passiert
ist. Beiden ist bewusst, dass sie sich durch das Verstecken des Geldes und durch
das Verhalten gegenüber dem Farmer Stephanson in eine Situation gebracht
haben, aus der heraus es immer weniger ein Zurück geben kann. Die Diskrepanz
zwischen Wirklichkeit und Schein wird für die zwei Brüder immer größer.
„Niemand würde je glauben”, sagt Sarah zu ihrem Mann, „dass du fähig
bist, das zu tun, was du getan hast.” Das Ansehen Hanks verkommt zur Makulatur
für Nachbarn, Sheriff und die anderen Einwohner.
Bill
Paxton spielt einen Mann, den man sich als angenehmen Nachbarn oder Freund gut
vorstellen kann, dessen Überzeugungen, guten Absichten und Ethik durch
Verfolgungswahn, Angst, auch vor dem sozialen Abstieg statt Aufstieg, gründlich
erschüttert werden, weil er das Geld zum alleinigen Maßstab seines
Lebens werden lässt. Paxtons Hank entdeckt an sich Abgründe, die er
bislang für unmöglich hielt. Er kalkuliert eiskalt und handelt dementsprechend.
An seiner Frau muss er die gleichen Mechanismen feststellen.
Billy
Bob Thornton, mit schwarz umrandeter Brille und langen Haaren, erweist sich
als Jacob im Verlauf des Films als Mann, der, weil er nicht gut aussieht und
Scheu vor Frauen hat, unter dem Alleinsein leidet, aber auch darunter, dass
– was er Hank irgendwann erzählt – er weiß, dass beider Vater nicht
durch einen Unfall gestorben ist, sondern sich umgebracht hat. Er träumt
davon, das alte Haus der Familie zu kaufen, um „etwas vorweisen” zu können,
vielleicht doch noch eine Frau zu bekommen, die ihn mag. Wodurch dies geschieht,
ist ihm egal, selbst wenn es das Geld sein sollte. Jacob mag manchmal etwas
langsam sein, aber er ist nicht dumm, sensibler und intelligenter, als man zu
Beginn des Filmes glaubt.
Der
Geldfund wirkt wie ein Katalysator auf die drei Männer, wie ein deus ex
machina. Sie werden getrieben und lassen sich treiben. Gewalt und Tod werden
plötzlich zur Normalität ihres Lebens – aber auch Intrige und Verrat
untereinander. Raimi zieht direkt aus der immer weiteren Verstrickung der drei
Männer und Sarahs in Verbrechen in Zusammenhang mit der subtilen Charakterdarstellung
die permanent steigende Spannung bis zum Schluss des Films. Thriller und Drama,
teilweise verbunden mit Groteske, vermischen sich zu einer gelungenen Einheit.
Ich sehe auch keine übertriebene, pathetisch anmutende oder realitätsferne
Darstellung durch die Hauptpersonen. Paxton, Fonda, Thornton und Briscoe spielen
ihre Rollen so, als wenn sie nicht spielen würden. Aus gewöhnlichen
Menschen werden Leute, die zu Bluttaten bereit sind – um es nochmals zu betonen,
aber nicht in der Weise, dass die „Verwandlung” künstlich wirkt. Gerade
die permanente Nähe zu ihnen bewirkt, dass man sich in die Handlung bis
zum Schluss involviert fühlt.
Die
winterliche Stimmung, das Weiß, die Kälte, selbst die überall
„lauernden” Krähen, die auf irgendein totes Tier hoffen, um sich zu nähren,
geben der Handlung die angemessene Atmosphäre.
Ein
Satz von Jacob sagt vielleicht mehr über die Geschichte aus als alles andere:
„Die Krähen warten ständig darauf, dass irgendein Tier stirbt, um
etwas essen zu können – was für ein merkwürdiger Job.” So verhalten
sich die Krähen – ganz anders als Hank, Jacob, Sarah und Lou.
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F A Z I T •
„A
Simple Plan” überzeugt durch Charakterdarstellung, Spannung und eine Handlung,
die immer wieder Überraschungen parat hat, ohne dass diese Ereignisse aus
der Logik der Geschichte herausfallen würden. Sehenswert also in jeder
Hinsicht.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Ein
einfacher Plan
(A
Simple Plan)
USA
1998, 121 Minuten
Regie:
Sam Raimi
Drehbuch:
Scott B. Smith, nach seinem Roman
Musik:
Dann Elfman
Director
of Photography: Alar Kivilo
Schnitt:
Eric L. Beason, Arthur Coburn
Produktionsdesign:
Patrizia von Brandenstein
Darsteller:
Bill Paxton (Hank Mitchell), Bridget Fonda (Sarah Mitchell), Billy Bob Thornton
(Jacob Mitchell), Brent Briscoe (Lou Chambers), Chelcie Ross (Sheriff Carl Jenkins),
Becky Ann Baker (Nancy Chambers), Jack Walsh (Tom Butler), Gary Cole (Neil Baxter),
Bob Davis (FBI-Agent Renkins), Peter Syvertsten (FBI-Agent Freemont), Tom Carey
(Dwight Stephanson)
Internet
Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0120324
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