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Eine
unbequeme Wahrheit
Revenge of the
Nerd
Mit diesen amerikanischen Aufklärungsfilmen
ist das so eine Sache: Sicher, „Fahrenheit
9/11“ oder „Bowling
for Columbine“ waren unterhaltsam,
aber als Europäer fühlte man sich von den sensationellen Erkenntnissen,
dass Irak nichts mit dem 11. September zu tun hatte und dass eine unkontrollierte
Abgabe von Waffen an ein Volk von Paranoikern nicht so richtig klug ist, in
etwa so überrascht und persönlich betroffen wie ein Atheist von der
Islamkritik des Papstes. Muss man diese Filme hier zeigen, so weit weg von ihrer
eigentlichen Zielgruppe?
Und so ist auch "Eine unbequeme Wahrheit"
zwar ein effektives Lehrstück über die Erderwärmung geworden,
richtig erschreckend ist der Film aber erst auf der Meta-Ebene: Entgeistert
sieht man mit an, dass es offensichtlich noch immer Bereiche auf der Welt gibt,
wo man noch nicht mal soweit ist, über mögliche Abhilfe zu diskutieren,
sondern überhaupt eine awareness für das Problem schaffen möchte. Das sind
die Momente, in denen der Film seinen Weg über den Teich am schlechtesten
verkraftet hat – die langen Passagen, die hier darauf verwendet werden, überhaupt
auf das Problem aufmerksam zu machen, sind für das deutsche Publikum natürlich
verschwendete Zeit.
Trotzdem offenbart der Film Qualitäten, wenn
auch auf unerwartetem Terrain – verwundert stellt man fest, dass aus einem zweistündigen,
abgefilmten Power-Point-Vortrag und einigen krude eingeschnittenen Passagen
Naturromantik und Familienbiographie tatsächlich ein unterhaltsames Stück
Kino werden kann. Das hat weniger mit dem hier erstaunlich zurückgenommenen
Regisseur Davis Guggenheim als vielmehr mit dem Moderator Al Gore zu tun. Zwar
ist der Mann eine legendäre Schlafmütze, ein Lehrer, ein Bücherwurm,
steif und irgendwie verbeamtet, aber hier zeigt er sich in so bestechender Form,
wie es eben nur ein guter Lehrer kann. Scheinbar ohne Furor, dafür mit
nüchterner Beharrlichkeit prügelt er ein komplexes Argument nach dem
anderen in die Köpfe der Zuschauer, bis eine Logikkette entsteht, die weder
vereinfachend noch polemisch, dafür einsichtig und überzeugend ist.
Natürlich geht das nicht ohne Seitenhiebe auf
die derzeitige US-Administration ab, dafür bieten die Veröffentlichungen
der Bush-Regierung zum Thema Erderwärmung einfach zu gute Zielscheiben
– streckenweise funktionieren sie ganz ohne Kommentar als Eigensatire. Die versteckte
Rhetorik tut ein Übriges: Gores hintergründige Anmerkung, dass man
sich vor dem Bau eines WTC-Denkmals erstmal drum kümmern sollte, dass das
Ding nicht in 20 Jahren unter Wasser steht, weil inzwischen die Grönland-Gletscher
geschmolzen sind, hätte auch einem Michael Moore zur Ehre gereicht.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen (in der alten Rechtschreibung) im: Schnitt
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Eine
unbequeme Wahrheit
An
Inconvenient Truth.
USA
2006. R,K: Davis Guggenheim. K: Bob Richman. S:
Jay Cassidy, Dan Swietlik. M: Michael Brook. P:
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