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Ein ganz gewöhnlicher Jude
Ben
Becker in einem Kammerspiel von Oliver Hirschbiegel
In Oliver Hirschbiegels umstrittenem
Film DER UNTERGANG machten sich Hitler und andere Größen des Nazi-Regimes
breit - vom Mord an den Juden war knapp die Rede. Jetzt hat der Regisseur sich
der buchstäblich „Ausgeblendeten" angenommen - in aktuellem Setting
und auf eine merkwürdig vermittelte Weise.
Es gibt ein paar Filmemacher,
in deren Haut möchte man nicht stecken. Nicht, weil es ihnen an Talent
oder Erfolg mangelte. Sondern weil Konzept, Anspruch, Stil sich so leicht verheddern
im Netz der real existierenden Filmkultur. Ein solcher Filmemacher scheint mir
Oliver Hirschbiegel zu sein. Ein Regisseur, der von der Bildenden Kunst kommt
und Stilmittel der Installation, der Performance eingängiger verwendet
als solche epischer Film-Wahrnehmung. Sein Handwerk lernte er dann bei Fernsehserien,
von „Kommissar Rex" bis „Tatort", ein Indoor-Regisseur, der es liebt,
die Räume eng zu machen - auch später in DAS EXPERIMENT und MEIN LETZTER
FILM. Seinen so erfolgreichen Hitler-Film DER UNTERGANG hätte man in dieser
Reihe situativer Installationen sehen können. Aber es wurde etwas anderes
daraus, und ich bin nicht sicher, ob sich der Regisseur Hirschbiegel über
alle Aspekte seines Erfolges gefreut haben kann.
Wie dem auch sei. Sein neuer Film
EIN GANZ GEWÖHNLICHER JUDE erscheint in der Wahl der Methode und des Sujets
ein wenig so, als wolle er alle Missverständnisse ausräumen, die sein
Erfolgsfilm hinterlassen haben mag. Das ist eine höchst ehrenwerte ästhetische
und politische Geste. Ob und wie es funktioniert, ist eine andere Frage.
Ausgangspunkt des Films ist kein
Plot und kein Charakter, sondern ein Text. Charles Lewinsky hat ihn geschrieben,
der in recht vielen journalistischen und literarischen Genres zu Hause ist,
als eine sehr persönliche Reaktion auf die Zumutung, als nach 1945 geborener
Jude in Deutschland zu leben, in den Fallen zwischen Identifikation und Selbstidentifikation.
Die Grundsituation ist einfach: Der Journalist Emanuel Goldfarb, den Ben Becker
darstellt, erhält eine Einladung, vor einer Klasse des Kurt-Tucholsky-Gymnasiums
über sein Leben als Jude in Deutschland zu sprechen. Schon die Einladung
des Lehrers enthält so viele falsche Töne, dass man dem Protagonisten
am liebsten zuriefe: Zerreiß den Brief. Stattdessen aber beginnt für
die nächsten 90 Minuten (eine Doppelstunde am Gymnasium) ein Prozess der
Selbstreflexion beim Versuch, die Absage zu formulieren. Ein Jude in Deutschland
sein, das bedeutet auch, sich gegen Erwartungen und Projektionen zu wehren,
gegen die Rolle im endlosen Exkulpierungs-, Ritualisierungs- und Verneblungsstrom.
Der Zorn fällt immer wieder in den Selbstzweifel zurück; Goldfarb
weiß, dass nicht nur die Zuordnungen in der Konstruktion „Jude in Deutschland"
falsch sind, sondern auch die Rollen im Spiel. Deshalb erliegt er der Versuchung,
sich für seinen Zorn immer wieder zu entschuldigen.
Hirschbiegel und Ben Becker bieten
diesen Test als dramatischen Monolog. Während Becker ihn vorträgt,
als kämen ihm die Worte gerade in den Sinn, folgt ihm die Kamera durch
eine Wohnung, die nicht weiß, ob sie Bühnenbild oder Location sein
soll. Beiläufige Verrichtungen, wie Kaffee kochen, Papier in die Schreibmaschine
legen, auf dem Balkon rauchen, strukturieren den Vortrag. Man sieht einem Text
dabei zu, wie er filmisch und schauspielerisch aufgelöst wird, und man
sieht, wie das handwerklich klappt. Eine Text- und Performance-Maschine ist
angeworfen.
So bleibt man dabei, glaubt dem
Text ein Subjekt, wie wir eben Subjekte aus unserer audiovisuellen Kultur gewohnt
sind. Ich weiß indes nicht genau, warum dieser Text ein Film werden muss.
Weder konzentriert er die Aufmerksamkeit, noch bietet er eine zweite Ebene von
Erkenntnis. Und doch scheint das Bild eines „realen" Menschen und eines
„realen" Raums zum Text mehr als Illustration. Zunehmend teilen wir den
Raum mit Becker, zunehmend wird klar, dass nur ein konkreter Mensch die Antwort
auf die Widersprüche im Text sein kann.
Ob dieser Text von Lewinsky „gut"
ist oder nicht, ob er überhaupt „gut" sein will oder kann, ist keine
zu beantwortende Frage. Wenn er zu „gut" wäre, würde er seiner
Notwendigkeit in den Rücken fallen. Gerade darin befreiend mag er sein,
dass er keinen rechten Adressaten hat - dass der einladende „Herr Gebhard"
verstehen wird, worum es geht, wird ja im Text selbst als eher unwahrscheinlich
erkannt, und gerade dies setzt sich in der letztlich unmöglichen Konstruktion
der Film-Performance fort: ein Akt der Kommunikation, der sein Scheitern schon
in sich hat. Auch im Zuschauerraum weiß man nicht genau, wer gemeint sein
soll. Ich bin doch nicht von der ignorant gutmeinenden Sorte des Herrn Gebhard.
Aber in Emanuel Goldfarb stecke ich auch nicht. Mir schwant etwas: Einen ganz
gewöhnlichen Zuschauer soll es hier nicht geben.
„Ein ganz gewöhnlicher Mensch
möchte ich sein. Ein ganz gewöhnlicher Jude." Dieser Wunsch kann
nicht erfüllt werden, aber das Kreisen im unmöglichen Wunsch setzt
wohl auch den Adressaten, der sich hier ein wenig für dumm gehalten und
dort ein wenig durch die biografische Intimität überfordert fühlen
mag, in Bewegung. Er muss sich genauso erfinden, wie Emanuel Goldfarb sich erfinden
lassen muss. Der Schluss wiederum ist ganz hirschbiegelisch, ein unvermittelter
Akt der Versöhnung. Ganz gegen seine Erkenntnisse in dieser Doppelstunde
sehen wir Emanuel Goldfarb als Gast im Kurt-Tucholsky-Gymnasium, bereit, die
Fragen der Schülerinnen und Schüler zu beantworten, betreffend das
Leben eines Juden in Deutschland. Wahrscheinlich wird er seine Antworten brillant
formulieren, wahrscheinlich geht es ihm nicht besonders gut dabei. Ein ganz
gewöhnlicher Jude könnte man hier zu Lande nur sein, wenn die Leute
aufhörten, ganz gewöhnliche Deutsche zu sein.
Georg Seeßlen
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film 1/2006
Ein ganz gewöhnlicher Jude
Deutschland 2005. R: Oliver Hirschbiegel. B: Charles Lewinsky
(nach seinem Buch). P: Hubertus Meyer-Burckhardt, Claudia Schröder. K:
Carl-F. Koschnick. Sch: Hans Funck. M: Jewels. T: Frank Ahrens. A: Christian
Bussmann. Ko: Claudia Bobsin. Pg: Multimedia Film-und Fernsehproduktion/ NDR.
V: NFP. L: 93 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung. FBW: wertvoll. Da: Ben
Becker (Goldfarb), Siegfried W. Kernen (jüdischer Mann), Samuel Finzi (Lehrer).
Start: 19.1.06
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