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Ein
Köder für die Bestie
Schleichender Terror
Es funktioniert alles, vielleicht
nicht perfekt, aber dennoch läuft es wie geschmiert. Eine Gemeinschaft
scheint im Gleichgewicht. Das, was aus den Fugen gerät, wird wieder repariert.
Wer die Regeln missachtet, wird bestraft. Und dennoch herrscht auch Gnade; es
wird verziehen, wenn es nötig und angebracht ist. James R. Webbs Roman
"The Executioners" und auch Thompsons "Cape Fear" zeigen
eine vorbildliche amerikanische Gemeinschaft, ein Musterbeispiel des Zusammenlebens,
des sozialen Miteinanders. In diesen Frieden bricht etwas herein, deutlich,
aggressiv und dennoch lange unfassbar und ungreifbar; ein Etwas, das sich, indem
es sich formal an die Regeln dieser Gemeinschaft hält, die es sehr gut
kennt, und doch diese Regeln außer Kraft setzen will und außer Kraft
setzt. Etwas in seiner ganzen Ausprägung scheinbar diametral dieser funktionierenden
Gemeinschaft Konträres. Fast scheint es so, als habe dieses Etwas absolut
nichts mit dieser Gemeinschaft zu tun, als käme es von außen, als
sei es etwas absolut Fremdes. Dieses Fremde steckt in einem Mann namens Max
Cady (Robert Mitchum).
Cady saß acht Jahre im Zuchthaus.
Nun taucht er auf in dieser Gemeinschaft einer vielleicht mittelgroßen
Stadt des Südens (der Film wurde in Savannah, Georgia, gedreht), geht in
ein Gerichtsgebäude und beobachtet einen Prozess, der dort gerade stattfindet.
Schnell wird klar, dass es ihm nicht um diesen Prozess geht, sondern um einen
der Beteiligten, den Rechtsanwalt Sam Bowden (Gregory Peck), der gegen Cady
acht Jahre zuvor als entscheidender Belastungszeuge aufgetreten war. Cady hatte
eine Frau misshandelt, Bowden hatte dies beobachtet und aufgrund seiner Aussage
wurde Cady verurteilt.
Von Anfang an wird auch klar,
dass es Cady um Rache geht. Doch es ist nicht die Rache des Hinterhalts, der
Heimtücke, des nächtlichen Mordes durch einen Schuss aus dem Dunkel
der Nacht, die den Täter unerkannt lässt. Es ist nicht jene Rache,
deren Träger sich versteckt und bedeckt hält.
Cady tritt ganz offen auf, stellt
Bowden, als der mit dem Auto nach Hause fahren will. Cady weiß Bescheid
über Bowden, der eine Frau, Peggy (Polly Bergen), und eine Tochter, Nancy
(Lori Martin), hat. Die Familie wohnt in einem dieser schicken Häuser des
Südens mit großem Garten, einem dieser Häuser, in denen man
sich wohl fühlt, eine Stätte der Ruhe und des Friedens, der Erholung
und des Glücks.
Cady droht nicht direkt. Er nennt
Namen, die Namen Nancy und Peggy, und dass er beide bald kennen lernen werde,
dass sich er und Bowden immer wieder treffen würden usw. Und er vermittelt
damit Bowden deutlich, aber ohne dass der ihm etwas anhaben kann, seine Absichten.
Der mit Bowden befreundete Polizeichef Dutton (Martin Balsam) sieht nur geringe
Chancen, Cady los zu werden. Er lädt ihn vor, fragt ihn aus, überprüft
seine Vermögensverhältnisse. Aber all das nützt nichts. Cady
ist gut vorbereitet. Er hat das Haus seines Vaters verkauft, das Geld auf einer
Bank hier in der Stadt deponiert. Dutton muss ihn laufen lassen, kann ihn nicht
aus der Stadt weisen.
Und jetzt beginnt das, was man
gemeinhin Psychoterror nennt. Dieser Begriff aber kann das, was jetzt passiert,
nur fade beschreiben. Der Hund der Bowdens wird vergiftet im Garten gefunden.
Als die Familie mit der Segelyacht ein Wochenende verleben will, steht Cady
ganz in der Nähe - und Bowden lässt sich dazu hinreißen, ihm
ins Gesicht zu schlagen. Ein von Cady beauftragter zwielichtiger Anwalt fordert
Dutton und Bowden auf, Cady in Ruhe zu lassen.
Cady versteht sein Spiel - ein
Spiel auf Leben und Tod.
Er passt Nancy, die wie ihre Mutter
inzwischen natürlich weiß, was hier gespielt wird, ohne zu ahnen,
was Cady wirklich vor hat, an der Schule ab. Voller panischer Angst flüchtet
Nancy in das Gebäude zurück, findet einen Ausgang und läuft vor
ein Auto. Bowden beauftragt auf den Rat Duttons hin den Privatdetektiv Sievers
(Telly Savalas), Cady zu beobachten, um Beweise gegen ihn zu bekommen. Und Cady
demonstriert seine Gefährlichkeit, als er eine Frau namens Diane (Barrie
Chase), die er in einer Bar aufgegabelt hat, brutal misshandelt - ohne sich
dabei allerdings von der Polizei und Sievers erwischen zu lassen. Und Diane,
voller Angst, packt ihre Koffer und ist nicht bereit, gegen Cady auszusagen.
Genau darauf hatte Cady spekuliert: Bowden zu zeigen, wozu er in der Lage ist,
ohne dass man gegen ihn vorgehen kann.
Die Situation spitzt sich zu,
als Bowden dem Rat Sievers folgt, Cady durch drei Männer zusammenschlagen
zu lassen und einer dieser Schläger durch die Polizei gefasst wird und
die Sache damit herauskommt. Für Bowden eine missliche Situation - eigentlich
müsste Dutton ihn festnehmen -, und er sieht nur noch eine Möglichkeit,
Cady dingfest zu machen: er will ihm eine Falle stellen ...
"Cape Fear" - 1991 erneut
in Szene gesetzt von Martin Scorsese mit Nick Nolte als Bowden und Robert de
Niro als Cady - ist nicht nur ein äußerst spannender, nervenzerfetzender
Thriller, in dem die Gefahr für eine funktionierende Gemeinschaft durch
einen Mann wie Cady immer größer wird. Der Film Thompsons ("Die
Kanonen von Navarone", 1961) - auch heute noch sehenswert und im Vergleich
zu Scorseses Adaption des Stoffes eine Inszenierung, die mir mehr Spaß gemacht
hat - zeigt, man könnte sagen: gnadenlos, wie ein Mann, der keine Skrupel
kennt, zielstrebig und ohne sich davon abhalten zu lassen eine Familie nicht
nur unter Psychoterror setzt, sondern versucht, sie im wahrsten Sinn des Wortes
klein zu machen.
Während Scorsese die Geschichte
insofern abwandelte, als Bowden im Prozess gegen Cady ein Beweisstück unterschlagen
hatte, das Cady möglicherweise entlastet hätte, so dass dieser Film
eine andere Ausgangsbasis hatte, lässt Thompson Bowden als Mann mit blütenreiner
Weste erscheinen und Cady als Psychopathen, der seinem Leben nur noch ein Ziel
abgewinnen kann: Rache. Die Welt ist hier noch "in Ordnung", Gut und
Böse noch lupenrein getrennt. Und erst durch den Fehler Bowdens, Schläger
auf Cady anzusetzen, bekommt diese haarscharfe Scheidung von Gut und Böse
einen Hauch von Zweifel. Trotzdem bleibt auch dies im Rahmen, denn es kann kaum
ein Zweifel daran bestehen, auf wessen Seite man steht - ganz anders als die
Sympathieverteilung bei Scorseses Interpretation des Stoffes, bei der die Antipathie
gegen das Heuchlerische Bowdens korrespondiert mit der Sympathie für einen
gewissen Gerechtigkeitssinn Cadys.
Trotzdem hat Thompsons Adaption
des Stoffes auch seine enormen Vorteile. Er konfrontiert nicht nur Bowden und
seine Familie, sondern auch uns mit der Frage, wie man sich gegen einen derartigen
Terror schützen kann. Die Ausnahmesituation lässt Bowden zu einer
Praxis greifen, die seinem Charakter und seinen Überzeugungen diametral
entgegengesetzt ist. Er lässt Cady zusammenschlagen. Und auch die Umstände,
die mit der Falle verbunden sind, die Bowden am Schluss Cady stellen will, implizieren
immer die Möglichkeit, dass Bowden Cady bereits in einer Situation töten,
könnte, in der Cady Mutter und Tochter Bowden (noch) nichts getan hat.
Cady steht dabei nicht nur für
einen Mann, der unaufhaltsam seinen Racheplänen folgt. Er steht für
eine Situation des Terrors, der permanenten Terrors, der sich wie ein Spinnengewebe
über eine alles in allem
funktionierende Gemeinschaft legt. Damit gewinnt
die Geschichte eine durchaus auch aktuelle Bedeutung, v.a. in Bezug auf die
Frage, wie man einer vergleichbaren Situation selbst begegnen würde.
Die Inszenierung der Geschichte
selbst beinhaltet eine mit dem zunehmenden Terror Cadys analoge Steigerung der
Spannung bis zum Showdown am Cape Fear, in der Dunkelheit, in einem von Gewässern
und Sümpfen, Sträuchern und Bäumen unüberschaubaren Gelände.
Der eigentliche "Star" dieses Films ist weniger Gregory Peck. Es ist
Robert Mitchum, der Cady mittels Gestik und vor allem Mimik eine im wahrsten
Sinn fürchterliche Gestalt verleiht - wohl eine der besten Rollen dieses
exzellenten Darstellers. Mitchums Blick würde - jenseits aller Gestik und
jenseits aller Dialoge - schon ausreichen, um den ganzen Hass und den brutalen
Willen Cadys völlig überzeugend auszudrücken. Hinzu kommt aber
Cadys Zynismus, besonders deutlich bei den Szenen im Polizeipräsidium und
vor allem bei einem Zusammentreffen Cadys mit Bowden in einer Bar, als Bowden
ihm Geld anbieten will, damit Cady verschwindet.
Am Schluss des Films wird der
Name Max Cady quasi zu einem Sinnbild des Terrors und der Brutalität. Mitchum
spielt diesen Cady als einen Mann, der letztlich nur noch mit jenen Aliens vergleichbar
ist, die in diversen Sciencefiction gewissenlos die Erde terrorisieren. Nur dadurch,
könnte man sagen, dass Cady (im Unterschied zu diesen Alien-Bedrohungen)
allein operiert, lässt er Bowden am Schluss des Films die Alternative,
ihn zu töten oder ihn festzunehmen, um lebenslang im Gefängnis zu
schmachten. Was aber, wenn zwei Dutzend Cadys eine Stadt terrorisieren würden?
Wie würden die ehrbaren Einwohner reagieren?
Neben Mitchum überzeugt Gregory
Peck in einer seiner Standardrollen - dem rechtschaffenen Amerikaner, vergleichbar
vielen Rollen, die etwa Henry Ford in jenen Jahren und früher gespielt
hat. Auch die supporting parts - Martin Balsam, Telly Savalas (mit Haaren und
ohne Lolly), Peggy Bowden und vor allem auch Lori Martin und Barrie Chase -
sind gut besetzt.
"Cape Fear" hat summa
summarum Hitchcock-Qualität. Und dazu bei trugen sicherlich auch Bernard
Herrmann (Musik) und George Tomasini (Schnitt), die beide oft für Hitchcock
gearbeitet hatten.
DVD
PAL
Sprache: Deutsch,
Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch
Freigegeben ab 16
Jahren
Studio: Universal/DVD
DVD-Erscheinungstermin:
19. August 2004
Im Jahr 2004 erschien
der Film im Doppelpack mit Scorseses Film auf einer DVD-Edition von Universal,
jetzt bei amazon und jpc für etwas mehr als fünf Euro zu "ersteigern".
Die DVD mit Thompsons Film enthält zudem ein Making Of, beide Filme werden
in exzellenter Bild- und Tonqualität präsentiert.
Im Making of (28
Minuten) kommen Regisseur Thompson und Gregory Peck zu Wort.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Ein
Köder für die Bestie
(Cape
Fear)
USA
1962, 105 Minuten (DVD: 102 Minuten)
Regie:
J. Lee Thompson
Drehbuch:
James R. Webb, nach dem Roman "The Executioners" von John D. MacDonald
Musik:
Bernard Herrmann
Kamera:
Sam Leavitt
Schnitt:
George Tomasini
Ausstattung:
Robert F. Boyle, Alexander Golitzen, Oliver Emert
Darsteller:
Gregory Peck (Sam Bowden), Robert Mitchum (Max Cady), Polly Bergen (Peggy Bowden),
Lori Martin (Nancy Bowden), Martin Balsam (Polizeichef Dutton), Jack Kruschen
(Dave Grafton), Telly Savalas (Charles Sievers), Barrie Chase (Diane Taylor)
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