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Ein
Sommer auf dem Lande
Freundschaft in den 30ern, im prächtigen
Rhonetal. Völlig substanzlose Nostalgieverklärung in zuckrig-schleppendem
Tonfall.
Frankreich. Die frühen 30er. In der Sumpflandschaft
eines Flusstals wohnen Garris (Jacques Gamblin) und Riton (Jaques Villeret).
Sie leben von Gelegenheitsjobs und dem, was sich in der Natur finden lässt.
Zu ihren Freunden zählt Amedée (Andre Dussollier), ein schrulliger
Bonhomme mit Vorliebe für Literatur und Musik. Doch auch den alten Fabrikanten
Richard (Michel Serrault), von allen Großvater genannt, zieht es zurück
in den Sumpf, wo er seine Jugend verbrachte. Mit dabei ist sein Enkel, in den
sich Ritons Tochter Cri-Cri sofort verliebt. Zwar sehen Großvaters Verwandte
seinen Umgang mit den Leuten aus dem Sumpf gar nicht gern, doch können
sie dem alten Sturkopf nichts verbieten - und er geht wie in seiner Jugend glücklich
dem Fröschefangen nach. Doch nicht alles ist eitel Wonne: Da ist Marie
(Isabelle Carré), ein Dienstmädchen, das Garris’ Herz verzaubert
hat, und da ist auch Jo Sardi (Éric Cantona), ein Profiboxer, der wegen
eines Missgeschicks Riton verhaftet wird und nicht zum Kampf antreten kann -
und blutige Rache schwört.
Machen wir’s kurz: Natürlich ist hier doch alles
eitel Wonne. Jean Becker, der sich mit diesem Film um den Posten des Franz Antels
Frankreichs bewirbt, erweckt vor dem Hintergrund der reiseprospektgenormten
Idylle der Rhone alle Klischees zum Leben, die man schon lange für ausgestorben
hielt. Hier herrscht eine Zwangsfreundlichkeit der Umgangsformen, eine Lieblichkeit
im Personenmaterial, gegen die sich wirklich in den Dreißigern entstandene
Filme wie Science-Fiction-Werke einer anderen Welt ausnehmen. Lieber arm und
ehrlich als reich und verkümmert, jaja. Vor diesem Grundthema passiert
hier nichts, was meine Grossmutter nicht gerne "sinnreich" nannte.
Karikaturen aus dem Flohmarktsabverkauf werden da nicht bloss wiederbelebt,
sondern breitgewalzt bis zum Exzess. Dem guten, nachdenklichen, hilfsbereiten
Helden steht mit Jacques Villeret ein lustiger sidekick gegenüber, dessen Hauptaufgabe als Scherzlieferant
(und damit als Charakter) darin besteht, so oft nach einem Weinglas zu fragen
(und damit zuerst sanft tadelnde Worte und dann doch verständnisvolles
Lächeln von allen anderen in Sichtweite zu ernten), dass drei Entziehungskuren
seine Leber nicht wieder funktionsfähig machen würden. In Echtzeit.
Nicht wirklich: Echtzeit bedeutet hier natürlich
diesen sanft kriechenden Tonfall, der sich von einer liebenswerten Persönlichkeit
zur nächsten schleicht, um ihre liebenswerten Schrullen zu beleuchten.
Die formen dann gleich die ganze Person, die mit einem echten Menschen soviel
zu tun hat wie die nostalgisch schöngefärbte Welt des Films mit den
wirklichen Dreißigern. Der Kontrast wäre weniger peinlich, würde
hier nicht so schamlos ein gelacktes Elend behauptet - das aber ohnehin durch
Tugend überwunden werden kann. Das Herz am rechten Fleck und der Mensch
kennt kein Leid - diese Lektion bekommen die Kinder in diesem Film ununterbrochen
eingetrichtert (in Form von lehrhaften Anekdoten) - kein Wunder das die kleine
Cri-Cri (die den Film erzählt, um sich am Schluss in eine alte Frau zu
verwandeln, damit der grenzenlos sentimentalen Heiterkeit des Films noch eine
Mutter aller Happy-ends nachgeschoben werden kann) sich in den eskapistischen
Fantasiezustand gesteigert hat, in dem sie die Fabeln vorträgt.
Bei soviel gutem Willen bleibt alles auf der Strecke:
Die paar tragischen Ereignisse - ohnehin schon im Bild verniedlicht - zeigen
sich als Notwendigkeit im Rad des Lebens, die plötzliche Erwähnung
der Nazis (man horcht kurz hoffnungsvoll auf, als ein Stück politischer
Realität den moralinsauren Zuckerrausch dieses Films durchbricht) dient
nur dazu, um die oben angeführte Sentenz von Arm und Reich zu bestätigen
und der Schurke ist Eric Cantona. Der ist das einzig wirklich Lustige im Film
- eine hoffnungslos überdrehte Knallcharge zum Thema "übler Bursche
mächtig böse" (keine Angst, hat aber auch ein Herz aus Gold).
Besonders arm dran unter den vielen hervorragenden Schauspielern, die in der
klebrigen Molasse des Liebreizes ersticken, sind auch André Dussollier,
der ohne ersichtlichen Grund bei jedem Auftritt bescheuert lachen muss und Michel
Serrault, der immerhin schlau versucht, sich hinter einem Vollbart zu verstecken.
Aber wir haben ihn trotzdem erkannt.
Fazit: Großvaters Kino kehrt zurück: Nostalgische
Bilder, "menschlicher" "Witz" und niedliche Weltfremdheit
geben sich die Hand in dieser französischen Variante eines Heimatfilms.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.allesfilm.com
Ein
Sommer auf dem Lande
(Les enfants due marais)
Frankreich, 1999, 115 Minuten - Kinostart Deutschland:
13.07.2000 - Kinoverleih D: MFA - Produzenten: Christian Fechner
Regie: Jean Becker
Drehbuch: Sébastien Japrisot, Suzanne Flon, Jaques
Dufilho
Vorlage: Roman "Ein Sommer auf dem Lande" von
Georges Montforez
Filmmusik: Pierre Bachelet
Kamera: Jean-Marie Dreujou
Ausstattung: Thérèse Ripaud
Schnitt: Jacques Witta
Kostüme: Sylvie de Segonzac
Make Up: Francoise Chapuis
Ton: Guillaume Sciama, William Fiageollet
Darsteller: Jacques Gamblin (Garris), Jacques Villerert (Riton), André
Dussollier (Amedée), Michel Serrault (Pépé), Isabelle Carré (Marie), Éric Cantona (Jo Sardi)
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