zur startseite
zum archiv
Der Einstein des Sex
Das Leben Magnus von Hirschfelds, Gründer des Instituts für
Sexualforschung als Low-Budget-Biographie. Ein schöner, verblüffend
"normaler" Film von Rosa von Praunheim.
Inhalt
Die Lebensgeschichte des Sexualforschers Magnus Hirschfeld (Kai
Schuhmann, danach Friedl von Wangenheim). Geboren 1868 als Kind eines
jüdischen Artztes, studiert er gemeinsam mit seinem Pflegebruder Richard
(Peter Ehrlich) Medizin. Ihre Freundschaft zerbricht, als Richard die
konservative Lehrmeinung adaptiert, während Magnus daran zu zweifeln
beginnt - so glaubt er etwa nicht, dass Homosexualität krankhaft und
unnatürlich sei. Als sich ein junger Offizier, dessen Behandlung er
verschoben hat, wegen der verbotenen Liebe zu einem Kameraden erschießt,
beschließt Hirschfeld, sich auf die Sexualforschung zu konzentrieren. Er
bemüht sich vergeblich für die Rehabilitierung von Oscar Wilde und er
findet einen treuen Mitarbeiter in Baron Hermann von Teschenberg (Gerd
Lukas Stolzer). Dessen Liebe zu ihm weist Hirschfeld aber aus
gesellschaftlichen Erwägungen zurück, um seine Arbeit als Wissenschaftler
nicht zu gefährden.
Als solcher gründet er ein Komittee, das den Paragraphen 175, der
Homosexualität kriminalisiert, abschaffen will. Zwar scheitert der Antrag,
doch Hirschfed stößt auf Interesse, sogar seitens des Polizeipräsidenten
(Wolfgang Völz). Das Hauptaugenmerk seiner Arbeit wendet sich
Transvestiten zu - einer davon, Dorchen (Tima die Göttliche) wird seine
Haushälterin. Doch seine Arbeit wird zunehmend umstrittener - auch im
eigenen Lager. Adolf Brand (Ben Becker) etwa, Herausgeber der ersten
Zeitschrift für Homosexuelle, lehnt seine Beschäftigung mit so
"weibischen" Ansichten ab. Der erste Weltkrieg und eine Beschäftigung als
Lazarettarzt unterbrechen aber ohnehin Hirschfelds Arbeit. Erst nach dem
Krieg kann er seinen Lebenstraum ins Auge fassen: Die Gründung des
Instituts für Sexualwissenschaft. Karl Giese (Olaf Drauschke), ein junger
Student, folgt ihm und wird sein Geliebter und engster Mitarbeiter. Durch
sein Institut gewinnt Hirschfeld internationales Ansehen und wird auf eine
Vortragsreihe in die USA eingeladen - der große Erfolg bewegt ihn zu deren
Verlängerung. Doch während der Wissenschaftler rund um die Welt akklamiert
wird, kommen die Nazis an die Macht: In einem Pariser Kino muss er in
einer Wochenschau die Zerstörung seines Lebenswerks mitansehen.
Kritik
Rosa von Praunheim, avantgardistische Skandalnudel des neuen
deutschen Films und Vorkämpfer der Schwulenbewegung, legt mit Der Einstein
des Sex seinen wohl konventionellsten Film vor. Ein liebevolles
biographisches Porträt, das nicht nur wegen des klugen Umgangs mit
low-budget-Schauwerten, einem hervorragenden Ensemble und seiner
offensichtlichen Hingabe an Hans-Christoph Blumenbergs Beim nächsten Schuß
knall ich ihn nieder erinnert, ein Film der Vergleichbares für den
halbvergessenen grossen deutschen Regisseur Reinhold Schünzel leistete,
was Praunheim hier für Hirschfeld vollbringt. Dessen progressive Arbeit
geriet nach der Zerstörung seines Instituts alsbald in Vergessenheit. Erst
in den späten 60ern wurde im Zuge der erstehenden Schwulenbewegung dessen
bahnbrechende Erkenntnisse wiederentdeckt. Dadurch kam auch der Regisseur
mit seinen Theorien in Kontakt (und verarbeitet sie auch schon in seiner
Doku Schwuler Mut - 100 Jahre Schwulenbewegung von 1998). Aber Der
Einstein des Sex ist ein Film fernab von akademischen Konzepten -
stattdessen erzählt er eine richtige Geschichte (nicht unbedingt typisch
für Praunheim) voller Ironie und Emotion.
Eben weil er gar keine "grossen" Bilder (für ein Budget von 1,8 Millionen
sieht der Film dennoch toll aus) bieten kann, konzentriert sich Praunheim
auf eine Abfolge gut geschriebener, zwischen Komik und Tragödie
schwankender Szenen, die zwar im kleinen Rahmen Augenmerk auf die
Qualitätsmaßstäbe historischer Filme (detaillierte Interieurs, schöne
Farbgestaltung, fließende Übergänge) legen, durch ihre Bescheidenheit aber
ein umso intimeres und nahegehenderes Bild der handelnden Figuren formen.
Der Witz kommt dabei nicht zu kurz - Praunheim hat seine Vorliebe für
(hier aber nie überbordenden) Kitsch und Spass nicht verloren. Der Wechsel
des Hauptdarstellers mitten im Film geht etwa so. Der schlanke Hirschfeld
(Kai Schuhmann) erzählt von seiner Vorliebe für Schokolade, greift zu den
gemischten Schokolademuscheln (aus dem Supermarkt nebenan) in einer
Goldschale - und schwupps!, ist der ältere, untersetzte Hirschfeld (Friedl
von Wangenheim) da - und freut sich darüber genauso wie der Zuschauer.
Überhaupt hat die versammelte Schauspielerriege offensichtlichen Spass an der Sache (wieder einmal hat
Praunheim dabei eine ganze Reihe famoser Unbekannter im Talon, aber auch
die Stars genießen die Abwechslung vom Einerlei): Sei es Wolfgang Völz als
Polizeipräsident, der verkleidet und "nur aus beruflichem Interesse" mit
Hirschfeld in ein Schwulenetablissement kommt und sich dort gleich
köstlich einlebt, sei es Ben Becker als abtrünniger Mitstreiter Adolf
Brand, der eine recht seltsame Weltsicht aus anarchistischem und
nationalistischem Gedankengut gebastelt hat und Hirschfelds Theorien
abzulehnen beginnt, weil dessen Forschungsarbeit so gar nicht zu seiner
Sicht des Schwulseins passen will - Brand verachtet weibische
Transvestiten (in einer besonders witzigen Szene kann man auch Zeuge der
Erfindung dieses Wortes werden) und Ähnliches, sondern sieht Homosexuelle
als gestandene Männer, die der überlegenen griechischen Tradition der
Knabenliebe folgen.
Der Einstein des Sex ist voll mit solchen amüsanten Einlagen, verliert
aber dabei auch nie sein Ziel aus den Augen: Trotz seiner verhältnismäßig
billigen (dabei nie uneleganten) Machart wirkt der Film oft wie ein
kleines Wunder - so gebannt, staunend blickt Praunheim da auf diesen Mann
zurück, der seiner Zeit voraus war und für diesen Fortschritt kämpfte,
dass der Zuschauer gar nicht anders kann als mitzustaunen. Und ohne
erhobenen Zeigefinger erzählen Praunheim und seine Autoren Chris Kraus und
Valentin Passoni auch vom vielleicht wichtigsten Ziel - dem Kampf gegen
Intoleranz, der immer wieder den Weg des Helden aufzuhalten droht. Manches
ist dabei lieblich geraten (doch nie anbiedernd), aber das hat schon
seinen Sinn: Wenn am Ende die Zerstörung herniedersaust und die
schwarzgekleideten Nazischergen Hirschfelds Traum vernichten, dann ist es
die Hoffnung auf Menschlichkeit, die dieser zärtliche Blick verkörpert,
der sich der Dummheit der Intoleranz entgegenstellt.
Fazit: Ein schönes und bewegendes Biopic der leicht schrägen Art - die
Lebensgeschichte des Sexualforschers Magnus Hirschfeld als liebevolle
Hommage, die originell die Budgetbeschränkungen überwindet.
Christoph Huber, 26.09.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Der Einstein des Sex - Leben und Werk des Dr. M. Hirschfeld
Deutschland 1999
Mit: Ben Becker, Tima die Göttliche, Olaf Drauschke, Kai Schuhmann, Friedl von Wangenheim
Regie: Rosa Von Praunheim
zur startseite
zum archiv