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Der
Eissturm
"Eine
Familie ist so was wie die Antimaterie von einem selbst, sie ist das Nichts,
aus dem du kommst und dahin gehst du zurück, wenn du stirbst." Deshalb
sind die Fantastic Four das Ideal der Familie. Sie lösen sich gelegentlich
in Antimaterie auf: ihr Privileg als Comicfiguren.
Wer
1973 in Connecticut als Bürgerkind pubertiert, hat dieses Privileg nicht.
Sondern sein Arrangement zu treffen mit Eltern, deren vorauseilender Liberalismus
hinterrücks autoritär wird. Deren Selbstbetrügereien man bereits
durch die eigenen zu ersetzen beginnt. Deren Sehnsucht nach kindlicher Unbefangenheit
der eigenen nach Erwachsenwerden konträr entgegensteht. Während Papa
mit der Nachbarin schläft, verführt die Tochter derer beiden Söhne
gleichzeitig. Die Familie ist gerade nicht Nichts. Und der Junge, der in den
titelgebenden "Eissturm" hinausgeht, dorthin, "wo die Molekülketten
zerreißen und die Luft ganz klar ist", stirbt. Sehr malerisch, ein
Comictod.
Ang
Lee hat einen Roman, der in einer Zeit und in einem Milieu spielt, die nach
Parodie förmlich schreien, in einen - auch humorvollen - Film übersetzt,
der an keiner einzigen Stelle die respektierende Distanz zu seinen Figuren übertritt.
Als später "Happiness"
und "American
Beauty"
die Demontage des Kernmodells Familie blöd eingetauscht haben in interesselosen
Zynismus, hatte "Der Eissturm" bereits geltend gemacht, dass vor aller
Ironie erst einmal genau hinzuschauen sei.
Der
Film ruht sich nicht aus auf der geschickten Architektur seiner Leitmotive -
die Eiswürfel auf der Schlüsselparty, die tiefgefrorenen Thanksgiving-Puten,
das Schmutzigblau der Farben, schließlich die Erstarrung der Welt im Eisregen
- sondern gleitet entlang an Bildoberflächen und Sprachfloskeln, die ihm
sowenig wie seinen Figuren den Trost eines möglichen, "tieferen"
Gegenentwurfs bieten können. Lee analysiert, er verklärt nicht. Das
Ende ist versöhnlich, weil ohne Alternative.
"Tu
mir einen Gefallen, vergiss einfach, was ich gesagt habe." "Klar Dad."
Urs
Richter
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Der
Eissturm
Ang
Lee, USA 1997
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