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Eine kleine, etwas heruntergekommene Ladenpassage in Buenos Aires. Die Menschen, die hier arbeiten und leben oder ihre Vorfahren kamen einst nach Argentinien weil sie auf der Suche waren nach etwas, das ihnen ihr Heimatland nicht bieten konnte: europäischen Juden Schutz vor dem nationalsozialistischen Terror, Italienern (vor langer Zeit), Bolivianern und Peruanern (vor nicht so langer Zeit) Arbeit und ein besseres Leben und einem koreanischen Paar die Möglichkeit, zu heiraten.
Hier lebt
der 30-jährige Ariel. Zwischen dem Dessousgeschäft seiner Mutter,
dem Import/Exportladen seines großen Bruders, zwischen dem Internetcafé
von Rita, mit der er eine Affäre hat und den anderen, ebenso kauzigen wie
liebenswürdigen Ladenbesitzern der Passage. Aber die Situation ist schlecht
im Argentinien nach der Krise und deshalb versucht Ariel aus der Vergangenheit
seiner Familie Nutzen zu schlagen. Seine jüdisch-polnischen Wurzeln sollen
ihm die Türen für eine bessere Zukunft in Europa öffnen. Pole
möchte er sein, so wie manche Kinder sich wünschen, Astronaut oder
Feuerwehrmann zu werden. Zwar gelingt es Ariel mit Hilfe der Papiere seiner
Großmutter den Hürdenlauf gegen die Behörden zu gewinnen. Aber
eine Identität besteht aus mehr als Stempeln und Papieren. Und das eigentliche
Problem das Ariel bei seiner Identitätsfindung plagt, ist die Suche nach
dem Vater. Dieser ist einst, unmittelbar nach Ariels Geburt, nach Israel in
den Krieg gezogen und von dort niemals zurückgekehrt. Vor dem Problem der
Identitätssuche, der Suche nach dem Ursprung entwickelt Burman den psychologischen
Konflikt seines Helden.
Durch
seine Abwesenheit ist der Vater für Ariel stets omnipräsent geblieben.
Als Ziel der nie abreagierten, ödipalen Aggression einerseits, als ideelles
Vorbild andererseits. Nie konnte Ariel ihm verzeihen, dass er einst die Familie
verließ und doch bestimmt das imaginierte Bild des Vaters sein Handeln.
Der Vater, so rekonstruiert er sich nach den biographischen Brocken, die Mutter
und Bruder ihm auftischen, hat einst die Schrecken des Krieges in Kauf genommen
um der Langeweile und Enge der bürgerlich-familiären Existenz zu entkommen.
Und so verlässt auch Ariel seine Freundin Estela, nach vielen Jahren glücklicher
Beziehung. Die infantilen, erotischen Spiele mit Rita, deren liebste Zeitangabe,
wie sie erklärt, „manchmal“ ist, bieten ihm Schutz in seiner Angst vor
fester Bindung.
Die Leistung
von Daniel Burmans Film liegt darin, dass er bei der humorvollen und liebenswürdigen
Darstellung seines Mikrokosmos und dessen Bewohnern niemals das größere
Ganze aus dem Blick verliert. So wird aus der Erzählung von Ariels Identitätsfindung
eine Reflexion über gut 100 Jahre argentinische und internationale Geschichte.
Und für Burman steht fest, dass man die Geschichte einer Gruppe von Personen
nicht erzählen kann, ohne die Geschichte ihres Landes. Umdrehen, aber kann
man die Geschichte nicht und mit dieser Erkenntnis fügen sich am Ende die
verschiedenen Erzählebenen, die private, die historische und die mythische,
zusammen. Ariels Identitätssuche führt ihn nicht ins Paradies, den
mythischen Ort emotionaler und materieller Prä-Verantwortlichkeit. Sie
führt ihn an den Ausgangspunkt der Sprachverirrung, den biographischen
Ursprung der Missverständnisse und Kommunikationsbarrieren. Man kann seine
Traumata nicht ungeschehen machen, weder persönliche noch historische,
aber man kann sie verarbeiten und lernen, mit ihnen zu leben. In einer kleinen
etwas heruntergekommenen Ladenpassage in Buenos Aires, genauso gut wie anderswo.
Und eben im Kino.
Dieser
Text ist zuerst in der filmzentrale erschienen
Zu
diesem Film gibts im archiv
mehrere Kritiken
El
Abrazo Partido
Argentinien
2004 - Regie: Daniel Burman - Darsteller: Daniel Hendler, Adriana Aizemberg,
Jorge D'Elia, Sergio Boris, Rosita Londner, Diego Korol, Silvina Bosco, Isaac
Fain - FSK: ohne Altersbeschränkung - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 100
min. - Start: 21.7.2005
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