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El
Custodio - Der Leibwächter
Mit einem Bildausschnitt beginnt
der Film: Wir sehen, durch den Spalt einer Tür zwischen Schwarz und Schwarz
auf der Leinwand, einen Mann, der sich wäscht. Er macht sich, das sehen
wir weiter, bereit für den Einsatz. Er ist, wir sehen das weiter,
Ausschnitt um Ausschnitt, der Leibwächter eines hochrangigen Politikers.
Wir erfahren, was wir erfahren, über den Mann, der bewacht wie über
den bewachten Mann, noch manches, aber immer nur, und immer nur sehr gezielt:
im Ausschnitt.
Der Leibwächter hat eine
Schwester, die hat eine Tochter und die kann nicht singen. Der Politiker hat
eine Geliebte und eine Tochter, die einem Freund im Auto unter der Beobachtung
des Leibwächters einen runterholt. Es lässt sich vermuten: Sie spielt
mit ihm, mit seinem Blick, seinem Begehren, das sich für die Funktion,
die er bekleidet, nicht gehört. Auch der Politiker selbst verfügt
über den Mann, der ihn bewacht, nach Belieben. Mit dem trockenen Witz,
den er – gelegentlich – besitzt, kommentiert der Film diese Rolle als Mädchen
für alles in der Familie in einem sehr präzise gewählten Ausschnitts-Bild.
Wir sehen durch eine Tür einen Teil der Küche und hören, wie
die Frau des Politikers den Befehl gibt, ein Kleid zu bügeln. Es ist nicht
klar, wen sie adressiert, man sieht nur sie, den Leibwächter und das Kleid,
erst nach einigen Sekunden Verzögerung kommt ein Dienstmädchen ins
Bild.
Man weiß nicht, worauf „El Custodio“ hinausläuft.
Man weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt auf irgendetwas hinausläuft.
Die Spannung, die der Job nun mal nahelegt, bleibt derart latent, dass sie nur
ganz gelegentlich spürbar wird. Wenn etwa das Funkgerät piept und
keiner geht ran. Die Ausschnitthaftigkeit des Films ist so radikal, dass er
einem keine eindeutigen Hinweise gibt, wie der Mann, der sein Titelheld ist,
all das versteht. (Es wird, ganz zuletzt, eine Antwort geben, die hinreichend
deutlich ist.)
Mit einer Entschlossenheit, von der man nicht weiß,
ob man sie noch atemberaubend finden soll oder nicht doch ziemlich enervierend,
übt sich „El Custodio“ in Empathieverunmöglichung. Der Held dieses
Films, der kaum spricht, der wenig tut, das ihn sympathisch macht, bleibt einem
radikal fremd, Ausschnitt für Ausschnitt. Denn es ist keineswegs (eindeutig)
seine Perspektive, die hier gewählt wird. Ja, wir wissen überhaupt
nicht genau, von wo wir sehen, was wir hier sehen. Wir sehen den Ausschnitt,
aber wir sehen und erfahren nicht, was uns vorenthalten bleibt. Wir folgen der
Bewegung der Geschichte, aber wir wissen nicht, wohin sie sich bewegt. Wir sind,
man muss es sagen, sehr allein gelassen von diesem Film, der doch Minute um
Minute den Eindruck vermittelt, er wisse, was er tut. „El Custodio“ hat einen
quasi-autistischen Helden. Er ist ein quasi-autistischer Film.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: jump cut
El
Custodio - Der Leibwächter
Argentinien / Deutschland / Frankreich 2006 - Originaltitel: El Custodio - Regie: Rodrigo Moreno - Darsteller: Julio Chávez, Osmar Núñez, Marcelo D'Andrea, Elvira Onetto, Cristina Villamor, Luciana Lifschitz, Osvaldo Djeredjián - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 95 min. - Start: 24.5.2007
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