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Elefantenherz
Lass
ihn kommen
Züli
Aladags Debütfilm „Elefantenherz“ wagt sich mit großen Vorbildern
in den Boxring
Es
gibt nicht viel zu sagen. Die Situation spricht einfach für sich und erinnert
als Filmbild an eine Unmenge von Geschichten. Zwei Männer im Ring und der
nächste Schlag, der alles entscheiden kann. Im Kino wird die Anspannung
der Kombattanten überhöht und gesteigert, weil der Boxerfilm den Kampf
– body and soul – traditionell sowohl zur realen Entscheidungsschlacht als auch
zum Sinnbild für das Schicksal seines Helden macht. Hier kämpft der
Boxer, wie ein wilder Stier, stets auch um sein Leben. Die derart aufgeladene
Belastung nährt eine männliche Archaik und verknappt jeden Kommentar
auf die herausgebellten Kurzbefehle des Trainers: „Taktisch boxen!“ – „Lass
ihn kommen.“ – „Distanz halten!“
Genrefilme
sind wegen der Fülle existierender Regeln und Vor-Bilder immer eine heikle
Angelegenheit, und der junge Regisseur Züli Aladag hätte für
seinen ersten Spielfilm Elefantenherz
kaum ein schwierigeres Feld wählen können. Vom ersten Augenblick an
liegt die Messlatte ziemlich hoch: Judith Kaufmanns Kamera schwebt aus dem Duisburger
Morgenhimmel heran, gleitet zu klassischen Klängen an Schornsteinen und
Hafenanlagen vorbei und umrundet ein Hochhaus, auf dessen Dach sich ein junger
Mann im Schattenboxen übt. Ein einziges bewegtes Bild hat uns diese Exposition
geliefert – der Amateurboxer Marko (Daniel Brühl) will raus und natürlich
nach oben, um seine Herkunft hinter oder besser: unter sich zu lassen. Was auch
immer diesem Anfang folgt, es wird die Variation eines bekannten Schemas sein.
Und wie, fragt man sich bereits in diesem frühen Filmmoment, könnte
das Debüt Elefantenherz
da bestehen neben altbekannten Genregrößen wie etwa Michael Curtiz’
Kid
Galahad,
Robert Rossens Body
and Soul
oder Martin Scorseses Raging
Bull?
Knapp
und konzentriert, als ob es diese Hypothek nicht gäbe, steckt Aladags Elefantenherz
sein erzählerisches Terrain ab, das, dem Boxring gleich, um vier Punkte
gespannt ist. Jede Ecke hat ihren Repräsentanten: Jochen Nickel spielt
Markos arbeitslosen Vater, dessen wütende Verzweiflung sich in der engen
Sozialwohnung gegen seine Familie, meistens aber gegen sich selbst richtet.
Ihm und Markos Mutter Renate (Angelika Bartsch) gegenüber steht der König
der Halbwelt, der ehemalige Boxer und jetzige Kampf-Promoter Hermsbach (Manfred
Zapatka), der dem viel versprechenden Talent die Tür zur Profikarriere
öffnen will. Dafür aber müsste Marko seine Seele verkaufen, das
heißt seinen Box-Verein verlassen und damit letztlich den besten Freund
und Sparringspartner Bülent (Erhan Emre) verraten. Irgendwo in der Schmuddelecke
lauert noch die andere Seite des verlockenden Profivertrags, vertreten durch
Thierry van Werveke, der als Geldeintreiber und Schläger Kopella die Drecksarbeit
bei Hermsbachs schmutzigen Geschäften erledigt.
In
diesem geradezu mythischen Viereck wird Marko seine Chance suchen, mehrfach
scheitern und am Ende einen neuen Versuch wagen. Einen Ausbruch gibt es nicht:
Elefantenherz
hat verstanden, dass die Stärke eines Boxerdramas in der Übernahme
der Bedingungen des Rings besteht, und nutzt diesen Rahmen auf wunderbare Weise.
Züli Aladags Film meistert die große Herausforderung dieses Genres,
die eben darin besteht, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der ökonomischen
Strenge des Erzählens – „Taktisch boxen!“ – und der daran gekoppelten existenziellen
Bedeutung, die den Boxerfilm zum männlichen Melodrama macht. Die Hölle
ist in mir.
Beides
kommt hier zusammen, indem sich Bild und Ton auf außergewöhnliche
Weise aufeinander verlassen. Daniel Brühl braucht kaum Gesten oder Worte,
weil er sich – wie nur wenige deutsche Schauspieler – durch seine rein körperliche
Präsenz erklären kann. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln oder eine
leichte Stimmungsverschiebung ist nie nur in seinem Gesicht abzulesen, Verzweiflung
oder Entschlossenheit bewohnt immer schon den ganzen Körper, und die beinahe
dokumentarische Kamerabegleitung verstärkt seine Wirkung.
Um
dieses ästhetische Zentrum wird Elefantenherz
nahezu alle klassischen Wendepunkte einer Boxergeschichte um Aufstieg, Verführung,
Absturz, um kriminelle Machenschaften, Selbsterkenntnis und wechselnde Vaterfiguren
strukturieren. Wie trotz dieser Erfüllung der Vorgaben das Ende offen bleibt,
ist der letzte Schritt eines Genrefilms, der seine eigenen Gesetze liebt und
sie zugleich erweitert.
Jan
Distelmeyer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Die Zeit
Elefantenherz
Deutschland
2001 - Regie: Züli Aladag - Darsteller: Daniel Brühl, Manfred Zapatka,
Jochen Nickel, Angelika Bartsch, Erhan Emre, Jana Thies, Thierry van Werveke,
Sebastian Schipper - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
100 min. - Start: 24.4.2003
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