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Elektro-Lähmung
Herrjeminehwasmachichbloß. Wahrscheinlich ist
ein Filmkritiker der denkbar ungeeignetste Mensch, etwas über diesen Film
zu sagen. Und auch noch öffentlich. Und persönlich. Aber ich will
mich nicht drücken: Dieser Film ist so was von richtig und gutgemeint und
durchdacht und sterbenslangweilig, daß er gar nicht anders kann, als damit
etwas über unsere Film- und unsere politische Kultur auszusagen. Es ist
ein Film, der davon handelt, wie sehr unser Bedürfnis zu handeln von dem
Bedürfnis nach Sicherheit blockiert wird, ein Film, der einen „gangbaren
Weg" sucht. Er macht einen einfachen, durchaus plausiblen Vorschlag, nämlich
die sabotierende Lahmlegung von Rolltreppen nebst massenhafter Selbstbezichtigung,
und er quatscht sich dabei gleich soviel eigene Legitimation, präventive
Verteidigung und Distanzierung an, daß die konkrete soziale Geste hinter
Bildern und Worten zu verschwinden droht, denen der kurze Weg von der WG-Diskussion
zum Pädagogenstammtisch in allen Gliedern zu stecken scheint.
Das „Denkerlebnis" - so nennt Bernward Wember
ein wenig unbescheiden seinen Film im Vorspann, und schon treffender, ein „Gedankenexperiment
gegen die Strommafia" - besteht aus vier Elementen: Ein „Satiriker"
(Jörg Hube) macht arg matte Scherze; schon am Anfang spielt er einen Attentäter,
der sich nicht traut. Wie gefährlich es ist, betont er, wenn Satire mit
Strom in Berührung kommt: Aaarggggh!
Vier „junge Leute" begutachten eine Videokassette
unter dem juristischen und moralischen Aspekt der Aufforderung zur Sabotage.
Sie verhalten sich dabei ungefähr so wie „engagierte" Schülerzeitungsredakteure
im Schulfunk („Kinder, nun laßt mal die blöden Sprüche!").
Wir nähern uns dieser redseligen Gruppe in einer sehr schönen, sehr
bewußten Rundumkamerafahrt: Nein, dilettantisch ist gewiß nichts
an diesem Film, wir glauben es ja. Eva Mattes, schön anzusehen, klatscht
(ausgerechnet!) Atom-Titel von „Spiegel" und „Stern" auf den Fußboden
eines kahlen Zimmers. Sie monologisiert, bei Fassbinder hat sie's gelernt, im
Auftrag, schon wieder, „ihrer Gruppe": Die Gewalt gegen Diktatoren hilft
nicht, weil es bei der Strommafia keine Diktatoren gibt, und Strommasten umsägen
hilft auch nicht, weil die Öffentlichkeit das nicht so gern sieht. Ihrem
ersten Satz: „Was muß denn alles noch passieren, damit etwas nicht passiert?",
folgen andere wie „Wissen wird zur totalen Ohnmacht. Aber was sollen wir tun?
Was machen wir mit all unserem Wissen, ohne verrückt zu werden?" Die
mehr oder weniger heilige Eva formuliert Sätze, die sich der Film „eigentlich"
nicht zu sagen traut: „Das Gerede von der Demokratie ist nur heiße Luft.
Wenn's darauf ankommt, haben wir eine knallharte Diktatur des Geldes".
„Beim Geld müssen wir sie packen. Denn das ist das einzige, was sie lieben!"
sagt Eva Mattes und zündet einen Hundertmarkschein an. „Wow, die zündeln
ja ganz schön!" ist der Kommentar unserer redseligen Viererbande,
die uns prompt im Nachspann als „Rechtsanwalt", „Sozialarbeiterin",
„Lehrerin" und „Gewerkschafter" vorgestellt werden, kein Witz, oder
doch einer.
Schließlich macht Jörg Hube vor, wie man
fachgerecht eine Rolltreppe durch einen Tritt in den Not-Halt lahmlegt. Und
zwischen neuerlichen Argumentationshilfen, Distanzierungen und dem, was eine
der vier sehr treffend „totquatschen" nennt, ohne davon Abstand nehmen
zu können, kommt als viertes Element die Darstellung von Treppen, aber
da mache ich nicht mehr mit.
Die Benutzung einer Rolltreppe ist keine Frage der
Bequemlichkeit allein, es ist ein zivilisatorisches Erleben; die Macht der Technologie
fließt in dieser Bewegung durch uns, was heißt, sie bestimmt uns,
und wir haben an ihr Teil. Der Film weigert sich, diese erotische Beziehung
zwischen dem Rolltreppenbenutzer und seiner rollenden Treppe zur Kenntnis zu
nehmen.
Zu der Lebenslust, die der Film gegen die feindliche
Technik beschworen hat, gehört die Lust der Wahrnehmung. Die will mir der
Film nehmen. Und wenn er ausgerechnet zu dieser schwelgerischen Supermarkt-Elektronik-Säuselmusik,
die in meiner Haßskala gleich nach Fast Food und grünlinksalternativem
Spießertum kommt, seine randwahrnehmungslose, plötzlich so gedankenlos
fetischistische Kamera scheinbar mühelos hinaufschweben läßt
(dieses Hinauf, das doch Energie und Abenteuer will, also in eine Rolltreppe
im Kopf verwandelt), dann hat es Wember, der vielleicht zu viel von Bildern
weiß, um einen Film zu machen, mit mir verdorben, der ich ausgedehnte
Reisen unternehme, um mir interessant erscheinende Treppen dieser Welt zu begehen.
Aber gewiß: Der Erfolg dieses Films liegt nicht in euphorischen Kritiken
treppenfanatischer Cineasten, sondern in der Anzahl stillgelegter Rolltreppen.
Vielleicht wären es ein paar mehr geworden, wenn der Film riskiert hätte,
was er in beständiger Selbstdistanzierung ebenso listig wie langweilig
verhindert, daß die Macht hinter den Rolltreppen vor Zorn für einen
Augenblick ihr Gesicht zeigt. Wie dem auch sei, festes Schuhwerk kann nicht
schaden.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 12/89
Elektro-Lähmung
BRD
1989. R, B: Bernward Wember. K: Carlos Bustamante, Bernward Wember. T: Michael
Überall. Ba: Axel Berger. Pg: Hamburger Filmbüro/Hochschule der Künste,
Berlin. Gl: Paul Müller. V: Atlas. L: 108 Min., 16 mm. St: 19.10.1989.
D: Eva Mattes (Aktivistin), Jörg Hube (Satiriker), Günther Jankowiak
(Harry, Rechtsanwalt), Helma Fehrmann (Dagmar, Lehrerin), Ingrid Ollrogge (Ruth,
Sozialarbeiterin), Heinrich Pachl (Ulf, Gewerkschafter).
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