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El
Entusiasmo
Eine
Rarität in unseren Kinos: ein chilenischer Spielfilm
Für
viele Menschen ist das Kino immer noch der anschaulichste Vermittler ferner
Regionen. Mit "dem Kino" ist dabei der persönlich geprägte
regionale Film jenseits industrieller Großproduktionen gemeint, der vor
allem in kommunalen Kinos und Programmkinos gedeiht. Der Göttinger Kairos-Filmverleih
nimmt sich seit fast 20 Jahren solcher Filme an: Drei lateinamerikanische Produktionen
bringt Kairos jetzt ins Kino, Domesticas (Brasilien),
Despabilate
Amor
(Argentinien) - und El
Entusiasmo
(Chile).
Globalisierungsprozesse
wirken allerdings auch bei dieser Art Kino, ohne europäisches Geld lassen
sich offensichtlich nur noch in Kanada und den USA unabhängige Filme drehen.
Bei El
Entusiasmo
haben neben spanischen und französischen Koproduzenten das ZDF und Arte
mitproduziert. Trotzdem darf man El
Entusiasmo
getrost als eigenständigen chilenischen Film durchgehen lassen, Teil einer
zarten Neu-Blüte, die in den letzten Jahren von den verbesserten Produktionsbedingungen
unter der Regierung von Ricardo Lagos profitieren konnte. Sie hat zehn Jahre
nach Ende der Diktatur auch die Filmzensur abgeschafft. Regisseur Ricardo Larrain
ist kein Unbekannter: 1991 hatte er mit La Frontera den einzigen chilenischen
Publikumserfolg der neunziger Jahre gedreht, der 1992 in Berlin den Silbernen
Bären gewann.
Spielt
La Frontera im äußersten Süden, so reiste Larrain für El
Entusiasmo
ans nördliche Ende Chiles, wo sich Sand und Dürre breitmachen und
reiche Rohstoffvorkommen Ende des 19. Jahrhunderts für Grenzkriege mit
dem peruanischen Nachbarn sorgten. Heute bietet sich der ausgeraubte und ausgelaugte
Wüsten-Boden für touristische Investitionen an.
El
Entusiasmo
beginnt Mitte der achtziger Jahre: Die Schüler Fernando und Guillermo sollen
bei einer paramilitärischen Übung eine historische Grenzschlacht mit
dem Nachbarland nachstellen. Sie hauen nächtens ab, um sich mit Fernandos
Freundin Isabel zu treffen. Während der Möchtegerndichter Fernando
ausgerechnet Verse aus Pablo Nerudas chilenischem Nationalepos "El Canto
General" als seine eigene Dichtung ausgibt, träumt Guillermo den Traum
von der "Unabhängigen Republik", "der einzigen Vision, die
der Mühe wert ist", wie er sagt. Diese vage Definition muss reichen,
konkreter wird uns die Utopie nicht serviert in diesem Film, auch wenn sie weiträumig
umkreist wird - allerdings nur in der Negation.
15
Jahre später sind Isabel und Fernando immer noch ein Paar und Eltern eines
Sohnes. Und die utopische Idee wird in verzerrter Form zur konkreten Realität.
Während sich Guillermo, ein verhinderter Filmemacher, von der Zensur befreit
medienkritischem Zynimus hingibt, geht Fernando in seiner Tätigkeit als
Fremdenführer auf. "Fronteras Tours" bietet US-amerikanischen
Alt-Hippies Abenteuerreisen an die Grenzen der Zivilisation, wobei Isabel als
Dolmetscherin fungiert. Doch Fernandos Enthusiasmus fühlt sich zu Größerem
berufen: Stolz schenkt er Isabel zum Geburtstag die Besitzurkunde für die
"unabhängige Republik", die indes vor allem ein Geschenk Fernandos
an sich selbst ist: die zynische Perversion eines ehemaligen Traums. Aus einem
stillgelegten Salpeter-Bergwerk soll ein großangelegtes Touristen-Spektakel
werden. Die ehemalige Utopie als Ausflugsziel für Revolutionstouristen,
inszenierter Arbeiteraufstand, Polizeiübergriffe und Absingen der Internationale
im Bus-Scheinwerferlicht inbegriffen.
Eine
groteske Satire - oder kann das schon Realität sein? Fernandos Macherwahn
schreitet jedenfalls unaufhaltsam voran: Auf "Naturalia" folgt "Puerto
Paz - der Hafen des Friedens"; eine in den Sand gebaute Retorten-Ferienstadt
am Meer - und die endgültige Zerrüttung des Familienfriedens, da der
unternehmerisch enthusiasmierte Fernando sich als Ehemann und Vater zunehmend
rar macht, während Isabel notgedrungen die Objektverwaltung übernimmt
und Guillermo den Hausfreund spielt. Eine vertraute Konstellation: Zwei konkurrierende
Männer, dazwischen die schöne Frau und der Sohn als Stammhalter und
Stichwortgeber für die Herren.
Ein
Trailer auf der Klippe am Meer mit Satellitenschüssel und Kakteen-Vorgärtchen.
Bunte Bagger, die in der Wüstenlandschaft buddeln. Futuristische Modell-Attrappen
drinnen, große Vermessungszeichen am Strand. Und drüber der Himmel,
blau ", und so klar wie die karge Landschaft, aus der alles entstand: animierte
Landschaftsgemälde, wunderschön anzusehen - Ausstattung und Kameraarbeit
sind ein Hochgenuss. Nur die Menschen stören irgendwie das Bild. Sicher,
auch sie sind schön, zu schön sogar, und vielleicht ist gerade das
ihr Problem. Denn die Menschen in diesem Film sehen aus und bewegen sich wie
die Menschen in den Werbefilmen, mit denen sich Regisseur Ricardo Larrain seinen
Lebensunterhalt verdient. Wir sollen sie wohl lieben, können es aber nicht.
Und auch die Kamera rutscht im Interieur gerne ins Kunstgewerbliche ab. Am unangenehmsten
berührt das bei den geschmäcklerisch inszenierten Sexszenen. Die erste
kommt leider schon nach ein paar Minuten.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
El
Entusiasmo
Chile
1999. R: Ricardo Larrain. B:
Ricardo Larrain, Jorge Goldberg. K:
Esteban Courtalon. Sch: Danielle Fillois. M: Jorge Arriagada. T: Marcos de Aguirre.
A: Patricio Aguilar. Ko: Maria Isabel Ossul. Pg: Cine XXI/Paraiso/Cartel/trigon-film.
V: Kairos. L: 108 Min. Da: Maribel Verdu (Isabel), Alvaro Escobar (Fernando),
Alvaro Rudolphi (Guillermo), Carmen Maura (Maria), Gianfranco Lebrini (Miguel),
Leonardo Morales (Don Tito).
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