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Enron - The Smartest Guys in the Room
Als am 2. Dezember 2001 der Energiekonzern
Enron Insolvenz anmeldete, fand nicht nur die Erfolgsgeschichte des damals fünftgrößten
amerikanischen Unternehmens ein jähes Ende. Das Flaggschiff der New Economy
bescherte Amerika auch den bis dato größten Wirtschaftsskandal. Während
eine Handvoll Executives in letzter Minute noch 155 Millionen auf die Seite
schaffen konnten, verloren die 20.000 Angestellten außer ihren Jobs über
3 Milliarden Dollar an Pensions- und Rentenfonds. Alex Gibney zeigt in seiner
Dokumentation “Enron: The Smartest Guys in the Room” einen exemplarischen Fall
von kapitalistischer Hybris. Von außen betrachtet erinnerte Enron an eine
Art religiöser Kultgemeinschaft; in gläsernen Büros, jedes ausgestattet
mit einem eigenen Treppenaufgang, thronten die geistigen Führer Ken Lay
und Jeff Skilling hoch über ihren Untergebenen. Das öffentliche Image
Enrons war eine medienwirksame Inszenierung aus hemdsärmligem Pioniergeist,
adrenalingesteuertem Nervenkitzel und viriler Selbstüberschätzung.
Die “machohafte Arbeitskultur”, wie es in Gibneys Film heißt, spiegelte
sich nicht zuletzt in der Arroganz wider, mit der Lay und Skilling die Illusion
eines florierenden Milliarden-Dollar-Unternehmens aufrechterhielten, selbst
als sich der Aktienkurs längst im freien Fall befand.
“Enron: The Smartest Guys in the
Room” rekapituliert einerseits die komplizierten Hintergründe eines genialen
Skams, den selbst Wall Street-Insider und Wirtschaftsanalytiker kaum durchblickten
(oder durchblicken wollten). Gleichzeitig versuchen Gibney und sein Autorenteam
Peter Elkin and Bethany McLean, auf deren Buch der Film basiert, die politischen
Umstände zu ergründen, die das Enron-Desaster überhaupt ermöglichten.
McLean bezeichnet den Skandal im Film einmal als menschliche Tragödie,
als wären Lay und Skilling Helden eines griechischen Epos. Gibney dagegen
erkennt am Fall Enrons die Auswüchse eines deregulierten Marktes, als dessen
größter Fürsprecher Lay schon in den achtziger Jahren auftrat.
Dieser Casino-Kapitalismus, beispielhaft
am kalifornischen Energiemarkt, der 2001 dank Enrons skrupelloser Geschäftsgebaren
kollabierte und eine Welle von landesweiten Stromausfällen zur Folge hatte,
war keinesfalls das Werk einer Handvoll Player, sondern das Resultat eines weitreichenden
Netzwerks von Profiteuren: Wirtschaftsprüfern, Banken, Politikern, Börsenbrokern,
Wirtschaftsanalytikern und –journalisten. Die Kontrollmechanismen waren qua
Verfilzung ausgehebelt; „synergetische Korruption“ ist das schöne Wort,
das ein Börsenexperte im Film dafür findet. Elkin bezeichnet beispielsweise
die Kontakte von Ken Lay – „Kenny Boy“, wie George W. Bush ihn nannte - zum
Bush-Clan die „wichtigste und einflussreichste Verstrickung von einer Präsidentenfamilie
und Big Business in der amerikanischen Geschichte“. Als im Januar 2001 in Kalifornien
die Lichter ausgingen, weil Enrons Energiehändler die Strompreise in astronomische
Höhen getrieben hatten, war Bushs einzige offizielle Stellungnahme, dass
man den Kaliforniern am Besten helfen könne, indem alle wie „gute Staatsbürger“
handelten.
Gibney gelingt es mit „Enron:
The Smartest Guys in the Room“, ein schlüssiges Bild des gesellschaftlichen
Klimas zu zeichnen, in das die sich schon Anfang 2001 abzeichnende Enron-Krise
platzte. Man muss kein Psychologe sein, um zu nachvollziehen zu können,
wie stark die Pleite des vermeintlich unerschütterlichen Konzerns die amerikanische
Psyche berührte. Gibney zeigt Archivaufnahmen von streikenden Angestellten
und wütenden Aktionären - einfachen Arbeitern, die, angelockt von
den blumigen Prognosen der New Economy-Apologeten, Enrons Konkurs ihre Privatvermögen
kostete. Der Fall Enron erschütterte das Vertrauen der Amerikaner in den
Freien Markt nachhaltig. Genau hier setzt „Enron: The Smartest Guys in the Room“
mit seiner Kritik an. Gibneys erklärt Enron nicht als Unfall, einen von
Bushs „bad apples“, sondern als logisches Produkt einer außer Kontrolle
geratenen, neoliberalen Wirtschaftsordnung. Insofern fungiert sein Film als
vortreffliche Fallstudie für Mark Achbars und Jennifer Abbotts hellsichtige
Dokumentation „The Corporation“ (2003), die auf der Grundlage von medizinischen Verhaltenstests
dem transglobalen Unternehmen an sich eine psychopathische Natur attestierte.
Gibney zitiert in „Enron: The
Smartest Guys in the Room“ unter anderem das berühmte Milgram-Experiment.
Der Verhaltensforscher Stanley Milgram wies in den Sechziger Jahren nach, dass,
solange ein Weisungsgeber Autorität ausstrahlte, jede noch so ethisch fragwürdige
Anweisung von Untergebenen ausgeführt würde. Enrons Fall führt
lehrbuchmäßig vor, dass diese moralische Rationalisierung lediglich
ein Frühstadium des kapitalistischen Todestriebes ist, wie ihn der marxistische
Kritiker Robert Kurz beschrieben hat. Gibneys Diagnose ist scharf und sachlich,
so dass „Enron: The Smartest Guys in the Room“ nie Gefahr läuft, in jenen
empörten Tonfall zu verfallen, wie ihn sich Michael Moore oft nicht verkneifen
kann. Allenfalls in Peter Coyotes nüchternen Off-Kommentaren ist ein leicht
sarkastischer Unterton zu vernehmen.
Man muss sich allerdings auch
nur ansehen, was für Gestalten das Enron-Projekt angelockt hat. Da gibt
es einen CEO mit einer Vorliebe für junge Stripperinnen. Einen anderen
mit fortgeschrittenem Haarausfall, der seine schwindende Männlichkeit mit
Extremsport-Ausflügen in die Wüste kompensiert. Oder die Bluthunde
aus dem Brokergeschäft, sauber dokumentiert durch mitgeschnittene Telefonate,
die, gerade mal Mitte Zwanzig, von Gewinnen in dreistelliger Millionhöhe
fabulieren. Sie sind sicher nicht die tragischen Figuren. Sondern die Tausende
von Gutgläubigen, die den Verheißungen des Freien Marktes wieder
mal auf den Leim gegangen sind.
Bewertung:
Unterhaltsame Mischung aus
Wirtschaftskrimi und Katastrophenfilm. Regisseur Alex Gibney schildert den Aufstieg
und Fall des Energiekonzerns Enron als kapitalistischen Störfall der vorhersehbaren
Sorte. Ein Muss nicht nur für Aktienbesitzer.
Andreas Busche
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film
Enron
- The Smartest Guys in the Room
USA
2005 - Regie: Alex Gibney - Darsteller: Kenneth Lay, Jeffrey Skilling, Andy
Fastow - FSK: ohne Altersbeschränkung - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
109 min. - Start: 25.1.2007
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