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Die
Entdeckung der Currywurst
„Gibt es den Entdecker der Frikadelle?
Sind solche Speisen nicht kollektive Leistungen? Speisen, die sich langsam herausbilden,
nach der Logik ihrer materiellen Bedingungen, wie es beispielsweise bei der
Frikadelle gewesen sein mag: Man hatte Brotreste und nur wenig Fleisch, wollte
aber den Magen füllen, da bot sich der Griff zu beiden an und war dazu
voller Lust, man musste das Fleisch und das Brot ja zusammenmanschen. Viele
werden es getan haben, gleichzeitig, an verschiedenen Orten, und die unterschiedlichen
Namen bezeugen es ja auch: Fleischbengelchen, Boulette, Fleischpflanzerl, Hasenohr,
Fleischplätzchen.“
So steht es an exponierter Stelle in Uwe
Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ – und eben diese Stelle kommt
in Ulla Wagners Verfilmung leider gar nicht vor. Ebenso wenig wie die Erzählerfiktion,
die doppelte, verschachtelte Erinnerung, die Recherchesituation des ungeduldigen
Erzählers, die postmoderne Selbstreferenz, die erzähllogischen Brüche
(Bremers verlorener Geschmackssinn) und all die kleinen Abschweifungen und Alltagsbeobachtungen
von Timms beeindruckend komplexer Novelle über das Lügen und listige
Hinauszögern unangenehmer Wahrheiten. Ulla Wagner, die auch für das
Drehbuch verantwortlich zeichnet, hat sich für ein konzentriertes psychologisches
Kammerspiel entschieden, will eine ungewöhnliche, aber gar nicht mal unwahrscheinliche
Liebesgeschichte erzählen.
Hamburg, im April 1945. Das Nazi-Regime
liegt in den letzten Zügen, will sich aber durch Volkssturm und Totalmobilmachung
noch dafür rächen, dass sich die Deutschen wieder einmal als zu schwach
für die Welteroberung gezeigt haben. Hamburg ist zur Festung erklärt
worden und soll bis zum letzten Mann verteidigt werden, während die Alliierten
die Stadt fast ununterbrochen bombardieren. Wenn das Staatswesen sich allmählich
auflöst, so erzählt es jedenfalls der Film, wächst der individuelle
Handlungsspielraum. Die nicht mehr ganz junge Lena Brückner, herausragend
gespielt von Barbara Sukowa, arbeitet als Leiterin einer Kantine und lernt abends
vor dem Kino den jungen Matrosen Hermann (sehr fesch: Alexander Khuon) kennen,
den sie mit nach Hause nimmt, als der nächste Luftangriff die Wochenschau
beendet. Lenas Mann Gary, ein Tunichtgut und Schlawiner, sowie Lenas Sohn sind
an der Front verschollen. Hermann nimmt das Angebot der Frau an, desertiert
und versteckt sich in ihrer Wohnung. Es beginnt eine handfeste Liebesgeschichte
wider die Zeitumstände, fröhlich, spontan und in jeder Hinsicht subversiv.
Noch glaubt nicht nur der Blockwart an den „Endsieg“, noch werden in Betrieben
Propaganda-Reden gehalten, doch die größte Gefahr für diese
Beziehung geht vom Frieden aus. Bremer hat Lena verschwiegen, dass er verheiratet
und Vater eines kleinen Kindes ist, doch Lena entdeckt ein Foto der jungen Familie.
Als der Krieg zu Ende geht, beschließt
sie, ihr kurzes Glück durch Schweigen etwas zu verlängern, während
Hermann schon vom nächsten Kriegszug gen Osten zu träumen beginnt.
Die kleine Wohnung, zuvor das Refugium der Liebenden, wird zum Gefängnis,
während draußen vor der Tür die Karten gar nicht so neu gemischt
werden. Als Lena, schockiert von den Bildern aus den KZs und abgestoßen
von Hermanns Kriegsfantasien, dann doch die Kapitulation des Deutschen Reichs
berichten muss, bedeutet dies das Ende der Beziehung. Hermann verschwindet,
wie er gekommen ist, doch die Energie, die Lena aus dieser Begegnung gezogen
hat, reicht immerhin, um sich auch nach der Rückkehr des untreuen Ehemanns
die Unabhängigkeit zu sichern. Auch die titelgebende „Entdeckung der Currywurst“
ist Reflex der befreienden Energie der „unmöglichen“ Liebesgeschichte zwischen
Lena und Hermann, funktioniert doch die Kombination zweier Dinge, die eigentlich
nicht zusammenpassen, tatsächlich ganz gut: „Trümmer und Neubeginn,
süßlichscharfe Anarchie“ (Uwe Timm).
Im Gegensatz zur literarischen Vorlage
gestattet sich der Film die konventionell melodramatische „cloture“ einer letzten
Begegnung der einst Liebenden vor Lenas Currywurstbude. Die reizvolle, auf mehreren
Ebenen reflektierte und verschränkte Struktur von Timms Novelle konnte
und wollte Ulla Wagner nicht verfilmen. Ihre konsequent vereinfachende Zurichtung
der Vorlage zu einer vergleichsweise linearen Erzählung, die sich ganz
auf die Psychologie der Protagonistin vor etwas kulissenhaft ins Bild geschobenem
Zeitkolorit konzentriert, macht aus „Die Entdeckung der Currywurst“ einen unterhaltsamen
Wohlfühlfilm gehobenen Niveaus. Freilich hat man dabei etwas zu häufig
das Gefühl, alles schon einmal gesehen zu haben, zum Beispiel als „Die
Ehe der Maria Braun“ (fd
21 181) von Rainer Werner Fassbinder, zu der „Die Entdeckung der Currywurst“
problemlos als Prequel durchgehen würde. Erzählt allerdings mit den
Mitteln und Limitationen eines allenfalls moderat ambitionierten Fernsehspiels,
das kein dramaturgisches Zugeständnis an den Zuschauer scheut.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Die
Entdeckung der Currywurst
Deutschland 2008 - Regie: Ulla Wagner - Darsteller: Barbara Sukowa, Alexander Khuon, Wolfgang Böck, Branko Smarovski, Götz Schubert, Frederick Lau, Astrid Meyerfeldt, Traute Hoess - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 106 min. - Start: 11.9.2008
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