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Equilibrum
Sentio
Ergo Sum
Zukunftsvisionen
wie diese entstehen aus dem Mangel an Vertrauen, so wie sie die wiederkehrende
Zerstörungswut des Menschen aus der Vergangenheit auf kommende Ereignisse
projizieren. Die Zukunft im Film ist - bis auf wenige Ausnahmen, die meist komödiantischer
Natur sind - eine dunkle Vorahnung, immer dem Gesetz der drohenden Apokalypse
verschrieben oder gar einem postapokalyptischen Bild geschuldet. Was nicht zerstört
ist, wird in Sterilität gelegt, Zukunft, das hat auch immer etwas Pessimistisches
im Namen, gilt offenkundig als Brandherd für Depressionen, Albträume
und Tod.
Der
Verlust des Individuums, das dahinsiechende Sterben des Gefühls, der Ersatz
menschlicher Schwächen durch computergenerierte Präzision. In Kurt
Wimmers Vorstellung der Zukunft ergibt sich das eine durch das andere, stirbt
der Bestandteil Mensch bis auf seine mathematischen Funktionen ab. Gefühle
werden nicht geduldet in Libria, einem isolierten Stadtstaat, der nach den verheerenden
Auswirkungen des dritten Weltkriegs nach einer Neuordnung der irdischen Gesetzmäßigkeiten
sucht. Gewalt soll ausgeschaltet werden, als direkte Folge von Emotionen wird
sie gesellschaftlich verdammt, zur Beseitigung der Feinde jedoch in ihrer Mortalität
perfektioniert.
Denn
nach wie vor weigern sich einige Rebellen die gefühlstötende Droge
Prozium nach Willen der staatlichen Autorität einzunehmen. Sie ist es,
die aus Menschen berechnende Wesen wie den Grammaton-Kleriker John Preston (Christian
Bale) macht. Kleriker sind auch im futuristischen Libria noch im weitesten Sinne
Geistliche, Mönche, Eremiten des Gefühls, die in ihrer asketischen
Lebenshaltung und tödlichen Perfektion die effektivste Waffe der Behörden
darstellen. Preston fühlt keine Trauer, keinen Hass, was er kennt sind
Logik und Mathematik, Geometrie und Physik. Auf der Jagd nach den Rebellen machen
ihn diese Eigenschaften zu einem geeigneten Werkzeug, die Absenz von Mitgefühl
oder Empathie lassen das Bestreben nach einer klerikalen und sterilen Welt wahr
werden.
Doch
auch dort, wo das Mensch-Sein auszusterben scheint, gibt es Hoffnung, ohne die
keine Zukunftsvision, wie martialisch oder negierend sie auch aussehen mag,
existiert. Das Fehlen von Emotionen wird resorbiert durch die Neugier weniger.
Errol Partridge (Sean Bean) beispielsweise, Prestons Partner. Längst ist
er dem Willen verfallen seinem eigenen Ethos als Kleriker zu entfliehen, es
ist wohl nur ein Gefühl, das ihn leitet, doch bereits dies gilt als Strafe.
Kunst wird ebenso zerstört wie Musik, Leidenschaft und Liebe gelten als
unerhebliche und vollkommen überflüssige Relikte einer barbarischen
Vergangenheit. Jeder, der seine Dosis Prozium absetzt und beginnt zu fühlen,
kann nur eines erwarten: den Tod.
Der
Film legt Wert auf seine kalte Welt, die in der Uniformität seiner Einwohner
und deren Mangel an emotionaler Wärme ihre markanten Auswüchse findet.
Das Leitbild Librias folgt den Prinzipien eines totalitären Regimes unter
der Obhut des sogenannten "Vaters" (Sean Pertwee), der zwischen ferngesteuerter
Kunstfigur und institutionalisiertem Mythos, für ein staatlich kontrolliertes
Gleichgewicht sorgt. Keine Gefühle, bedeuten keine Kriege - nach dieser
schlichten, aber zielgerichteten Maxime operiert der Staat, selbst wenn oder
gerade weil dies einen Nährboden für Willkür des Regimes und
eine absolute Einschränkung menschlicher Freiheit, sogar in den Gedanken,
bedeutet.
Kurt
Wimmer erzählt seine Geschichte auf dem Hintergrund theoretischer Ideen
wie dieser, ist sich jedoch der Tatsache bewusst, dass sein Film in erster Linie
aufgrund der effektvoll inszenierten Action Interesse weckt. Da fallen Anschlussfehler,
die sich selbst dem ungeschulten Auge erschließen und die eine oder andere
logische Schwäche, nicht sonderlich auf, belohnt doch das optische Spektakel
für den ein oder anderen Patzer. Der Vergleich zu Filmen wie "Matrix"
drängt sich insbesondere anhand der stilistischen Nähe auf, kann jedoch
nicht mehr sein als das grobe Einordnen in ähnliche Genregefilde. Denn
Wimmers Fiktion ist sich der schauspielerischen Klasse bewusst, die mit Bale
in der Hauptrolle eine geradezu ideale Besetzung hat. Kernelemente der Handlung
und emotionale Höhepunkte des gesamten Films sind da die ersten Gefühlsregungen
des zur Gefühls-Askese Verdammten.
Wenn
Preston der Musik von Beethoven ehrfürchtig lauscht und dabei deutlich
wird, mit welch restriktiver Kraft jegliche Empfindung über Jahre in ihm
zurückgehalten wurde, dann wird aus einem Zukunftsthriller ein menschliches
Drama, dann beweist der Film wie gekonnt er ein Szenario aus Konformität
und Kontrolle erschaffen hat, um diese Fesseln nun langsam von seinem Protagonisten
aufsprengen zu lassen, der als ehemaliges Produkt des Regimes nun dessen grandiose
Lüge bekämpft. "Equilibrium" funktioniert als Vision einer
dunklen Zukunft ebenso wie als Märchen eines Mannes, der zu sich selbst
als Mensch zurückfindet. Dass dabei die ein oder andere Ungereimtheit aufkommt
und der Charme der Handlung hinter der Idee selbst zurückbleibt, fällt
in einer abschließenden Betrachtung nicht so sehr ins Gewicht.
Patrick
Joseph
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Equilibrium
USA
2002
Regie:
Kurt Wimmer
Drehbuch:
Kurt Wimmer
Kamera:
Dion Beebe
Schnitt:
Tom Rolf und William Yeh
Musik:
Klaus Badelt (Ludwig van Beethoven, Ramin Djawadi, Geoff Zanelli)
Darsteller:
Christian Bale, Sean Bean, William Fichtner, Taye Diggs, Angus MacFayden, Emily
Watson, Dominic Purcell, Christian Kahrmann, John Keogh, Sean Pertwee, David
Barrash, Dirk Martens u.a. -; 105 Minuten
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