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Eraserhead
Henry Spencer (Jack Nance) wird Vater. Als
das Kind - eine an ein Alien erinnernde Mißgeburt - geboren wird, verläßt
ihn seine Freundin Mary und er kommt letztlich nicht mit seiner neuen Rolle
zurecht. David Lynchs Spielfilmerstling in Schwarz-Weiß, der mit seiner
revolutionären Bildersprache und dem radikalen Hervorheben des Tons verwirrt,
setzt sich mit dem Thema Familie in zutiefst pessimistischer Sicht auseinander.
Inhalt
Henry
Spencer (Jack Nance) befindet sich auf dem Weg zu seiner Freundin Mary X (Charlotte
Stewart), die schon lange nichts mehr von sich hat hören lassen, und deren
Eltern, die ihn zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen haben.
Henry,
so erklärt er Marys Mutter (Jeanne Bates), arbeitet in der nahegelegenen
Druckerei. Er wirkt eher unzufrieden mit seinem bescheidenen Leben. Beim Speisen
des von Mr X zubereiteten Huhnes passiert etwas Ungewöhnliches: Während
Henry das Huhn anschneidet, tritt eine seltsame, blutähnliche Flüssigkeit
hervor, worauf Mrs X mit einem spastischen Anfall reagiert. Sie beutelt Henry
und fragt ihn bedrängend, ob er mit Mary geschlafen habe. Es sei nämlich
ein Baby im Spital, wobei man gar nicht sicher sein könne, daß es
überhaupt ein Baby ist.
Das
Kind, das Mary gebiert, ist tatsächlich kein gewöhnliches, sondern
ein aliengleiches, glitschiges Wesen mit langem Hals und unförmigem Kopf,
das ständig lauthals schreit. Mary erträgt diese Belastung nicht länger,
zieht wieder aus Henrys Wohnung aus und kehrt zu ihren Eltern zurück. Henry
versucht unterdessen, mit seiner neuen Vaterrolle zurecht zu kommen.
Er
findet vorübergehend Ablenkung in einer Affäre mit seiner attraktiven
Nachbarin (Judith Anna Roberts), doch verzweifelt er zunehmend an seiner eigenen
Unfähigkeit, mit dem ungewöhnlichen Etwas, das sein Kind sein soll,
umzugehen. Zu allem Überfluß wird das Baby noch krank.
Im
Traum erscheint Henry eine auf einer Bühne tanzende Blondine. Henry, der
am Bühnenrand steht, wird plötzlich von einem Knüppel getroffen,
sein Kopf fällt zu Boden, worauf im offenen Hals der Kopf seines Kindes
sichtbar wird. Sein Kopf rollt auf eine Straße, wo ihn ein Junge aufhebt
und zur nahegelegenen Bleistiftfabrik bringt. Dort wird der Schädel zu
Radiergummiköpfen verarbeitet.
Als
Henry, nachdem er erwacht ist, seine Nachbarin auf dem Flur in Umarmung mit
einem anderen Mann beobachtet, sieht er nur einen Ausweg: Er durchschneidet
die Mullbinden, in die das Baby eingewickelt ist. Hervor quillt eine Flüssigkeit,
das Baby beginnt herzerweichend zu weinen. Der Kopf des Babys wird immer größer,
er füllt schon das ganze Zimmer aus, bis das kleine Etwas schließlich
verendet. Mit dem Kind verschwindet auch Henry.
Kritik
Nach
seinen ersten Gehversuchen im Filmgeschäft mit The
Alphabet
(1968) und The
Grandmother
(1970) wagte sich David Lynch mit Eraserhead
erstmals auf die Kinoleinwand. Seine Spielfilmpremiere - anfangs unter keinen
günstigen Vorzeichen stehend - ist rückblickend wohl der wichtigste
Film für den Regisseur selbst (Insidern zufolge auch sein Lieblingsbaby),
ohne den seine spätere Karriere wohl anders oder gar nicht verlaufen wäre.
Doch
der Reihe nach...
Gleich
zu Beginn macht uns Lynch mit seinem eigenwilligen Stil bekannt: Ein halb angeschnittener
Männerkopf erscheint, im Hintergrund eine Kugel, möglicherweise ein
Planet, der Kopf schiebt sich langsam vor die Kugel. Wir scheinen förmlich
über diese zu schweben, bis wir an einem Fenster angelangt sind, an dem
ein Mann Platz genommen hat. Schließlich bedient der Mann am Fenster (in
einer kleinen Rolle Jack Fisk, der u.a. als Art Director, u. a. für Stephen
King "Carrie - Des
Satans jüngste Tochter " Karriere machte) einen Hebel und der Mann
im All erscheint wieder, aus dessen Mund eine fötenhafte Gestalt heraustritt.
Wir
sind in Lynchville, und mit einem Schlag (oder besser gesagt einer Szene) hat
uns der Regisseur mit seinem Lieblingsmotiv, das auch die Nachfolgefilme beherrschen
sollte, vertraut gemacht: der Geburt. Noch viele Male wird Lynch diese Thematik
zitieren, aber nie mehr so eindringlich wie in Eraserhead.
Sehen wir doch zu Beginn - in mehr oder minder eindeutigen Bildern - den Geburtsakt,
der von Lynch prinzipiell als etwas Maschinelles, Unvermeidbares und mithin
Grausames verstanden und dementsprechend inszeniert wird: Der junge Mensch entschlüpft
der Geborgenheit des Mutterbauchs, sieht sich einer neuen Welt gegenüber,
in der er sich nunmehr behaupten muß. Unsicherheit prägt den jungen
Menschen, die durch niemanden wohl eindringlicher reflektiert wird als durch
Henry selbst. Durch seine ängstliche und tolpatschige Art ist er Ausdruck
des verlorenen Kindes, das sich in der "Menschenwelt" nicht zurecht
finden kann.
Durch
die Einführung Marys und deren Eltern gelangen wir zur ersten Problemebene.
Henry müßte ob seiner neu gefundenen Liebe eigentlich glücklich
sein, doch er sieht sich nur Schwierigkeiten gegenüber: Marys Eltern drängen
auf geordnete Verhältnisse - in der gemeinsamen Szene in deren Wohnung
ist Henrys Selbstvertrauen auf ein Minimum geschwunden, man sieht ihn nur mit
gesenktem Kopf auf der Couch sitzen - , sie erwarten, auch wenn dies nie explizit
ausgesprochen wird, von Henry, daß er ihre Tochter zur Frau nimmt. Auch
das nachfolgende (katastrophal endende) Essen verläuft sehr förmlich
und gestelzt ab. Und schließlich kommt noch die Hiobsbotschaft: Die Schwangerschaft
Marys versetzt Henry endgültig den "Todesstoß" und er wird
zum Gefangenen der Konventionen.
Lynch
widmet sich in seinem Erstlingswerk - und das wird nach wenigen Augenblicken
klar - fast ausschließlich dem Thema Familie, insofern kann man Eraserhead
auch als Familiendrama bezeichnen. Das ist insofern einzigartig, als seinen
späteren Filme nie mehr derartige Konzepte zugrundeliegen, er sich zwar
immer mit bestimmten Sujets auseinandersetzt, diese aber nie zum Mittelpunkt
macht. Die Thematisierung der patriarchalischen Familie, der "aufgezwungenen"
Schwangerschaft - heute würde Mary ihr Kind u.U. von vornherein abtreiben
lassen - des alleinerziehenden Vaters: Lynch wagt sich hier, berücksichtigt
man den Entstehungszeitpunkt, an Tabus für die damalige Zeit, was fast
schon als revolutionär zu werten ist. Besonders Henry, der plötzlich
von Mary mit dem Kind allein gelassen wird, sieht sich neuen Herausforderungen
gegenüber, muß er doch mit der noch völlig ungewohnten Vaterrolle
zurecht kommen.
Hinzu
kommt auf der nächsten Ebene der Umstand, daß es sich bei Marys Kind
um ein völlig mißgebildetes Etwas, man könnte auch sagen eine
Mißgeburt, handelt. Um die gewünschte abschreckende Wirkung zu erreichen,
verzerrt der Regisseur hier bewußt, indem er nicht etwa ein behindertes
Kind in Szene setzt, sondern eine Art Alien - für damalige Verhältnisse
übrigens technisch einzigartig - konstruieren ließ, das eher an einen
Kalbsfötus als ein menschliches Wesen erinnert, und dieses Geschöpf
als eindringliche Metapher für alles Abnormale verwendet.
Auch
wenn Lynch lediglich verlauten ließ, daß Eraserhead ohne den urbanen
Alptraum, den er in Philadelphia hatte durchmachen müssen, nicht gedreht
worden wäre, kann man davon ausgehen, daß er mit diesem Film eine
Reihe von Kindheitstraumata verarbeitete. Verriet doch zumindest seine Tochter
Jennifer, daß die Gründung einer Familie für ihren Vater damals
wie ein "wahrgewordener Alptraum" gewesen sei. Seine Abneigung der
Gemeinschaft Familie gegenüber, in der alles nach dem gleichen Schema und
den gleichen Unterordnungen zu funktionieren hat, seine daraus resultierende
Auseinandersetzung mit dem Ungewöhnlichen, dem Menschen als etwas Nichtperfektem
- eine Idee, die er in "The Elephant Man" ausbauen sollte - lassen
Eraserhead
als den autobiographischsten Streifen Lynchs erscheinen. Die pessimistische
Grundstimmung trat übrigens auch während des Drehs selbst zutage,
als der Regisseur zu Wutausbrüchen und Überreaktionen neigte, die
er erst mit Hilfe der Meditation bewältigen konnte.
Henrys
spürbare Sehnsucht nach Ordnung und Einheit wird von Lynch brutal zerrissen,
indem er seine Hauptfigur am Ende völlig allein seinem Schicksal überläßt.
Lediglich der blonde Engel nimmt Henry in seine Arme. Als das Kind stirbt -
ist es eine vorsätzliche Tötung, die Henry am kleinen Geschöpf
begeht, oder will er es nur von seinen Qualen befreien? -, stirbt auch Henry.
Der Kampf gegen die Unterdrücker ist verloren. Der Akt der Schöpfung
wird somit in sein Gegenteil verkehrt.
Hinsichtlich
der visuellen Gestaltung seines Werkes entschied sich Lynch für das Drehen
in Schwarz-Weiß, zumal der Kontrast der Bilder - und letztlich lebt Eraserhead
mangels umfangreicher narrativer Ebene von diesem - in Farbe nicht dermaßen
eindrucksvoll rüberkommen konnte.
Dementsprechend
extrem setzt der Regisseur auch das Licht ein: So erscheint Henrys Wohnung,
ein winziges Loch mit nur einem Fenster, viel dunkler als die Unterkunft von
Mr und Mrs X, womit Lynch wohl die Zurückgezogenheit und innere Katharsis
Henrys versinnbildlichen will. Selbst in der kryptischen Anfangszene mit dem
Auftauchen des Planeten, aus dem quasi ein Kopf wächst, spielt der Regisseur
geschickt mit den beiden Elementen Licht und Schatten, sodaß letztlich
nur Umrisse des Geschehens zu sehen sind. Einzig die engelsgleiche Erscheinung,
die für Henry - und hier stoßen wir erstmals auf eines der vielen
religiösen Elemente, denen Lynch in seinen späteren Werken so sehr
verhaftet sein wird - die Erlösung bedeutet, erscheint in gleißendem
Licht.
Viel
bemerkenswerter ist aber Lynchs fast schon pedantischer Umgang mit dem Ton.
In Zusammenarbeit mit Alan Splet, der in fast allen späteren Werken des
Regisseurs als Toningenieur mitwirkte, schuf Lynch für Eraserhead
einen universellen Kosmos an Geräuschen, die den gesamten Film beherrschen
und ohne Pause auf den Zuschauer niederprasseln: Das Wummern, Zischen, Ächzen
und Knirschen reflektiert schon von selbst, daß Lynch die Story in einer
eher veraltet wirkenden, schmutzigen Industrielandschaft angesiedelt hat, ein
Stilmittel, zu dem er später immer wieder zurückkehrt. Oder das Schreien
des Babys, der eigentliche Auslöser für Mary, Henry mit dem Kind alleine
zu lassen. Die Dampforgelmusik, die so gar keinen Bezug zum Geschehen auf der
Leinwand zu haben scheint. All das trägt eher zur Beunruhigung denn zur
Orientierung bei, gleichzeitig prägt es aber den pessimistischen Grundton
des Films.
In
seiner Technik erinnert Eraserhead
nicht zufällig an einen Stummfilm - wenn man einmal von den verschiedensten
Tonquellen absieht - besteht er doch aus einem lediglich 21seitigen Skript,
in dem Dialoge genauso eine Rarität sind wie ein narrativer Zusammenhalt.
Um seine Wechsel zwischen Realitäts- und Traumebene - oder soll man sagen
verschiedene Realitätsebenen? - klar dazustellen, bedient sich Lynch der
Parallelmontage, wobei die verschiedenen Ebenen nicht wirklich Zusammenhalt
durch den Schnitt, sondern eher durch ihre tonale Verknüpfung bekommen.
Auch
der Ort spielt eine untergeordnete Rolle, da sich die Handlung fast ausschließlich
im Inneren oder im Kopf Henrys abspielt, was die Dichte des Films noch verstärkt.
Deshalb sind auch jegliche Ortsangaben überflüssig, wodurch wir uns
wie in einem abgeschlossenen Raum wähnen. Die Zeit ist nur mehr eine relative
Komponente in Eraserhead,
was durch den Kuckuck, der sich aus der Uhr herauswindet und seltsam im Kreis
dreht, am überzeugendsten veranschaulicht wird.
Die
Dialogarmut des Skripts stellte besondere Herausforderungen an die wenigen Darsteller,
allen voran John Nance (der später nur noch Jack gerufen wurde): Er entwickelt
die richtige Mischung aus stillem Leiden und seltsamer Geistesabwesenheit, die
für die Figur des Henry, Lynch zufolge, ausschlaggebend sein sollten. Mit
seiner schmerzlichen Gestik und der Körpersprache, die pure Zurückgezogenheit
und Unsicherheit signalisiert, ist er auch ein Abbild der Persönlichkeit
Lynchs. Nance wurde übrigens zum Lieblingsschauspieler von Lynch und spielte
in fast allen seiner Filme zumindest in einer kleinen Nebenrolle mit.
"Eraserhead
ist ein Film, den man erfahren statt erklären sollte." Die Worte des
Kritikers Paul Taylor drücken wohl am besten die Magie dieses experimentellen
Werkes, das zu einem Großteil von seinen Bildern und deren Ausdruckskraft
lebt, aus. Tauchen Sie also ein in dieses Verwirrspiel aus Unterdrückung
und Angst, das als Ausgangspunkt für die künstlerische Entwicklung
des damals - zur Zeit der Fertigstellung - 31jährigen Regisseurs gesehen
werden kann.
Reinhard
Bradatsch,
12.09.2000
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Eraserhead
Eraserhead
USA
/ 1977
Mit:
Alan Bates, Jeanne Bates, Allen Joseph, Jack Nance, Charlotte Stewart
Regie: David Lynch
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