Erklärt Pereira Roberto Faenza, Italien/Portugal/Frankreich 1996
In seinem vorletzten Film spielt Marcello Mastroianni einen
naiven, auch bereits senilen Kulturredakteur einer Lissaboner
Zeitung im Jahre 1938. In Portugal übernehmen die Faschisten
gerade die Macht, Pereira, so heißt der Kulturredakteur,
kümmerts kaum, er ist schließlich ein Mann der Literatur,
nicht der Politik, seine Artikel sind mit jeder Art Regime
verträglich.
Pereiras Lieblingsthema ist der Tod, nicht zuletzt auch
angesichts der Vorangeschrittenheit seiner eigenen
biologischen Uhr, von der er sich mit Vorliebe durch Verfassen
von Nachrufen auf verstorbene Geistesgrößen ablenkt. Die
sollte man eigentlich auf Schublade produzieren, denkt er sich
eines Tages, man weiß ja nie, wie schnell es kommen kann und
akzeptiert zur Verstärkung dieses Projekts einen dynamischen
Jungjournalisten. Der schreibt zwar entsetzlich, aber für das
Fortkommen der Handlung ist sowieso nur von Belang, daß dieser
Jungspund zusammen mit seiner Freundin am Rande des
antifaschistischen Widerstands agiert. Ein mediterranes
Pärchen Scholl, mit markanten Gesichtern und drängendem
Idealismus.
Natürlich bleibt Pereira vom Sturm und Drang der beiden nicht
unberührt, entdeckt neben seinem kulturbeflissenen Verstand
auch die 'Vernunft des Herzens' und wird zum Finale Grande gar
richtig listig und aufrecht mutig. Bis dahin müssen ihm die
Begegnung mit einer verfolgten Jüdin, das Kurschlammbaden bei
einem Freudianer, die Nachrichten über exilierte Großliteraten
und zuguterletzt der brutale Mord an seinem Zögling noch
heftig auf die Sprünge helfen.
Dem Film 'Erklärt Pereira' ist allerdings durch überhaupt
nichts mehr auf die Sprünge zu helfen. Daß Mastroianni noch
unangenehmer als in "Prêt-a-porter" mit seiner
Alterstattrigkeit kokettiert, ist verdaubar. Daß ihn der Film
zu einer Art Forrest Gump des bürgerlichen "Antifaschismus"
stilisiert und das Versagen des Liberalismus schönreden läßt,
ist es hingegen nicht. Daß Lissabon in den schwelgerischen
Farben eines Pessoaromans hingetupft wird, kann man sich noch
anschauen, daß der Film die Zeichen der 'neuen Zeit' vor allem
durch Veränderungen am Dekor und Kostüm festmacht, ist schon
jenseits der Naivitätsschwelle. Daß der Film zeigen möchte, in
politisch brisanten Zeiten sei keine politikneutrale
Biographie möglich, ist verdienstvoll. Fürchterlich ist
hingegen der allesverrührende Antagonismenbrei aus Kultur
versus Politik, Leben versus Tod, Jugend versus Alter,
Intellekt versus Gefühl, Männer versus Frauen und Väter versus
Söhne, in den der Film seine Gut-Böse-Moral umstandslos
einstreut.
Es ist bezeichnend, daß Pereira mit Bezug einer diffusen
politisierten Position auch gleichzeitig seine ungesunden
Ernährungsgewohnheiten ablegt, seine Herzschwäche und
chronische Müdigkeit vergißt und wieder Abenteuerlust aufs
Reisen und Lesen empfindet. Die Botschaft könnte lauten:
Lustlos? Abgespannt? Gelangweilt? - Versuch es mal mit Antifa.
Wer Wert auf eine gepflegte Faschismusanalyse legt, findet
sich beim Besuch von "Erklärt Pereira" also im intellektuellen
Tiefparterre wieder, in dem ein selbstvergessenes fin de
siècle Bürgertum Cowboy-Und-Indianer-Spiele ausficht. Und wer
unverzichtbar glaubt, Mastroianni im Ringelbadeanzug beim
Fangoschlammen zuschauen zu müssen, dem ist wohl sowieso nicht
mehr zu helfen.
Urs Richter
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