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Die
Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
Der Outlaw ist
müde
Jedes Land braucht seine Helden, und wenn sie noch
so abgewirtschaftet sind. Mehr als 30 Filme hat Hollywood bis heute zum Mythos
Jesse James beigesteuert. Die Bandbreite reicht vom gebrochenen Heldenepos (Nicholas
Rays "True Story of Jesse James") über den revisionistischen
Western (Philip Kaufmans "The Great Northfield Minnesota Raid") bis
zum brutalen Gangfilm ("The Long Riders" von Walter Hill). Konjunkturen
oder Brüche waren dabei nicht auszumachen, Hollywood hat seine Heldenverehrungen
zu jeder Zeit hervorgebracht. Und obwohl sich das Thema offensichtlich eine
solch zeitlose Qualität bewahrt hat, stellt sich mit jedem neuen Jesse-James-Film,
zuletzt “American Outlaw” von 2001, unwillkürlich die gleiche Frage: Was
denn jetzt noch?
In der Folkmusik nennt man das ein Traditional. Ein
Standard, der sich in unzähligen Variationen und Interpretationen selbst
überlebt hat. Auch die Geschichte von Jesse James hat sich ihren Weg durch
hundert Jahre Populärkultur gebahnt; jede Generation hat den Outlaw James
neu für sich entdeckt. In den Vierzigerjahren erklärte ihn der sozialistische
Folksänger Woody Guthrie zum Helden der Besitzlosen, heute sind es eben
Colin Farrell oder Brad Pitt. Da ist es nur konsequent, dass am Ende von "Die
Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford", dem jüngsten
Kommentar Hollywoods zum James-Mythos, Nick Cave in einem Cameo als Bänkelsänger
auftaucht. Der Australier Cave, wie schon bei "The Proposition" zusammen
mit Warren Ellis für den Soundtrack verantwortlich, hat seit je ein Faible
für die düstere Folklore des amerikanischen Westens. Insofern steht
auch ihm ein Plätzchen in der Riege jener zu, die den Mythos Jesse James
ins 21. Jahrhundert befördern wollen. 125 Jahre, und kein bißchen
Staub angesetzt.
Den Western wird Andrew Dominiks zweiter Spielfilm
"Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" allerdings
nicht neu erfinden, auch wenn sich der Film allen Anschein gibt, nicht weniger
als das zu wollen. Bemerkenswert ist allenfalls, mit welchem Nachdruck Dominik
eines der klassischen Western-Motive in das Oeuvre des Spätwestern zu überführen
versucht. "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford"
ist möglicherweise der beste Siebzigerjahre-Western, der nicht in den Siebzigerjahren
gedreht wurde. Mehr als ein paar atmosphärische Einsprengsel kann er dem
Thema dennoch nicht abgewinnen.
Gesund sieht der amerikanische Westen in "Die
Ermordung des Jesse James" nicht aus; die Farben sind streckenweise ausgebleicht
wie alte Daguerrotypie-Fotografien, die zu lange in der Sonne lagen. Manchmal
verschwimmt das Sichtfeld zu den Rändern hin, das hat dann einen leicht
halluzinogenen Effekt. Damit fügen sich die Bilder prächtig in die
Grundstimmung von Dominiks Films ein, in dem sich fast alles um Vergänglichkeit
und Wahnsinn dreht. "Die Ermordung des Jesse James" beginnt, als alles
schon fast vorbei ist. Für ihren letzten Zugüberfall im September
1881 haben Jesse James (Brad Pitt) und sein Bruder Frank (Sam Shepard) eine
Gruppe von örtlichen Cowboys, unter ihnen die Brüder Robert und Charles
Ford (Casey Affleck und Sam Rockwell), angeheuert. Am Morgen nach dem Raub verabschiedet
sich Frank James vom Outlaw-Dasein und lässt seinen Bruder mit den Ford-Jungs
zurück.
Aber auch Jesse hat seine besten Jahre hinter sich,
aus seinem leeren Blick spricht Erschöpfung. Mit 34 Jahren ist er bereits
am Ende. Die eigene Legende hat den müden Volkshelden längst überlebt.
Jesse will nur noch nach Hause, zu seiner Frau und den Kindern. Aber sein Mythos
lässt ihn nicht mehr los. Für den jungen Bob Ford ist Jesse James
ein Jugendidol, und so beginnt er sein großes Vorbild bald wie ein aufdringlicher
Fan zu umschwärmen, bis es aus Pitt irgendwann rausplatzt: "Willst
du eigentlich ich sein oder nur so sein wie ich?"
Mit seinem treuen Hundeblick und der kläglichen
Jammerstimme hat Afflecks Bobby etwas latent Unangenehmes; seine Unsicherheit
und Rückgratlosigkeit überspielt er mit einem Schwall von Worten,
alle runtergeleiert im gleichen kraftlosen, leicht unterwürfigen Tonfall.
Bobby Ford ist ein fanboy from hell, und je obsessiver seine Fixierung auf den gebrochenen
Jesse wird, desto mehr verliert er auch den Bezug zur Realität. Jesse James
soll ihm Ruhm bringen - auf die eine oder andere Weise. Der aber hat dem Hasenfuß
nichts mit auf den Weg zu geben; Jesse hält sich den blässlichen Jungen
bloß wie ein Schoßhündchen. Eine brisante Konstellation, die
geradezu nach enttäuschter Liebe und zurückgewiesenen Gefühlen
schreit.
Was dabei erstaunt, ist die ätherische Bedeutsamkeit,
die Dominik seinem Film hat angedeihen lassen; schließlich verbindet man
den Namen Jesse James zuallererst mit B-Western und romantisch-naiver Heldenfolklore.
"Die Ermordung des Jesse James" führt sich wie ein Alterswerk
auf, schwermütig, wahnsinnig manieriert und mit einem Hang zum Überweltlichen.
Dominik will das ureigene Terrence-Malick-Feeling ins Western-Genre einführen.
Umweltgeräusche und Tierstimmen nehmen einen prominenten Platz auf der
Tonspur ein, als sei der Western bereits in einen vorweltlichen Naturzustand
übergegangen: befreit vom Ballast der Geschichte. Hier hat sogar der James-Mythos
seine Bedeutung verloren.
Da drängt sich eine andere Lesart natürlich
geradezu auf. Man kann "Die Ermordung des Jesse James" auch als Replik
auf den grassierenden Celebrity-Kult unserer Zeit verstehen. So wird die Entscheidung
für Brad Pitt in der Rolle des Jesse James zu einem wahren Glücksfall
für Dominiks Film. In seiner Darstellung verschmelzen Star-Persona und
Western-Ikone zu einer Art Super-Prominenz. Jesses Müdigkeit ist auch die
Pitts; aus der leidenden Körperhaltung spricht die ganze blasierte Gleichgültigkeit
gegenüber dem Informationsbedarf einer glamoursüchtigen Medienöffentlichkeit.
Gönnerhaft hält er sein Publikum mit großen Gesten bei Laune:
unnahbar, blendend aussehend und unserer profanen Welt überdrüssig.
Wohl wissend, dass wir noch die kleinste Regung entzückt für die Nachwelt
festhalten werden. Im Grunde verachtet er uns, kann ohne unsere Blicke aber
nicht sein.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
THE ASSASSINATION
OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD, USA 2006 - Regie, Buch: Andrew Dominik.
Nach dem Roman von Robert
Hansen. Kamera: Roger Deakins. Musik: Nick Cave, Warren Ellis. Mit: Brad
Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Mary-Louise Parker, Zooey Deschanel, Sam Rockwell.
Universal, 156 Minuten.
Start(D): 25.10.2007
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