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Die
Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
Ein Western mit
entzündeten Augen
Der Outlaw Jesse James ist, wie
eine Reihe legendärer Gestalten des Westens, ein Produkt des amerikanischen
Bürgerkriegs. Seine Methoden erlernte er bei Quantrills Guerillatruppen,
und den Status eines Volkshelden - der die üblen Yankee-Kapitalisten trifft,
wo es ihnen am meisten weh tut: beim Geld - erlangte er bei den Verlierern des
Krieges und den anschließenden ökonomischen und politischen Modernisierungen.
Das macht die sonderbare Mischung im Mythos dieser negativen Helden aus: die
verzweifelte, pathologische Gewalt der Männer, die im Krieg zu barbarischen
Kampfmaschinen wurden, und die tragische, konservative Funktion des Rebellen
gegen die Profitsucht und die Technologie. Im Blick der Legende verteidigten
Männer wie Jesse James das alte Amerika, den Traum der Autonomie, gegen
das neue, in dem das Land der Farmer und die Arbeit ihren Wert verloren gegenüber
der Macht der Banken und der Eisenbahnunternehmen. Und in dem die alten Kämpfe
Mann gegen Mann ersetzt wurden durch die korrupte Macht gekaufter Gesetzeshüter
und der Pinkerton-Detektive. Der Kampf zwischen dem agrarischen Westen und dem
industriellen Osten, eine Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln,
musste den Outlaw als populistischen Mythos hervorbringen - als Antwort auf
eine innere Zerrissenheit, die sich politisch nicht organisieren konnte, weil
alle Gruppen, die sich dem Zugriff des Kapitals hätten widersetzen können,
untereinander blutig zerstritten waren. Jesse James ist ein Symptom der Wirtschaftsgeschichte
so sehr wie eine verzweifelte Männerlegende.
Daher war Jesse James in der Legende
gut aufgehoben. Ungeachtet der weniger rühmlichen Art seiner Taten. (Schon
beim ersten Banküberfall von James’ Gang, im Februar 1866, wird ein unbeteiligter
Passant erschossen. Und die weitere kriminelle Karriere der James-Brüder
und ihrer Leute ist voll von solch blutigen Kollateralschäden, auch wenn
die Presse eher der geschickten Selbstverklärung als "Robin Hood"
folgte und es als Akt hehrer "Ritterlichkeit" interpretierte, wenn
bei einem Überfall der James-Gang nur Verletzte und keine Toten zu beklagen
waren). Und ungeachtet der politischen Bedeutung der Gangs, die immer alles
zugleich waren: schiere Kriminelle, reaktionäre Terroristen, die die Niederlage
des Bürgerkriegs nicht wahrhaben wollten, und verzweifelte Modernisierungsverlierer
im Überlebenskampf. Zur Legende entpolitisiert wurden die Outlaws in den
Folk Songs, im Theater, in Erastus Beadles ungemein populären Dime Novels
und schließlich im Film. Die ersten Jesse James-Filme aus den Jahren um
1920 nennen Jesse James jr., den Sohn des Outlaw, als "Berater": Das
Verbrechen wie die Manufaktur der Legende war bei den James’ - sehr amerikanisch
- eine Familienangelegenheit. Schließlich erfüllt sich die Volkshelden-Legende
auch beim Ende des Outlaw in einer Szene, die - wie man so sagt - archetypisch ist. Um
die ausgesetzte Belohnung zu kassieren, schießt Robert Ford, ein Mitglied
der Gang, Jesse James am 3. April 1882 in den Rücken, als der unter dem
Namen Howard mit Frau und Kindern bürgerlich lebende Held ein Bild an der
Wand gerade hängt.
Nach reichlich 30 Filmen, darunter
ein paar Western-Klassiker von Henry King, Fritz Lang, Samuel Fuller und Nicholas
Ray, wird im neuesten genau dieses Bild umkreist: Die Vorgeschichte zeigt einen
Jesse James, der immer einsamer, neurotischer und misstrauischer wird und dessen
Gewalt sich immer mehr nach innen richtet, gegen vermeintliche oder tatsächliche
Verräter. Und sie zeigt einen Robert Ford, der von den Seinen immer nur
gehänselt wird und sein Heil darin sieht, so zu werden wie Jesse James.
Die Nachgeschichte zeigt einen Robert Ford, der sich erst als Helden feiern
lässt und seinen Mord auf der Bühne wiederholt, und der dann als Feigling
und Verräter geächtet und schließlich in seiner Kneipe erschossen
wird.
Die Ermordung des Jesse James
durch den Feigling Robert Ford von Andrew Dominik hat mit einem herkömmlichen Western nicht
viel zu tun. Nicht einmal die Hüte und die Art, einen Revolvergurt zu tragen,
stimmen mit den Kinobildern überein. Schießereien sind keine schnelle,
rituelle Angelegenheit, sondern quälendes, langwieriges Töten; die
meisten Menschen werden hier ohnehin im Zustand der Hilflosigkeit ermordet oder
in den Rücken geschossen. Der klassische Western zeigte Männer mit
Werten in einer Welt, die sich durch diese Werte verändern ließ;
der Spätwestern zeigte Männer mit Werten in einer Welt, die über
diese Werte nur noch lacht und daher dem heroischen oder wenigstens autarken
Mann einzig den Weg in den eigenen Tod lässt. Ein Film wie Die Ermordung des Jesse James
durch den Feigling Robert Ford zeigt, dass es diese Werte nicht gegeben hat. Nur Männer,
die immer noch wahnsinniger und mörderischer werden: Jesse James ist ein
kranker Mann, der von einem kranken Jungen erschossen wird, der wiederum von
einem noch kränkeren Alten erschossen wird. Jeder will etwas werden, "angesehen"
und reich, und jeder verstärkt das Desaster. Und während sie sich
und andere ruinieren, versuchen diese Menschen an der Grenze zwischen Wildnis
und Bürgertum, Worte zu finden für ihr Elend und für ihre Sehnsucht
danach, die Hölle zu verlassen, die sie selber angerichtet haben. Dabei
erscheinen sie geschwätzig und hilflos; der Mythos des Western wird hier
nicht zuletzt in der Sprache zerstört. Und der Film ist dort am genauesten,
wo er zeigt, dass er sich seinen Figuren nicht wirklich annähern kann,
und dass er dem historischen so wenig wie dem psychischen Grund ihrer Handlungen
auf die Spur kommt. Er sieht einem Helden zu, der sich selber zerstört,
und einem Jungen, der bei dem Versuch, ein Vorbild zu finden, zum Mörder
des Helden wird. Die Welt dieser Menschen ist furchtbar eng geworden, und wenn
sich der Blick weitet auf dieses schöne, weite Land, dann nur um die Verlorenheit
der Menschen darin zu zeigen. Für sie ist hier keine Heimat zu finden.
ist auch ein Film über zwei
Schauspieler: Brad Pitt, der wahrhaft Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford beeindruckend den Mann spielt,
der es müde ist, angesehen, abgebildet, beneidet und verfolgt zu werden,
und Casey Affleck, der brilliert in der Rolle eines jungen Mannes ohne Eigenschaften,
der - wie Werner Herzogs Kaspar Hauser - sein will, wie einmal ein anderer gewesen ist. Dieser Film
befragt den Western nicht auf seine historischen und mythischen Wurzeln hin,
nicht auf seine sozialen und psychologischen Konstruktionen von Raum, Zeit und
Subjekt, sondern er fragt nach etwas Radikalerem: nach dem Bild. Jesse James
sieht die Welt von Anbeginn des Films an durch gerötete, entzündete
Augen, sein Bewunderer und Mörder hat, wenn er denn einen anderen anzusehen
wagt, den tückisch-durchlässigen Blick aus unterwürfigem Hass:
Feuer und Wasser. Die Theateraufführungen, in denen Robert Ford sich selber
und sein Bruder und Komplize den Jesse James geben, werden zur Spiegelung absurder
Identifikationsprozesse. Während Ford, vom Publikum attackiert, immer häufiger
aus der Rolle fällt, führt das revivre des Opfers seinen Bruder schließlich
in den Selbstmord. Es sind die Bilder, die zurückschlagen; nicht nur die
Legende ist falsch, auch ihre Produktion erweist sich als gefährlicher
Fehlschlag.
Jesse James wurde nicht ermordet.
Er ließ sich töten, weil er sich selbst nicht mehr ertrug. Und Robert
Ford war kein Feigling. Sondern einer, der kein richtiges Leben im falschen
finden konnte. Story und History kommen kaum vor in diesem Film, und doch zeichnet
er ein radikales Bild von Amerika, in dem es nichts zu glauben, nichts zu sehen,
nichts zu handeln gibt. Eine todessehnsüchtige Lähmung hat sich über
das verheißene Land gelegt. Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling
Robert Ford ist ein Western, der nichts mehr erzählt; zugleich Dokument
und Modell von Selbstvernichtung. Es wird jetzt wirklich Zeit für das Ende
der Ära Bush.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in:freitag
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
THE ASSASSINATION
OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD, USA 2006 - Regie, Buch: Andrew Dominik.
Nach dem Roman von Robert
Hansen. Kamera: Roger Deakins. Musik: Nick Cave, Warren Ellis. Mit: Brad
Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Mary-Louise Parker, Zooey Deschanel, Sam Rockwell.
Universal, 156 Minuten.
Start(D): 25.10.2007
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