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Esperanza
Zu Sylvester nach Dänemark? Warum
nicht. Nur empfiehlt sich die rechtzeitige Anreise. Andernfalls kann es einem
so ergehen wie jenen neun Passagieren, die ihre Fähre von Rostock nach
Kopenhagen verpasst haben und sich in ihrer Not auf den angejahrten Vergnügungsdampfer
„Esperanza“ locken lassen. Der Name bedeutet „Hoffnung“ auf Spanisch. An Bord
stellt sich das versammelte Hoffen, Glauben, Lieben dann als ein ganzes Arsenal
an gebastelten Gefühlen und Lügengebäuden heraus. Die Selbstkonstruktionen
krachen erst am Ende restlos in sich zusammen und natürlich wird dieses
Narrenschiff erst anlegen, wenn Sylvester vorbei ist, sich unverhoffte Allianzen
und neue Paare gebildet haben und die alten, versenkten und verdrängten
Probleme zur Sprache gekommen sind.
„Esperanza“ ist der Spielfilm-Erstling
des Ungarn Zsolt Bács, der deutschen Fernsehzuschauern durch diverse
TV-Rollen bekannt vorkommen könnte. Die Rolle des cholerischen Schiffskochs
Béla hat sich Bács selbst auf den Leib geschrieben. Bemühter
Running Gag des Films sind Bélas ausgefallene Zutaten fürs Sylvestermenü,
darunter Tränen, Maschinenöl und Mövendreck. Komplettiert wird
die Schiffsmannschaft von einem quirligen Smutje, einem stummen Maschinisten
und dem unsichtbaren Kapitän, der für Passagiere und Publikum nur
als brummbärige Stimme Ben Beckers aus dem Off ertönt. Im folgenreichen
Spiel mit dem Schicksal der Anwesenden halten Käpt´n und Crew alle
Fäden in der Hand.
Am glücklichen Ausgang der tragikomischen
Versuchsanordnung kommt daher wenig Zweifel auf: Die suizidal veranlagte Konstanze
wird an Bord den Mann ihres Lebens finden, die zugeknöpfte Staatsanwältin
Jasmin den Vamp in sich entdecken, der Möchtegern-Mörder Henry wird
seine Pistole ins Meer schleudern und der alternde Maler Albert seinen Frieden
finden.
Das „Kammerspiel“-Rezept – man stecke
eine Schar verirrter Seelen in eine Nussschale, die ihr Teilzeitgefängnis
geläutert wieder verlassen – ist hinlänglich bekannt und funktioniert
vor allem dort, wo sich der Zuschauer auf starke Figuren und Konflikte verlassen
kann, als klassische Beispiele seien John Fords Postkutschendrama „Stagecoach“
und Alfred Hitchcocks „Lifeboat“ genannt. In beiden Fällen vergisst man
die lenkenden Hände der Autoren und Regisseure schnell, während im
stampfenden Herzen der Esperanza ein „Deus ex machina“ sitzt, der uns permanent
an die Fabriziertheit der Geschehnisse erinnert: Der Maschinist namens King
Kong schraubt in seinen Arbeitspausen an Taschenuhren, die als aufdringlich-symbolische
Platzhalter für die neun Passagiere fungieren.
Vernehmlich tickt die Mechanik der Story:
Wie so häufig, trägt auch hier das prätentiöse, heillos
überladene Drehbuch die Hauptschuld an der Havarie der „Esperanza“. Das
Gros der Geschichte wirkt wie aus Filmen von Fellini, Kusturica, Kaurismäki
und Jeunet importiert. Alle Figuren werden uns via Kapitänsstimme bereits
zu Filmbeginn vorgestellt, überflüssigerweise, denn Charaktere entfalten
sich am eindrücklichsten mit der Handlung. Doch eben die tuckert in gemütlicher
Reisegeschwindigkeit dahin. Bernhard Wagners stimmungsvolle Kamera und Férenc
Snetbergers muntere Gitarrenmusik retten an Atmosphäre, was zu retten ist.
Das Star-Aufgebot, innerhalb dem unter
anderen Anna Thalbach, Boris Aljinovic, Frank Giering, Mavie Hörbiger und
Alt-Indianer Gojko Mitic ihr Bestes geben, grenzt einerseits an Verschwendung,
sorgt andererseits dann doch dafür, dass man bis zum Nachspann durchhält.
Auch im Kino stirbt die Hoffnung zuletzt.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: film-Dienst
Esperanza
Deutschland 2006 - Regie: Zsolt Bács - Darsteller: Boris Aljinovic, Anna Thalbach, Frank Giering, Mavie Hörbinger, Proschat Madani, Luc Feit, Andreas Hoppe, Gojko Mitic, Zsolt Bács, Konstanze Proebster, Agnieszka Migala - FSK: ab 12 - Länge: 89 min. - Start: 29.5.2008
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