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Es
war einmal in Amerika
Bedeutungsschwanger
und kühn beginnt der Film: Ein Telefonklingeln, das minutenlang nicht enden
will, das Bilder verschiedener Zeit-Ebenen akustisch überdauert, und damit
eine subjektive Gegenwart – die von Noodles (Robert De Niro) – impliziert und
die gesamte Film-Erzählung determiniert. Noodles in der Opiumhöhle:
Ein schöner oder schwerer Traum, aus dem er nicht erwachen will, obwohl
der „Wecker“ lange schon klingelt. Das Klingeln als ein Ruf aus einer (welcher?)
Gegenwart in die Zeit(en), die Geschichte hinein, das gleichzeitig eine Verschmelzung
von Zeit bewirkt (Das Vergangene, aber auch das Zukünftige ist JETZT) und
eine Ermahnung sein kann, zur Rekapitulation und Bestandsaufnahme. Ein Sittengemälde
als filmisches Großprojekt. Ein Opener als großes künstlerisches
Versprechen - ich sag’ es gleich –, das nicht eingelöst wird, „Es war einmal
in Amerika“ ist kleinkariertes Kintopp in Größe XXL.
Anhand
dreier Zeitausschnitte erzählt Leone sein amerikanisches Märchen von
einer Bande krimineller Jungen in New York (1922/23), die durch Schutzgelderpressungen,
gewaltsame Ausschaltung von Konkurrenten und durch den Schwarzhandel von Alkohol
während der Prohibitionszeit zu schnellem Reichtum und Macht gelangt, und
1932/1933, erwachsen geworden, vor der Frage steht, im großen Stil ins
mafiöse Geschäft einzusteigen: Organisiertes Verbrechen, Korruption,
Politik. Um Max (James Woods, als Kind: Rusty Jakobs) von einem halsbrecherischen
Banküberfall abzuhalten, denunziert Noodles seine Freunde. Doch alle Gangmitglieder,
außer ihm, der bald untertaucht, werden, statt verhaftet, bei einer Polizeiaktion
erschossen. 1968: Ein Brief lockt Noodles an den alten Schauplatz zurück.
Er trifft den totgeglaubten Freund wieder: Max hat ein Arrangement mit der Polizei,
eine neue Identität bekommen, ist inzwischen Staatssekretär und hat
Deborah (Elizabeth McGovern, als Kind: Jennifer Conelly), die Jugendliebe von
Noodles, geheiratet. Der Verräter, der sich die ganzen Jahre über
Vorwürfe gemacht hat, ist in Wahrheit der Verratene.
Zweifellos atmet Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ den reinen Geist des Kinos, in seiner unverhohlen nostalgischen, hollywoodesken Künstlichkeit – größtenteils in den römischen „Cinecitta-Studios“ gedreht – wie in seinem zurückgelehnten Umgang mit Zeit, mit einer „Geschichte“, die in seinem Epos zu magischer Unvergänglichkeit gelangen soll: Ein Märchen, dessen mythischer Charakter seine authentischen Anteile zur Nebensache macht. Die Geschichte von Noodles und seinen Freunden könnte zu gleichen Anteilen dessen subjektive Erinnerung, der Mythos eines lange vergangenen New York, oder eben gleich eine Hommage an die Gangsterfilme der Schwarzen Serie, wie „Scarface“ von Howard Hawks (USA, 1932), sein, die sich von der Nachtseite, der der schnellen Sieger und Verlierer her mit den Verheißungen des „American Dream“ und dem Scheitern daran beschäftigten.
Zehn Minuten
Standing Ovations erntete „Es war einmal in Amerika“ 1984 in Cannes. Ein vielleicht
berechtigter Erfolg des Films angesichts seines Stils. Aber so beeindruckend
der Film, der seitdem als Meisterwerk der Filmgeschichte gilt, erzählen
kann, so durchwachsen ist er auch von einer großen inhaltlichen Unhaltbarkeit,
nämlich seinem Frauenbild.
„Es war
einmal in Amerika“ ist ein Männerfilm, was ihn nicht besonders von anderen
Mafia-Filmen wie „Der Pate“, unterscheidet und damit zu tun hat, dass Mafia-Geschichte hauptsächlich
von Männern geschrieben wurde. Der Film handelt aber nicht nur von Männern
(und deren fragwürdigem Handeln), er wird auch aus einer rein männlichen
Perspektive erzählt. Diese Perspektive ist insofern leider nicht nur eine
typisch männliche, indem sie empathisch versagt (u.a. weibliche Problemkonstellationen
völlig ignoriert), schlimmer als das: Die hier vorliegende männliche
Perspektive auf die Frau ist geprägt von latenter Aggressivität und
Hass, und das Frauenbild in „Es war einmal in Amerika“ ist durchweg ein negatives.
Drei zentrale
Frauengestalten sind konstitutives Beiwerk einer verklärenden Männlichkeitslegende:
Die geborene Hure Peggy, die Heilige auf Abwegen, Deborah, und die „Verrückte“,
Carol. (Eine vierte Frau, Eve, ist eher eine Randfigur des Films)
Peggy hat
schon als Pubertierende (Julie Cohen) begriffen, dass sie aus ihrem Körper
Kapital schlagen kann. Sie lässt jeden Jungen oder Mann an sich heran,
wenn er ihr dafür ein „Russisches Törtchen mit Sahne“ mitbringt. So
beginnt die Karriere einer Hure. Nie wird sie dabei als verletzlich oder als
Verletzte gezeigt, auch nicht, als sie in einem Verschlag auf dem Dach einen
Polizisten bedient und unmittelbar im Anschluss Noodles und Max initiiert. (Der
Beginn einer echten Männerfreundschaft: auch die erste Frau wird geteilt...)
Kein Ekel, kein Problem. Nicht bei den Knaben, nicht bei ihr: Eine selbstverständliche
Übereinkunft: Die Jungs brauchen es, sie ist dienstbar und findet es schön
- solange sie dafür bezahlt wird.
Als Noodles
Jahre später aus dem Knast kommt, und er bei der Begrüßungsparty
Peggy (jetzt: Amy Rider) zunächst nicht erkennt, begrüßt sie
ihn mit einem tiefen Zungenkuss, ein Brüller: klar, das kann ja nur die
gute alte professionelle Peggy sein, die an nichts anderes denken kann als an
Sex, aber vor allem an „Russische Törtchen“, daher sie ist füllig
geworden: „Inzwischen werde ich für jedes Pfund bezahlt.“ Laszives Lachen.
Ein Vollweib, das selbstverständlich von den Kumpels nicht nur angegrabscht
werden darf. De Niro hat noch was unter Männern zu besprechen und lässt
sie stehen. Ein Augenblick, in dem die Kamera zu lange auf ihr verweilt und
der entlarvend ist: Ratlosigkeit bei Amy Ryder, wie weiter zu spielen sei, wenn
ihre Rolle für sie keine Persönlichkeit vorsieht, die über einen
schlüpfrigen Herrenwitz hinausgeht.
Anders
Deborah. Viel Zeit nimmt sich Leone für das Porträt einer kapriziösen
Schönheit (Jennifer Conelly), die in einem Lagerraum den Balletttanz übt,
weil sie irgendwann einmal aus all dem Milieu heraus will. Der junge Noodles
(Scott Tiler) beobachtet durch ein Loch in der Wand, wie sie tanzt und sich
auszieht. Er wird von ihr entdeckt und herbeizitiert. Er ist ihr symphatisch,
doch leider nichts für sie, solange er ein „kleiner Gangster“ ist. Jahre
später: Inzwischen ist er ein großer Gangster, der ihr (Elizabeth
McGovern) die Welt zu Füßen legt. Ein riesiges Restaurant mit dutzenden
für zwei gedeckte Tische zur freien Auswahl allein für sie, ein Streichorchester,
das „ihr Lied“ spielt, ein Dutzend Kellner im Frack hat er für sie allein
gemietet, sie tanzen, er wirbt um sie, doch sie hat sich etwas anderes in den
Kopf gesetzt, als seine Frau zu sein: Sie will nach Hollywood, ein Star werden.
„Du bist der einzige, der mir je etwas bedeutet hat... aber du würdest
mich in ein Zimmer sperren und die Tür abschließen.“ – „Ja, das kann
schon sein...“ – „Ja, und es würde mir nicht einmal was ausmachen“ – „Also?“
– „Also kann ich nur dahin gehen, wo ich schon immer hinwollte, ganz nach oben“
[...] „Ich gehe morgen nach Hollywood.“
Verstehe
einer die Frauen! Wider besseres Wissen, gegen ihren weiblichen Instinkt, gegen
ihre natürliche Rolle an der Seite eines (des ihr bestimmten) Mannes, entscheidet
sich Deborah für eine Karriere, die nach dem hier intendierten (und sicherlich
auch damals verbreiteten) Rollenverständnis eine Beziehung oder gar Ehe
verunmöglicht. Ihre Entwicklung ist der von Peggy in Wahrheit sehr ähnlich:
„Ich habe Fortschritte gemacht, seitdem du mich beim Tanzen beobachtet hast.
Ich tanze jeden Abend im Palast-Theater. Jetzt kannst du spannen kommen, wenn
du magst..“ sagt sie zu Noodles etwas früher. Sie prostituiert sich zwar
also ebenso wie Peggy, nur auf höherem Niveau, und raffinierter: Sie reizt
Männer, ohne sich ihnen hinzugeben. Sie will sie ausnutzen. Unverzeihlich!
Auf der
Rückbank im gemieteten Wagen mit Chauffeur stellt sie ihren Charakter direkt
unter Beweis: Hat sie doch gerade eben Noodles Heiratsantrag abgelehnt, fängt
sie nun an, den tief Enttäuschten zu küssen. Als er mehr möchte,
blockt sie ab. Kein Wunder, dass einem Mann in dieser Situation die Sicherungen
durchbrennen können. Oder? Die brutale Vergewaltigung auf dem Rücksitz
spart nicht an Drastik: Er, der sich jahrzehntelang nach dieser Frau gesehnt
hat, und sich nun mit verzweifelter Gewalt nimmt, was ihm immer versprochen
wurde und er nun doch nicht bekommen soll, verliert angesichts ihrer Rücksichtslosigkeit
seinen letzten Respekt ihr gegenüber. Sie - im Gegensatz zu Peggy eine
sensible Frau - kann noch Liebe von einer Vergewaltigung unterscheiden und bittet,
er möge aufhören, schreit, und wehrt sich – etwas halbherzig, denn
mit ihren langen Fingernägeln könnte sie ihm schon wehtun – ohne Erfolg.
(Ein gruseliger Gedanke: Vielleicht will sie es ja auch?) Erst als De Niro ihr
das Kleid vom Leib reißt und beginnt, sie zum zweiten Mal zu penetrieren,
stoppt der Wagen, der Fahrer öffnet den Verschlag und beendet so ihre Tortur.
Warum erst jetzt? Reichte nicht schon das erste Mal? Oder (gruseliger Gedanke)
fand der Chauffeur eine einzige Vergewaltigung noch im Rahmen des Statthaften?
Danach eine lange Einstellung auf De Niro am Meer: Das Leid des einsamen, abgewiesenen
Mannes. Aber wer leidet mehr?
Diese Szene,
wohl die umstrittenste des ganzen Films, trägt in sich eine unschöne
Ambiguität. Dass eine Vergewaltigung eine Verletzung von Würde und
Körper bedeutet, und dass sie deshalb unmoralisch ist, daran lässt
Leone keinen Zweifel.
Unterschwellig aber bleibt der Aspekt des Verstehbaren
erhalten, Noodles hat ja einen irgendwie nachvollziehbaren Grund für sein
Verhalten, der zwar nicht als Rechtfertigung dienen darf - so weit lehnt sich
Leone nicht aus dem Fenster - aber der auch nicht wirklich diskreditiert wird. Diese
unterschwellige, nie wirklich gebrochene Nachvollziehbarkeit des Motivs aber
macht die Szene zu einer der unhaltbarsten der ganzen Filmgeschichte. Die lange
gefilmte Ausführlichkeit von Gewaltanwendung und Gewalterleidung tendiert
deshalb in die falsche Richtung, weil das Motiv des Mannes zu klar, die Motivation
der Frau aber unverständlich und unhaltbar bleibt, weil die subjektive
Perspektive des Mannes dadurch im Vordergrund steht: Sie hat es nicht anders
verdient. Noodles will nicht nur mit ihr schlafen, er will sie auch leiden sehen,
weil sie ihn leiden macht. Dieser unhinterfragte Standpunkt der Identifikationsfigur
Noodles macht die Szene unerträglich. Was auf der einen Seite nach Qual
aussieht, wirkt auf der anderen Seite wie Genugtuung und Genuss am Quälen.
So drängt sich vor die Anklage von Gewalt ein ekliger Geschmack von einem
Sich Weiden an einer Gewaltausübung als Mittel zur Rache.
Dass dieser
Akt für Noodles selbst nicht viel mehr ist als ein Kavaliersdelikt, bestätigt
sich schließlich gleich am nächsten Morgen, als er – offenbar reuelos
und als wäre nichts geschehen - am Zug steht: Als Deborah, aus ihrem Abteil,
ihn entdeckt, lässt sie das Rollo herunter. Sie kann seinem Blick nicht
standhalten, offenbar schuldbewusst. Auch hier keine Zweifel des Films an seiner
Aussage, keine Brechung, sondern reine Sanktion des männlichen Blicks.
Ihr Verhalten bestätigt: Er hat eigentlich nichts falsch gemacht. Im Gegensatz
zu ihr, die – fehlgeleitet und in ihrem dummen Eigensinn – alles falsch gemacht
hat.
Als beide
sich noch einmal – alt geworden – begegnen, erweist sich seine Tat endgültig
und nachträglich als angemessen, hat sie doch ihn die ganze Zeit mit seinem
besten Freund Max betrogen, hat sie doch den Luxus der Liebe vorgezogen. Sie
hatte es wirklich nicht anders verdient. Doch welche Frau in „Es war einmal
in Amerika“ hat es anders verdient?
Die „Verrückte“
Carol (Tuesday Weld), Angestellte bei einem Juwelier, ist permanent „notgeil“.
Als ein dicklicher Gangster sie einmal bei Gelegenheit „ausprobiert“ hat, ist
sie von seiner männlichen Art so beeindruckt gewesen, dass sie ihm bereitwillig
das Versteck wertvoller Diamanten verraten hat. Die Bande von Noodles und Max
erhält den Auftrag, den Juwelierladen zu überfallen. Carol wird durch
die Brutalität des Überfalls sexuell erregt – einem Angestellten zertrümmern
sie fast den Schädel -, so sehr, dass sie Noodles anfleht: „Schlag mich,
schlag mich, ich will doch nur wissen, dass es wahr ist, wirklich wahr!“ „Tu
ihr doch den Gefallen, und dann steck ihn ihr rein!“ ruft der Kumpel Jim, und
Noodles schlägt ihr hart ins Gesicht, wirft sie zu Boden, was sie aber
nur noch mehr anspornt „Ihr Schweine“ zu rufen, „Stopf ihr endlich das Maul“
ruft Max, der dabei ist, den Safe zu auszuräumen, bevor er mit der - erwünschten
- Vergewaltigung beginnt. Dass Carol dann während des Vollzugs hervorstößt:
„Nein, nein, du gemeines Schwein!“ bedeutet offenbar nicht, dass es ihr nicht
gefällt. Ihr anhaltendes lüsternes Stöhnen, selbst als Noodles
und seine Kumpels schon über alle Berge sind, belegt das Gegenteil: Sie
kann nie genug kriegen...
In aller
Eindeutigkeit beschönigt gerade diese Szene die Vermischung von Sex, Gewalt
und Erniedrigung der Frau durch den Mann, und bestätigt auf gefährlichste
und unverantwortliche Weise die Lieblingsentschuldigung von Vergewaltigern:
„Sie wollen es doch alle, gerade wenn sie „Nein“ sagen.“ Auch diese Frauenfigur
ist nicht nur eine harmlose, dumme Männerfantasie, auch sie ist mehr als
das: Denn auch sie hat es nicht anders verdient, weil sie es geradezu will,
und weil sie pervers, niedrig und verkommen ist. Deshalb ist auch sie mehr ein
Objekt des Hasses als der Begierde. – Standing Ovations....
Ganz ins
Hochnotpeinliche rutscht der Film bei Carols zweitem Auftritt. Damit Carol den
bei dem Überfall maskierten „Noodles“ als ihren „Sexualpartner“ identifizieren
kann, tritt spaßeshalber die ganze fünfköpfige Gang an und öffnet
die Hosenschlitze, um die „Geile aus dem Juwelier-Laden“, von der bekannt ist,
dass sie täglich zehn Männer vor den Augen ihres impotenten Gatten
verbraucht, zu testen. Am Schwanz könne sie ihn ja wohl erkennen. Dass
sie den aber während des rabiat vollzogenen Akts buchstäblich kein
mal zu Gesicht bekommen hat, spielt für diese Szene gar keine Rolle. Wichtiger
war Leone die Zote: Langsam und lasziv schreitet sie die Schwänze ab und
proklamiert dabei ihre allgemeine Verfügbarkeit („Du darfst du zu mir sagen“).
Dies ist Kino, unterste Schublade, eine Füllszene, ein Warm Up aus einem
billigen Siebziger-Jahre-Porno, nicht mehr. Irgendwie hat Leone aber wieder
die Kurve zum „Epos“, zur „Kunst“ gekriegt, denn als es eigentlich langsam hardcoremäßig
zur Sache gehen müsste und Carol einen flotten Dreier anmeldet, versteht
Noodles plötzlich keinen Spaß mehr: „Nein, das liegt mir nicht. Und
wenn mir zufällig dabei die Hand ausrutscht, kommst du noch auf den Geschmack...“
Offenbar leidet er unter Amnesie, oder hatte er keinen Spaß daran, sie
zu verprügeln, als er sie vergewaltigte? So in etwa funktioniert miesestes,
verlogenstes Spießerverhalten. Dies ist der Moment, in dem Noodles, die
Hauptfigur, im Film beim Publikum damals in Cannes seine letzten Symphatien
hätte verscherzen müssen, doch: Standing Ovations...
Einer durch
männliche Brutalität geil werdenden Frau steht natürlich auch
das in „Es war einmal in Amerika“ geradezu gefeierte Bild eines Männlichkeitsideals
gegenüber, dessen Grundwerte Härte und Rücksichtslosigkeit, besonders
gegenüber Frauen, und Loyalität, doch nur gegenüber Männern,
sind. Es scheint kein Zufall zu sein, dass Männlichkeit da ihre höchste
Bestimmung und Vollendung erfährt, wo sie krimininell und martialisch ist.
Als roter Faden dabei die Dauerverwechslung von Phallus und Pistole. Schon in
einer der ersten Szenen des Films öffnet ein Gangster mit dem Lauf seiner
Pistole die Bluse einer arglosen Kinobesucherin, lässt die Mündung
mit der Brustwarze spielen: Sie atmet schneller, schwer zu unterscheiden, ob
aus Erregung oder Todesangst. Danach wird der Lauf ihrem Freund an die Nase
gedrückt: Eine Demonstration, wo der Hammer hängt...
Derselbe
Pistolen-Mann in einer Folterszene kurz zuvor: Er schiebt den Pistolenlauf in
den Mund eines aus allen Poren blutenden Opfers: Eine Penetration.
Für
Leone ist der sexuelle Akt zwischen Mann und Frau männliche Gewaltausübung,
untrennbar von Angst und Unterdrückung auf der weiblichen, Aggression und
Macht auf der männlichen Seite. Das Schlimme dabei: die Frauen in seinen
Filmen sehen das genauso und finden das meistens okay.
Als Carol
Max’s Schwanz für Noodles Schwanz hält, kommentiert Noodles: „Je länger
man zusammen ist, desto ähnlicher wird man sich...“ Diese Äußerung
verrät mehr über den verborgenen Charakter dieser Männerfreundschaft,
als es den ersten Anschein hat. In Wirklichkeit sind Noodles und Max nämlich
die Liebenden, die „zusammen sind“ und das gar nicht so platonisch, wie es zunächst
wirkt. Gerade die Anspielung auf den Penis, auf dessen Angleichung und Ähnlichkeit,
ist eine unterschwellige Anspielung auf eine sexuelle Nähe beider Genitalien
und deren „Besitzer“, eine Phantasie von einem auch sexuellen „Zusammensein“.
Das Motiv
der den beiden Freunden gemeinsam verfügbaren Frau kehrt bei allen Frauenfiguren
in „Es war einmal in Amerika“ wieder, auch bei Deborah, die sich offenbar zwischen
den Freunden Noodles und Max kaum entscheiden kann, nur am Ende den Sieger,
den Erfolgreichen und Skrupelloseren unter ihnen, gewählt hat. Echte Männerfreunde
teilen alles, auch die Frauen, auch ihr „erstes Mal“. Die sexuelle Initiation
von Max und Noodles findet nicht zufällig zeitlich unmittelbar nacheinander
und im Beisein des anderen statt. Sie ist ein Ersatz für den geheimen und
verbotenen Wunsch, es miteinander zu treiben. Max kann immerhin noch das Sperma
penetrieren, welches Noodles vorher in Peggys Vagina hinterlassen hat. Die Frau
als Bindeglied der Glieder, wenn man so will.
Auf verdrängte
homoerotische Phantasien weist hin: Die gründliche und konsequente Diffamierung
sämtlicher Frauenfiguren, die entweder verrückt, lüstern und
unmoralisch (Peggie, Carol) sind, (also für alle verfügbar, deshalb
unwert), oder rein, unnahbar und eigensinnig (Deborah) (also nicht verfügbar,
deshalb bedrohlich), Eigenschaften, die nur die Verachtung oder den Hass (die
uneingestandene Angst) von Noodles auf sich ziehen können. Dem gegenüber
steht eine über lange Zeit intakte und verlässliche und Jungen- und
Männerfreundschaft, die idealisiert wird und durch ihre Attribute sexuell
aufgeladen ist: Die symbolische Gleichsetzung von Pistole und Phallus, die Verwechslung
von Gewalt und Potenz ist nicht nur eine Überhöhung selbstherrlicher
Männlichkeit und männlich-physischer Dominanz, in ihrer Idealisierung
und Ästhetisierung ist sie auch das Indiz einer Hinwendung des Mannes zu
sich selbst, und darin homoerotisch. Das Wohlfühlen, die Geborgenheit der
Freunde im rein männlichen Freundeskreis wird im Film immer wieder gefeiert.
Nur eine Frau (Carol, die sich in die Gruppe drängt) kann die männliche
Verbundenheit gefährden. Die Ausrichtung auf die Stärke, Integrität
aber auch körperliche Allmacht (die Pistole als ergänzendes Körperteil)
des Mannes ist ein wichtiger (paranoider) Abgrenzungsversuch zur Frau und zur
weiblichen Sexualität, die unberechenbar, verschlingend, gefährlich
ist. Wahre Liebe kann nur unter Männern funktionieren (Wenn es auch natürlich
im Film keinen homoerotischen Akt gibt, so doch das verborgene männliche
Interesse an der Qualität des männlichen Geschlechtsorgans: Siehe
den „Schwanz-Contest“). Deshalb ist der wahre Verrat auch der von Max an Noodles,
weil Max Noodles mit Deborah hintergeht. Nicht umgekehrt. Frauen können
sowieso nicht treu sein, wie uns der Film beibringt. Die Frau wird, sobald ihr
wahres Wesen einmal erkannt ist, entweder mit Gewalt abgestraft oder bestenfalls
zum Gebrauchsgegenstand gemacht. Später hat Noodles dann endlich eine Freundin,
Eve (Darlanne Fluegel), die wohl in mancher Hinsicht seinem Wunschbild entspricht:
anschmiegsam, ergeben, folgsam, nur die für ihn - und auch für Leones
Film - reines belangloses Schmückwerk bleibt, das ihn eher kalt lässt.
Die Weiblichkeit hat sich schon lange endgültig diskreditiert, da hilft
auch das liebste Püppchen nichts mehr, und: angepasste Frauen fallen Leone
nicht auf.
Aber weibliche
Unauffälligkeit dieser Art war Herrn Leone wohl immer am liebsten. In seinem
Kommentar zu Amerika und zum Western spricht ein Leone-Zitat Bände: "Es ging um den Untergang der letzten Ära in der amerikanischen
Geschichte, in der Männer noch richtige Kerle waren, und darum, wie der
Westen dem Matriarchat weichen mußte. Amerika ist das Land, in dem die
Frauen die Hosen anhaben."
Nun wäre
es ja alles nicht so schlimm, wenn Leone nur auf dumme Männer (richtige
Kerle) gestanden hätte und damit glücklich geworden wäre. Unverzeihlich
aber ist, dass Leone zugleich einen ausgeprägten Frauenhass kultivierte,
und diesen seinen Hass wiederholt verfilmt hat. Wer z.B. eine Frauenfigur (wie
Claudia Cardinale in „Spiel mir das Lied vom Tod“) den Text "Sie können mich über den Tisch werfen und Ihre Männer
auch noch reinholen und mich vergewaltigen lassen, daran ist noch keine Frau
gestorben." sagen lässt, macht sich deshalb strafbar, weil er mindestens
in Kauf nimmt, dass Männer oder Halbwüchsige, die gerne mal als „cool“
geltende Italo-Western oder „Es war einmal in Amerika“ sehen, solche fatalen
Verharmlosungen ungeprüft glauben könnten. Interessant wäre wirklich,
einmal zu erfahren, wie viele spätere Vergewaltiger durch Leone-Filme in
ihrem Frauenbild zumindest bestätigt, wenn nicht sogar geprägt worden
sind.
Ich habe
mich in meinen Bemerkungen zu „Es war einmal in Amerika“ nun auf die im Film
enthaltenen Frauen- und Männerbilder konzentriert. Andere Aspekte des Films
habe ich vernachlässigt. Es stimmt sicher, dass Leones Regie, Montagetechnik,
Kameraeinsatz, die üppigen Kulissen etc. beachtlich sind, auf dem ganzen
Film aber lastet die Unerträglichkeit seiner dummen Frauenfeindlichkeit,
und die spiegelt sich natürlich in der Unerträglichkeit der Filmfiguren,
die eben dieses Frauen-/Männerbild konstruieren. Allen voran der brutal-schleimige
Macho Max, von James Woods gespielt. Ein Unsympath erster Ordnung, und unerträglich
deshalb, weil Leone ihn heroisiert, statt ihn zu durchleuchten. Klischees bleiben
Klischees. Leone outet sie nicht als solche, sondern propagiert sie. Unter
Leones Ägide bleibt sogar Robert De Niro nichts übrig als eine der
schwächsten Performances seiner Karriere hinzulegen, nie kommt sein Noodles
aus der Eindimensionalität heraus; das Beste ist vielleicht noch, wie die
Maske und de Niros Talent ihn in einen überzeugenden alten Mann verwandeln
kann. Man vergleiche bitte die Figur Noodles mit De Niros brutaler Macho-Rolle
als Jake La Motta in „Wie
ein wilder Stier“ oder in einigen anderen Scorsese-Filmen.
Der Unterschied: Bei Scorsese gibt es keine frauenverprügelnden Machos,
die unhinterfragt im Recht sind, und vor allem gibt es Frauen, die - als sichtbar
autonome Figuren - so sichtbar unter männlicher Gewalt leiden, dass kein
Zweifel mehr an ihrer Illegitimität besteht. Unter Scorsese ist De Niro
brilliant, explosiv, psychopathisch, unberechenbar, voller Widersprüche,
eben lebendig, unter Leone nur ein peinliches Abziehbild von einem „richtigen
Kerl“.
Wenn Leone
selbst behauptet, die Figuren in seinem Film seien auch wieder nur Mythen des
guten alten amerikanischen Films, so lässt sich fragen, welche? Auch in
den Gangsterfilmen der schwarzen Serie gehörten zu den bösen Buben
immer auch böse Mädchen, die aber mindestens ebenso schlau und vor
allem ihnen gleichwertig waren. Weil Leone wirkliche, selbstbewusste oder wenigstens
authentisch unterdrückte Frauen nicht ertragen kann, müssen seine
Frauen- und Männerfiguren unecht, die Wertigkeiten der Geschlechter ungleich
und verzerrt sein. Deshalb kann „Es war einmal in Amerika“ nicht mehr sein als
ein eitles Männermärchen, ein Traum von einer versunkenen Welt, in
der die Männer herrschten, und die rührselige Sentimentalität
angesichts ihrer Vergänglichkeit. Deshalb ist der Film, der rauschend im
Gewand eines elegischen Epos und als Hommage an das Kino daher kommt, doch bestenfalls
das letzte Aufbäumen, ein selbstmitleidiger Abgesang eines erzkonservativen
italienischen Patriarchen in einer angeblich von Frauen dominierten Moderne,
und darin stilistisch zwangsläufig plattitüdenhafte, kitschige und
blutrünstige Kolportage, ein aufgeblähter Groschenroman - wozu wir,
nicht grundlos, auch „Pulp Fiction“ sagen können.
Der verehrte
Quentin Tarantino nämlich lässt verlauten, dass Leone für ihn
die Nummer Eins seiner Regie-Idole sei. Nicht nur „Kill Bill“ ist das deutlich anzusehen - mit dem Unterschied, dass Tarantino
darin die Frauen bewaffnet hat. Tarantino eignet sich das alles an, den filmischen
Blick, die unbestritten geniale Lakonik in der Gewaltdarstellung und die cineastische
Meisterschaft eines Leone (Wer nie „Spiel mir das Lied vom Tod“ in einem großen Kino gesehen hat, weiß nicht, wie erstaunlich
Cinemascope-Kino sein kann), aber im finalen Fadenkreuz der Frau steht jetzt
(nach Sichtung des Volume One) offenbar einer wie Leone selbst, ein Macho-Schwein
namens „Bill“: Auf skurrile Art passen die Emanzenparolen der achtziger Jahre
wieder, wenn Tarantino und Thurman den Kampfgeist der Amazonen erwecken: „Vergewaltiger,
wir kriegen euch!“ – mit euren eigenen cineastischen Mitteln...
„Es war
einmal in Amerika“ aber ist zutiefst frauenfeindlich. Das macht ihn gefährlich
und unhaltbar. Deshalb gehört der Film gestrichen aus der Liste der Meisterwerke.
Und zwar (um es so zu sagen, dass Sergio Leone das zur Not auch im Grab verstehen
kann): SUBITO!
Dieser Text ist erschienen
bei: www.ciao.de und in der www.filmzentrale.com
Angeregt durch diesen Text hat Andreas Stern auf seiner Leone-Seite eine tiefer gehende Analyse des Films und seiner autobiografischen Aspekte veröffentlicht:http://sternstunde.npage.de/sergio_leone_es_war_einmal_in_amerika_66256019.html
Es
war einmal in Amerika
- Originaltitel: Once Upon a Time in America - Regie: Sergio Leone - Buch: Sergio
Leone, Leonardo Benvenuti, Piero de Bernardi, Enrico Medioli, Franco Arcalli
und Franco Ferrini nach dem Roman "The Hoods" von Harry Grey - Kamera:
Tonino Delli Colli - Musik: Ennio Morricone - Darsteller: Robert de Niro, James
Woods, James Hayden, William Forsythe, Larry Rapp, Elizabeth McGovern, Scott
Tiler, Rusty Jacobs, Jennifer Connelly, Amy Ryder, Tuesday Weld, Danny Aiello,
Burt Young, Joe Pesci, Darlanne Fluegel u.a. - 1984; 230 Minuten
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