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Eigentlich
gibt es in diesem Film nicht viel zu sehen. Verglichen mit dem Spektakelfaktor
eigentlich aller großen späteren Science-Fiction- und Alien-Produktionen
ähnelt der Schauwert von E.T. mit seinen ausgiebigen Kleinfamilieninteriors und eher
reizlosen San-Fernando-Valley-Waldungen an eine nachmittags ausgestrahlte, drittverwertete
Serie aus Leo Kirchs Speicher. Warum also, gegen welche Weltstimmung, für
welchen Kinderzimmertrend oder gegen welchen Sci-Fi-Kinokonkurrenten tritt diese
Wiederaufführung von E.T. an?
Gut,
es gibt drei szenische Spielberg-Klassiker: BMX-Radfahrer passieren den Mond,
das suburbane Erhabene des San Fernando Valley präsentiert sich dem forschenden
Auge des Außerirdischen als riesiges Raster von Leuchtfäden, und
dann ist da noch der von Zen-Legenden und japanisch-Getuschtem bekannte zeichentheoretische
Finger, der auf das Unendliche zeigt - aber davon abgesehen ist hier nichts
liebevoll komponiert, kadriert oder montiert worden. Das Auge gähnt. Diese
Abwesenheit von visuellen Reizen wie Ideen hat aber einen Sinn. Sie kocht E.T.
herunter, sie bringt den Film auf ein Normalmaß. Denn nur so, ganz unaufgeregt,
konnte sich Steven Spielberg vor zwanzig Jahren an etwas wagen, was vorher und
nachher kein seriöser oder auch nur normal budgetierter Science Fiction-Film
gewagt hätte: dem Alien ins Gesicht schauen. Die meist negative Theologie
des Außerirdischenglaubens kannte nämlich immer ein realtives Bilderverbot.
Vor allem schaute man dem Alien nicht ins Auge. Aliens nahmen entweder nur die
Gestalt von etwas an (Gurken oder Menschen), waren zu groß, um eine Gestalt
zu haben (etwa Andrej Tarkowskijs Solaris von 1972), waren omnipräsent oder zeigten höchstens
Umrisse und Schatten. Wie die „alten Wesen“ bei Lovecraft blieben sie unbeschreiblich
und unfilmbar und nur Trash-Filme und manche Star-Trek-Folgen der 50er tasteten dieses Tabu an. Mit E.T.
war den Anhängern dieses Glaubens ein anfaßbarer, kinderlieber Runkelrübenphallus
geboren, Fleisch von ihrem und einiger Lebensmittel Fleisch - und von diesem
Ereignis durfte keine brillante Kamera ablenken. Dieser seltsame Heilige war
aber auch fast der erste positive Engel dieser Religion - und blieb es. Nur
sehr kurz durften Aliens gut sein. Ja, dieser linksliberalen Reform war in den
USA eine noch kürzere Dauer beschert als der Abschaffung der Todesstrafe.
Schon die Alien-Tetralogie mit Sigourney Weaver versorgte uns wieder
regelmäßig mit blasphemisch bösen, amorphen, sexualisierten
AIDS- und Virus-Metaphern aus dem All, und spätestens Tim Burtons Mars Attacks rechnete freundlich aber bestimmt mit all den liberalen
Spinnern ab, die Außerirdische zum Gedankenaustausch bitten wollen. Der
in den frühen 90ern vorübergehend mal gedämpfte und daher hilflos
nach Gegnern tastende manichäische Glaube an eine großböse Gegenmacht
ist ja mittlerweile wieder restauriert worden. Zudem gibt es mit dem Planeten
Afghanistan und seinen Höhlenbewohnern jetzt durchaus Realweltäquivalente
zu einer alienspezifischen Synthese aus Fremdheit und Bosheit, von der selbst
die Klingonen kältester Kalterkriegstage nicht zu träumen gewagt hätten.
Von
solchen Negativ-Projekionen abgesehen sind Aliens in der amerikanischen oder
amerikanisch beeinflussten Populärkultur seit Ewigkeiten auch Zufluchtsrollen
für die, die sich selber fremd fühlen oder fühlen sollen. Umgekehrte,
positiv besetzte Alien-Fiktionen gibt es z.B. in der afroamerikanischen Kultur
seit mindestens 100 Jahren. Darin umkreisen Mutterschiffe unseren Planeten,
die die schwarzen Amerikaner retten und auf ihren Heimatplaneten bringen werden.
Vergleiche der Deportation aus Afrika mit UFO-Entführungs-Geschichten (die
wiederum literarhistorisch auf die Gattung der Erzählungen über Entführungen
durch Indianer zurückgehen) sind zahlreich und schon 1984 wurde dieser
Komplex von John Sayles in seinem Film Brother From Another Planet
parodiert.
Auch
in diesem Zusammenhang - Alien als Afroamerikaner, aber auch immer häufiger:
Alien als Migrant - stellt die Erscheinung E.T.s einen interessanten Wendepunkt dar. Die klassische
Regelung kannte nur zwei Standpunkte: Wer in den Produkten US-amerikanischer
Massenkultur einmal als Alien symbolisch markiert war - egal ob als Ausländer
oder als unterworfene eigene Bevölkerung - war entweder von Moskau gesteuert
oder ihm mußte liberal das Menschenrecht erstritten werden. Der Kalte
Krieg und die Bürgerrechtsbewegung argumentierten hier nicht auf derselben
Ebene, aber sie sprachen über denselben Gegenstand. In E.T. hat der Humanismus
scheinbar gesiegt, aber die Menschlichkeit des Außerirdischen hängt
auch unmittelbar mit seiner Bereitschaft zusammen, wieder nach Hause zu wollen.
Er ist wie wir, denn er hat wie wir eine Heimat (mit einer Telefonnummer). Und
in diese wird er zurückkehren. Seine Vollwertigkeit hängt an dieser
klaren Zugehörigkeit zu einer anderen Welt und die Bedingung unserer Liebe
zu ihm ist mit seinem stets bevorstehenden Entzug durch eine Rückkehr an
seine ordnungsgemäße Adresse (c/o Sternenhimmel über Southern
California) verbunden. Wie Jesus wandelt er nur kurz unter uns, aber er ist
wie Jesus anschließend nicht ganz weg, sondern da, wo er wirklich hingehört.
Seit den Zeiten von Spielbergs E.T. gibt es nämlich eine andere, mehrere Positionen
vereinende Haltung zum Fremden/Alien/Migranten, die bis in die rotgrüne
Zuwanderungspolitik fortwirkt: wir lieben seine fremde und doch strukturanaloge
Seele, seine Zeichen, seine Versprechen, solange er uns nicht mit seinem Körper,
seiner Territorialität, seiner vollständigen Einwanderung behelligt,
solange seine Kultur ein Zeichen seiner Differenz bleibt - im Medium
einer kitschigen Schwundstufe von Menschlichkeit. Deswegen geben wir gerne etwas
für seine Kultur aus, laden ihn ein, fahren hin, solange er nicht bleibt.
E.T.
hat diese von früheren Aliens nur angedeutete Dialektik voll ausgespielt:
sie können uns jederzeit besuchen (Gefahr), aber sie werden auch immer
wieder verschwinden (drohender Liebesentzug), sie gehören nicht hierher.
Vielleicht haben sie es ja anderswo besser. Die afroamerikanischen Herkunfts-
und Fluchtphantasien und ihre Konjunktur gerade in der Popkultur der 70er Jahre
mag dazu beigetragen haben, den Alien als auch eine begehrte, Lebenskräfte
und Liebe freisetzende Figur zu zeichnen, die aber mit ihrem Verschwinden droht
(wenn schon nicht durch Exodus, so durch den schwarzen Separatismus). Gerade
vor ein paar Wochen erschien die neue Platte des großen alten Reggae-Produzenten
Lee Perry mit dem Titel „Jamaican E.T.“ Wo bleibt unsere sommerliche Lebenskraft,
wenn er und seinesgleichen „nach Hause“ abhauen, wie pensionierte Gastarbeiter?
Wenn sie uns nicht mehr brauchen? Um diesem Verlust vorzubeugen, kann man nur
die Identifikation weitertreiben. Amerikaner entdecken seit den 70ern zusehends
begeisterter, dass sie eigentlich alle nicht hierher gehören. Die Welle
der Selbstethnisierung hat aus lauter US-Bürgern eine Fülle von heimatstolzen
„Haiphen-Americans“ gemacht: Bindestrich-US-Bürger, die ihrer amerikanischen
Nationalität irgendeine andere Gefühlsheimat, einen Heimatplaneten
voranstellten. Dass dieser Herkunftsbezug bei vielen Minderheiten einst eine
verständliche und zuweilen im Bürgerrechtskampf wirksame politische
Strategie war, ist im Zuge dieser Entwicklung weitgehend in Vergessenheit geraten.
Natürlich hat sich vor allem für die afroamerikanische und die lateinamerikanische
Bevölkerung nicht viel daran geändert, dass ihre „Herkunft“ einen
Nachteil darstellt, dessen positive Umwertung am Anfang jeder Gleichbehandlungsforderung
steht. E.T. hatte aber gegenüber konkreten Schwarzen und Latinos
den depolitisierenden Vorteil, von vorherein als ganz leere Formel aufzutreten
und sozusagen für jede Selbstethnisierung zur Verfügung zu stehen:
wir erfahren über seine Kultur rein gar nichts und sein Körper hat
von Anfang an die Gestalt eines reinen, abstrakten Zeichens - irgendwo zwischen
Phallus und Zeigefinger. Man mußte nicht von ihm abstrahieren, E.T.
war von Anfang an ein hochformaler Vorschlag einer zeitgemäßeren
Reformulierung des Alien-Problems in der Spätphase des Kalten Krieges.
Konkret
wird E.T. nur in einem Punkt: nämlich bei der Bestimmung
der näheren Umstände seine Willkommenseins. Er ist nicht einfach auf
diesem Planeten willkommen: im Gegenteil, Militärs und andere Autoritäten
wollen ihm ja an den langen, dünnen Kragen und ihn wissenschaftlich untersuchen.
Nein, willkommen ist er in der Familie, in der vaterlosen Kleinfamilie. Hier
fehlt einer, der der überforderten Mutter zur Hand geht, vor allem bei
der emotionalen Betreuung ihrer Brut. So wie die Deutschen Inder brauchen, weil
sie sich mit abstrakten Computern nicht auskennen, brauchten die Amerikaner
damals ganz bestimmte Aliens, Emo-Spezialisten die die konkreten Defizite der
all-american Kleinfamilie kompensieren würden. Diese Defizite sind nicht
irgendwelche, sonder historisch konkrete. Drew Barrymore, später soziopathisches
Drogenopfer und noch später wieder Superstar, spricht es mit der beschädigten
Niedlichkeit des jüngsten Opfers aus: unser Papa ist in Mexiko. Dem Ort,
in den sich Joe flüchtet mit einer Gun in seiner Hand, in dem Beatniks
seit den 50ern und Gangster seit dem 19. Jahrhundert vor den USA in ihre zweifelhafte
Selbstverwirklichung abhauen. 20 Jahre vor Houellebecq, der dafür die 68er
Frauen verantwortlich machen wird, sind es bei Spielberg noch die Männer,
die aus egoistischen Gründen unverantwortlich Löcher in das emotionale
Netz reißen - und für die jetzt Facharbeiter aus den Tiefen des Weltraums
einspringen müssen.
Doch
das ist nur der ideologische Rahmen, denn E.T. wäre ein langweiliger Zeitgenosse, wenn er einfach
nur den Vater ersetzen würde. Dieser verhutzelte Fremdling ist auch ein
Vorläufer der verschiedenen Formen künstlicher und außerirdischer
Intelligenz, aus Spielbergs letztem, wieder nach Initialen benannten Film A.I.. Visionär wird E.T. dadurch, dass er so formelhaft
und abstrakt durch das Kinderzimmer eiert und überall empathisch andockt,
wo ein loses emotionales Ende herumhängt. Damit rührt er an der Sorge,
dass etwas noch Unmenschlicheres als die Fremden letzten Endes den Papi in Mexiko
ersetzen wird: die Metastasen unserer eigenen, körperlos gewordenen Vernunft
in Form von künstlicher Intelligenz. Doch wie später auch A.I.
beruhigt er uns damit, dass in diesen Wesen noch mehr, das heißt bei Spielberg:
noch kindlichere Menschlichkeit wohnen wird, nämlich eine defizitäre
Menschlichkeit, die nie erwachsen werden kann. Dieser putzige Außerirdische
besteht problemlos den sogenannten Turing-Test,
der herausfindet, unter welchen Bedingungen man einer Maschine künstliche,
menschenäquivalente Intelligenz zubilligen könnte. Er besteht ihn
nicht indem er menschliche Leistungen imitiert, sondern indem er sie unterbietet
,indem er in Küche und Kinderzimmer die amerikanischen Menschen in ihrer
ideologischen Überzeugung bestätigt, dass wahre Menschlichkeit in
der Fähigkeit zur Regression und zu Kinderzimmerkitsch besteht.
Wer
sich allerdings dem hier ideologisch gewendeten Gedanken, Menschlichkeit ließe
sich gerade auch als Einsicht in die gelegentliche Notwendigkeit zu regredieren
fassen, ganz verschließen kann, der werfe den ersten Teletubby! Davon
abgesehen ist ein Amerika, das Aliens wie Minderheiten mit allerlei Projektionen
überzieht und instrumentalisiert natürlich immer noch angenehmer als
eines, das wieder erwachsen gegen fremde Planeten zu Felde ziehen und dort diverse
dunkle Ritter bekämpfen und ausräuchern will. Insofern ist E.T.
alten wie bevorstehenden Star-Wars-Episoden vorzuziehen. Aber gegen die hat er visuell
keine Chance.
Diese Kritik zur Aufführung
der „geremasterten“ Version von E.T. ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem Film gibt’s im
archiv der filmzentrale mehrere
Kritiken
E.T.
- Der Außerirdische
E.T.
- THE EXTRATERRESTRIAL
USA
- 1982 - 114 min.
Erstaufführung:
9.12.1982/29.4.1988 Kino DDR
Produktionsfirma:
Universal
Produktion:
Steven Spielberg, Kathleen Kennedy
Regie:
Steven Spielberg
Buch:
Melissa Mathison
Kamera:
Allen Daviau, Dennis Muren (special visual effects)
Musik:
John Williams
Schnitt:
Carol Littleton
Special
Effects: Industrial Light and Magic
Darsteller:
Henry
Thomas (Elliott)
Robert
MacNaughton (Michael)
Drew
Barrymore (Gertie)
Dee
Wallace (Mary)
C.
Thomas Howell (Tyler)
Peter
Coyote (Keys)
K.C.
Martel (Greg)
Sean
Frye (Steve)
Tom
Howell (Tyler)
Matthew
DeMeritt (ein E.T.-Darsteller)
Pat
Bilou (ein E.T.-Darsteller)
Tamara
De Treaux (eine E.T.-Darstellerin)
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