Der Exorzist - Director´s Cut (The Exorcist)
Man
war sich fremd geworden im eigenen Land: Kaum noch aus einem desaströsen
Krieg hervorgegangen, dem selbst Patrioten schwer irgendetwas Sinn- und Ehrenvolles
abgewinnen konnten, und schon mitten in einem Skandal, der den letzten Glauben
an die Unfehlbarkeit des Präsidenten zerstören sollte. 1973 war kein
gutes Jahr in Amerika. Und dann diese Jugend! Dass es da nicht mit rechten Dingen
zuging, als sie sich die Haare wachsen ließen, schmuddelig herumliefen,
seltsame Drogen einwarfen und Musik hörten, in einer Sprache redeten, die
man nicht mehr verstand - das hatte man schon in den 60ern geahnt. '73, nach
Hell's Angels und Charles Manson, war es bereits Gewissheit, dass da der Teufel
die Finger im Spiel hatte.
Da
kam dieser Film - und er brachte es auf den Punkt: Es ist was faul in Washington
D.C.; etwas, das mit fremden Dingen aus dem Ausland zu tun haben mag; etwas,
dem unser säkularisiertes, technisiertes, rationales Zeitalter nicht beikommen
kann - und etwas, das uns die Kinder wegnehmen will. Linda Blair als Regan in
einer Art Turbo-Pubertät, mit der schlimmsten Akne der Filmgeschichte,
aufsässig, obszön, rebellierend gegen die schöne Fassade von
Wohlstand und Glück. (Und mit alleinerziehnder Mutter - die Familie haben
sie auch schon kaputt gemacht, die dämonischen Kräfte der Zeit.)
William
Friedkin spielt in THE EXORCIST nicht nur mit diesen Ängsten, bedient sie
nicht nur (tut dies aber gerne auch schamlos), sondern legt sie offen, benennt
sie. (Und sagt auch gleich, was im Rahmen eines Mainstream-Films möglich
ist: Regans Mutter, Filmschauspielerin, dreht an einem Film über Studentenproteste
- den sie "eine Art Disney-Version der Stalin-Ära" nennt.) Ihn
haben damals die zeitaktuellen Aspekte deutlich mehr interessiert als die tiefkatholische,
metaphysische Diskussion um Gut und Böse, die das Hauptaugenmerk von William
Peter Blattys Romanvorlage war. Wenn Friedkin damals Zugeständnisse ans
Studio machte, dann waren es offenbar immer diejenigen, die sich der Lesart
in den Weg stellten, dass das alles eben doch eine Psychose der Beteiligten
und kein satanischer Spuk ist. Friedkin wäre wohl eher mit weniger Übernatürlichem
zufriedener gewesen.
Es
hat also seinen guten Grund, dass die Version von THE EXORCIST, die jetzt in
unsere Kinos kommt, in Amerika nie als "Director's Cut" apostrophiert
wurde, sondern als "Version you haven't seen before". Denn mit dem
Willen William Friedkins 1973 hat die verdammt wenig zu tun. 11 Minuten sind
"neu" - ausgewählt aus einem Outtake-Reservoir, in dem man auch
beliebig anders hätte fündig werden können (und es z.B. für
die "25th Anniversary"-DVD wurde).
Ihr
Sinn ist es zunächst einmal schlicht, einen selling point zu bieten, ein
Verkaufsargument, die Leute in einen Film zu bekommen, den die meisten schon
kennen. (Ebenso wie die runderneuerte, auf 6-Kanal-Digital aufgeblasene Tonspur
- überflüssig wie drei Kröpfe: Dauernd muss sie mit Raumeffekten
und aufdringlichem Brimborium hubern, damit wir auch ja hören, dass sie
da und neu und anders ist. Auf Kosten eines der genialsten, ausgetüftelsten
Sound-Designs der Filmgeschichte, das '73 seiner Zeit klar voraus war und mindestens
die Hälfte zur Erzeugung des Horrors beitrug.)
Dennoch
zeigen die neu eingefügten Schnipsel insgesamt eine Tendenz, die Sicht
des Films in eine andere Richtung zu lenken: Verstärkt wird der Konflikt
zwischen (hilfloser) Wissenschaft und (wiederzufindendem) Glauben. Und viel
deutlicher wird das Böse zur wahrhaft übernatürlichen Macht von
außen. Regan läuft rückwärtsgebeugt im Spinnengang die
Treppe herunter und spuckt Blut; die Fratze, die gelegentlich für Sekundenbruchteile
als mögliche Vision Regans zu sehen ist, wird nun nur für uns sichtbar
in einer Szene in der Küche über der Dunstabzugshaube eingeblendet,
ähnlich die Statue aus dem Irak, die wir (und nur wir) im Dunkel von Regans
Zimmer schemenhaft ausmachen können. Die Priester dürfen ein bisserl
über das Böse disputieren. Und am Ende steht nun als Fokus nicht mehr
Regan, sondern die quasi-allegorische Verbrüderung von Priester und Polizist,
geistlicher und weltlicher Macht. Zurück zum Kirchenstaat, heißa
juchhee!
Damit
ist THE EXORCIST in seiner neuen Version freilich wieder ein Film für seine
Zeit geworden - das alles passt prima zum neokonservativen Staat mit christlich-fundamentalistischen
Ambitionen, der derzeit in den USA unlustige Urständ feiert. Kein Wunder,
dass der Streifen am Start-Wochenende die meisten aktuellen Produktionen an
der Kinokasse hinter sich ließ. Was ihm freilich nun fehlt, gegenüber
seiner ursprünglichen Inkarnation, ist, dass er auch bewusster Kommentar
zur Zeit ist. Da nur hinzugefügt, nicht geschnitten wurde, ist zum Glück
nichts von dem verloren gegangen, was William Friedkin unter Blattys Mär
vom verlorenen Glaubens-Sohn gemischt hat. Es werden nur die Gewichtsverhältnisse
verschoben, die Fäden anders gewoben. Ein besserer Film ist THE EXORCIST
dadurch (und besonders durch die verhunzte Tonspur) gewiss nicht geworden. Aber
einer, dessen heimliche Kern-Botschaft noch immer (bzw. schon wieder) stimmt:
Satan geht um in Washington D.C.
Thomas Willmann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im Archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Der Exorzist - Director´s Cut (The Exorcist)
USA
1973 - 134 Minuten - FSK: 16
Regie:
William Friedkin
Kamera:
Owen Roizman
Drehbuch:
William Peter Blatty
Besetzung:
Ellen Burstyn, Max von Sydow, Lee J. Cobb, Linda Blair u.a.